Bochum. Der Spielabbruch gegen Gladbach beschäftigt den VfL Bochum. Geschäftsführer Ilja Kaenzig erklärt, wie es nach dem Eklat weitergeht.
Der Spielabbruch der Bundesliga-Partie zwischen dem VfL Bochum und Borussia Mönchengladbach am Freitagabend hat hitzige Debatten ausgelöst. Ein von einem Bochumer Zuschauer/in aus Block A geworfener Bierbecher hatte Schiedsrichter-Assistent Christian Gittelmann am Hinterkopf getroffen. Er erlitt eine Schädelprellung und ein Schleudertrauma, die Partie wurde beim Stand von 0:2 nach 69 Spielminuten abgebrochen.
Ilja Kaenzig, der Sprecher der Geschäftsführung des VfL Bochum, äußerte sich am Sonntagnachmittag im Interview mit dieser Redaktion zum Vorfall, zum Stand der Ermittlungen und harten Strafen gegen den Täter/die Täterin, zu konkreten Maßnahmen, die der VfL Bochum nun plant. Ein Verbot von (alkoholischen) Getränken auf den Tribünen ist eine Option, Fangzäune sind es eher nicht.
Herr Kaenzig, wie haben Sie den Spielabbruch am Abend und die Zeit bis heute erlebt?
Ilja Kaenzig: Die Dimension des Abbruchs realisiert man in den ersten Stunden nur schemenhaft. Man ist damit beschäftigt, Auskünfte zu geben, sich um den betroffenen Schiedsrichter-Assistenten zu kümmern, sich gerade bei Christian Gittelmann zu entschuldigen. Als das vorbei war, setzte ein Telefonmarathon ein, der bis jetzt andauert und noch länger andauern wird. Man spricht mit Medien und vereinsintern über die Aufarbeitung. Wir beschäftigen uns seit Freitagnacht nonstop mit dem Vorfall. Man sieht jetzt, welche Dimension der Vorfall annimmt, es werden bundesweit Diskussionen geführt, die weit über den Becherwurf hinausgehen, etwa zur Stadionsicherheit im Profifußball. Das zeigt auch, wie viel Arbeit noch auf uns zukommen wird.
VfL Bochum: Bei Ermittlung des Täters halbiert sich die Geldstrafe
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Wann rechnen Sie mit einem Urteil des Verbandes– und welche Strafen drohen?
Wir erwarten am Montag Post vom Verband, dann haben wir normalerweise zwei, drei Tage Zeit für eine Stellungnahme. Ein Urteil wird es wohl frühestens Ende nächster Woche, vielleicht auch erst übernächste Woche geben. Welche Strafen uns drohen, kann derzeit nur Spekulation sein, an der ich mich nicht beteiligen will. Wenn wir die Täterin oder den Täter ermitteln, würde sich eine Geldstrafe halbieren.
Wie ist der Stand bei der Ermittlung des Täters oder der Täterin?
Wir warten ständig auf eine Aktualisierung seitens der ermittelnden Polizei, mit der wir eng zusammenarbeiten. Mit ist noch nicht mitgeteilt worden, dass eine Täterin oder ein Täter identifiziert worden wäre. Aber wir wissen, dass sich immer mehr Zeuginnen und Zeugen melden, auch über die sozialen Medien wird der Druck immer größer. Ich denke, dass die Person deswegen sich selbst stellen wird.
Welche Strafen erwartet die Person vom Verein?
Ein Stadionverbot wird ausgesprochen werden. Sollte die Person Mitglied sein, streben wir einen Vereinsausschluss auf Lebenszeit an. Sollte sie eine Dauerkarte besitzen, würden wir diese entziehen. Zudem leiten wir zivilrechtliche Schritte ein, um die voraussichtliche Strafe vom Verband auf die Person abzuwälzen. Ich bin mir sicher: Dieser Fall wird aufgeklärt. Das ist wichtig, aber nicht die Lösung des Ganzen. Wir müssen weiterdenken und Konsequenzen ziehen, dass sich solch ein Vorfall nicht wiederholt. Bereits beim nächsten Heimspiel in drei Wochen gegen Bayer Leverkusen werden wir Maßnahmen ergreifen.
Kaenzig kündigt harte Konsequenzen an: Appelle reichen leider nicht
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An welche Maßnahmen denkt der Verein konkret?
Es macht mich auch zwei Tage später noch wütend, dass all unsere Appelle im Stadion und zuvor zum Beispiel mit einem Video mit Kapitän Anthony Losilla nicht gefruchtet haben, die Selbstreinigung unter den Fans nicht stattgefunden hat. Diese Optionen entfallen also leider, sie reichen nicht aus. Jetzt müssen andere Maßnahmen her, die möglichst ausschließen, dass Schiedsrichter, Spieler, Balljungen und -mädchen, Fotografen oder andere von Bierbechern getroffen werden können. Es gab zwar immer Bierbecherwürfe in Stadien, nicht nur in Bochum. Aber seit dem Ende des vergangenen Jahres hat die Zahl hier in unserem Schmuckkästchen, in dem die Menschen nah dran sind am Spielfeld, leider stark zugenommen. Das müssen wir ändern.
Also konkret: Wie? Denkt man an Fangzäune?
Wir stehen für ein Gemeinschaftserlebnis der Fans im Stadion. Wir wollen nicht, dass einige Idioten 99,9 Prozent unserer Fans dieses Erlebnis zerstören. Ich habe Mühe damit, mir vorzustellen, dass das ganze Stadion abgehängt wird mit Fangzäunen, zumal dies wegen der Flucht- und Rettungswege vielleicht auch gar nicht möglich ist. Wir schauen auch ins Ausland. In der englischen Premier League sind alkoholische Getränke sowie Speisen auf den Tribünen verboten. Das ist ein Gedanke, den wir gerade erörtern. Fakt ist: Wir müssen spezielle Maßnahmen ergreifen, die wir bereits beim nächsten Heimspiel umsetzen werden.
„Eingreiftrupps“ würden das Stadionerlebnis zerstören
Wäre es auch denkbar, dass Ordner Leute direkt aus dem Stadion führen, wenn sie mit Gegenständen oder Bechern werfen? Müssten sie härter durchgreifen?
Wenn eine Person sofort identifiziert werden kann, ja. Allerdings müssen da immer die gesamten Umstände berücksichtigt werden, damit es nicht zu einer Eskalation kommt, die Unbeteiligte schädigen könnte, etwa wenn die Person handgreiflich wird. Insofern bräuchte man dann in allen Blöcken fast schon eine Art Eingreiftruppe. Dann wäre es mir lieber, man trinkt nur außerhalb der Tribünen und hat nicht solche Eingreiftrupps im Stadion, die das Stadionerlebnis für alle Fans kaputt machen, zumindest stark beeinträchtigen würden.
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Auch das angeblich schlechte Überwachungssystem zur besseren Identifizierung und Verfolgung von Tätern ist nun ein Thema.
Unser Überwachungssystem entspricht der von der Deutschen Fußball-Liga vorgeschriebenen Norm. Richtig ist aber, dass unsere Technik nicht auf dem neuesten Stand ist. Wir planen zur nächsten Saison hohe Investitionen in die Verbesserung der Technik. Mit einer Kamera wie im Baumarkt ist das nicht getan, da kommen hohe Kosten auf uns zu, die es aber braucht. Das muss und wird aber abgestimmt sein mit der Stadt, die Eigentümerin des Stadions ist. Wir arbeiten schon länger gemeinsam daran, zur kommenden Saison in die Sicherheitstechnik zu investieren.
Kaenzig: Die Mannschaft darf der Vorfall nicht beeinflussen
Im Abstiegskampf wird es wieder enger – wird der Spielabbruch auch den Kampf um den Klassenerhalt maßgeblich beeinflussen?
Wir haben 32 Punkte, das hätte zu diesem Zeitpunkt vor der Saison jeder unterschrieben. Wir haben aber immer davor gewarnt, dass es auch mal eine schwächere Phase geben kann. Wir spielen nun gegen Hoffenheim, Leverkusen und Freiburg, gegen drei Champions-League-Anwärter. Es ist Zeit, dass sich alle anschnallen, es werden schwierige Spiele. Wichtig ist, dass wir in der Vereinsführung an der Aufarbeitung des Vorfalls arbeiten. Die Mannschaft aber darf sich vom Becherwurf nicht ablenken lassen, der Vorfall darf nicht zum schwarzen Schwan werden. Das Team soll sich ganz auf seine Arbeit konzentrieren – dann werden wir den Klassenerhalt schaffen.
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