Bochum. Er ist ein bekennender Zweckpessimist – und ist optimistischer denn je. Kolumnist Michael Eckardt hat Freude an der Entwicklung des VfL Bochum.
Sie erinnern sich? Ende Dezember habe ich an dieser Stelle versprochen, einen Teil meiner Weihnachtseinkünfte in den VfL Bochum zu investieren. Na ja, um der Wahrheit die Ehre zu geben ging es nur um einen Wetteinsatz beim Buchmacher. Inhalt: Mein fester Glauben an den Klassenerhalt der Reis-Truppe.
Umso genauer habe ich natürlich hingeschaut, als die zweite Saisonhälfte nach der sehr kurzen Winterpause angepfiffen wurde. Und ich muss nach nun vier Pflichtspiel-Partien im neuen Jahr sagen: Der worst case kann natürlich immer noch eintreten, aber die ganz große Anspannung ist bei mir, dem bekennenden Zweckpessimisten, derzeit weg.
Starke Auftritte gegen potenziell starke Gegner beruhigen die Nerven
Was vor allem damit zu tun hat, dass die Mannschaft in allen vier Spielen des noch jungen Jahres mit dem Gegner auf Augenhöhe war und sogar eine bessere Ausbeute als vier Punkte plus Pokalsieg und Einzug ins Viertelfinale verdient gehabt hätte. Zweimal Mainz, Wolfsburg und Köln, bis auf die heftig ins Schlingern geratenen Niedersachsen mit Champions-League-Hintergrund hat keiner der bisherigen Gegner etwas mit dem Tabellenkeller zu tun. Dann so aufzutreten, wie der VfL das getan hat, vermag durchaus die immer ein wenig strapazierten Nerven zu beruhigen.
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Den Optimismus befördert auch ein Vergleich. Also werfen wir mal einen Blick zurück auf die Hinrunde, zum Beispiel auf das Spiel des VfL in Köln. Damals konnte einem nach der noch glimpflichen 1:2-Niederlage angst und bange werden. Der FC spielte doppelt so viele Pässe wie der VfL und hatte 70 Prozent Ballbesitz. Das war phasenweise ein Belagerungszustand.
Mit Locadia ist der VfL Bochum offensiv noch variabler aufgestellt
Und nun? Diesmal hatte der VfL in fast allen Statistik-Kategorien die Nase vorne, spielte mehr Pässe und brachte sie häufiger an den eigenen Mann als der Gegner. Und schließlich standen 17:8-Torschüsse zu Buche – für die Bochumer. Dass trotzdem „nur“ ein Unentschieden heraussprang, ist einerseits Pech, andererseits der Tatsache geschuldet, dass man sich auf diesem Niveau praktisch keine Fehler erlauben darf. Zwei Unsauberkeiten, zwei Gegentore – auch der VfL ist in dieser Spielzeit schon derart effizient aufgetreten, wie kürzlich die Kölner im Ruhrstadion.
Hinter der positiven Statistik steckt aber auch eine Repertoire-Erweiterung beim Aufsteiger. Spielt Jürgen Locadia, der neue Mann, so weiter, wie er begonnen hat, dann kann sich der VfL über einen Zugewinn an technischem Potenzial freuen und wäre in der Offensive ziemlich variabel aufgestellt - mit Sebastian Polters Wucht und Abschluss sowie dem feinen Locadia-Fuß.
Dass Eduard Löwen und Takuma Asano, der bislang die Strafräume der Gegner eher großräumig umlaufen hat und bestimmt niemals eine Torjägerkanone mit nach Hause nehmen wird, nun endlich auch mal getroffen haben, beflügelt nur meine gute Laune. Löwen sah man zudem zuletzt häufiger in aussichtsreicher Position, ein Hinweis auf eine leicht veränderte Statik im Team mit dem Ziel, künftig mehr Torgefahr zu entwickeln.
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Schwere Heimspiele: Zurücklehnen ist nicht angebracht
Dennoch: Es wird für den VfL Bochum ein Kraftakt bleiben, den Klassenerhalt zu realisieren. Denn der aktuelle Lauf von Arminia Bielefeld zeigt, was bei der direkten Konkurrenz alles möglich ist. Und die Qualität der Bielefelder muss man grundsätzlich auch der Hertha, Stuttgart, Wolfsburg und Augsburg unterstellen. Um nicht noch ins Gedränge zu geraten, sollte die Mannschaft deshalb unbedingt ihre Auswärtsbilanz verbessern. Zumal man in den Heimspielen gegen die Bayern, Leipzig und Leverkusen allenfalls auf den einen oder anderen Bonuspunkt hoffen kann.
Es wird weiterhin Niederlagen geben. Die sind nicht schlimm, wenn man danach aufsteht, sich schüttelt und, wie bisher, voller Selbstbewusstsein den eingeschlagenen Weg konsequent weiter verfolgt. Reiht sich aber über Wochen und Monate Misserfolg an Misserfolg und wird das Spiel allmählich zum Experimentierfeld einer zunehmend ratlosen sportlichen Führung, dann könnte es angesichts der fortgeschrittenen Spielzeit vermutlich zu lange dauern, um noch die Wende zum Guten zu erzwingen.
Nach Rückschlägen bisher stets die Ruhe bewahrt
Der VfL Bochum hat das ja bei seinem letzten Abstieg 2010 selbst schmerzlich erleben müssen. Vermeintlich bereits in Sicherheit, hat das letzte Saisondrittel mit nur drei Punkten aus 12 Spielen dem VfL damals das Genick gebrochen. Einmal im Sog nach unten, gelang die Trendwende nicht mehr. So ähnlich ist es auch Werder Bremen zum Ende der vergangenen Saison ergangen – lediglich zwei Zähler aus elf Spielen waren schließlich einfach nicht genug.
Bislang deutet jedoch nichts darauf hin, dass die handelnden Personen in Bochum nach Rückschlägen die Ruhe verlieren könnten. Und solange die Fans, die vermutlich bald schon wieder in größerer Zahl im Stadion sein dürfen, einen starken Rückhalt bilden, stehen die Chancen auf die nächste Bundesliga-Saison erfreulich gut.
Fans reagieren erstklassig auf dumpfe Pöbler
Apropos Fans. Sie haben im Spiel gegen Köln gezeigt, wie man auf dumpfe Pöbler reagiert. Einfach der Zielscheibe der Verbalattacke, in diesem Fall war es Kölns Trainer Steffen Baumgart, seine Sympathie zeigen und Applaus für seine Schlagfertigkeit und Gelassenheit zollen. Ein eindeutiges und starkes Statement. Anders ausgedrückt: Erstligareif.
ZUM AUTOR
Jahrzehntelang hat Michael Eckardt für die WAZ über den VfL Bochum berichtet. Nun hat er etwas Abstand, ist aber, wenn es die Coronalage zulässt, im Stadion dabei und schreibt einmal pro Monat eine Kolumne zum VfL Bochum: Eckis Einwurf.