Bochum. Hans-Peter Villis, Vorstandsvorsitzender des VfL Bochum, rechnet mit Geisterspielen bis März. Er spricht über Verluste, Verträge, Präsidiumswahl.
Mit 67 Punkten ist der VfL Bochum im Mai aufgestiegen als Zweitliga-Meister, mit 20 Punkten nach der Hinrunde rutscht er als Tabellenzwölfter der Bundesliga ins neue Jahr. Doch die Pandemie hat die Welt, hat Deutschland und damit auch den Profifußball weiterhin im Griff. Hans-Peter Villis (63), Vorstandsvorsitzender des VfL Bochum, blickt im Interview zurück und vor allem voraus.
Herr Villis, was war für Sie der besondere Moment 2021?
Hans-Peter Villis: Als Robert Zulj am 23. Mai gegen Sandhausen das 3:1 erzielt hat, war der Aufstieg greifbar. Mit dem Schlusspfiff hat sich die Anspannung gelöst. Da hat man die Saison, aber auch die teilweise harten Jahre zuvor Revue passieren lassen. Das war ein besonderer Moment des Stolzes und der Freude.
Sie sind seit 2012 Vereinschef, auch für Sie ist es als Vorstandsvorsitzender die erste Hinrunde in der Bundesliga. Wie fühlt sich die erste Klasse an?
Villis: Wir sind stolz darauf, in der Bundesliga zu spielen und dort auch angekommen zu sein. Das zeigt nicht nur der Tabellenstand. Wir spielen mit, im wahren Wortsinn.
Sie haben direkt nach dem 0:1 zum Jahresabschluss gegen Union Berlin gesagt, dass der VfL die Klasse halten wird. Tiefe Überzeugung oder Zweckoptimismus nach einem unglücklichen Jahresende?
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Villis: Wir schaffen den Klassenerhalt, davon bin ich überzeugt. Diese Einschätzung basiert auf unserer gemeinsamen Analyse der 17 Bundesligaspiele. Natürlich wird es schwer. Bielefeld liegt auf Rang 17 nur vier Punkte hinter uns. Aber wir haben gezeigt, dass wir mithalten können, mit Ausnahme des Spiels in München.
Was stimmt Sie so optimistisch?
Villis: Der Teamgeist. Die Mannschaft hat das in die Bundesliga mitgenommen, was sie auch in der 2. Liga so stark gemacht hat. Wir haben nicht nur elf oder 18 Spieler, die für den Klassenerhalt kämpfen, wir sind eine Mannschaft. Wenn das Team diesen gemeinschaftlichen Willen weiter zeigt, bin ich mir sicher, dass wir am Ende den Klassenerhalt schaffen. Das wäre für mich ein genauso großer Erfolg wie der Aufstieg im vergangenen Sommer.
Villis über Transfers: Wir sind handlungsfähig
Sind dafür Verstärkungen nötig? Das Wintertransferfenster öffnet im Januar.
Villis: Grundsätzlich trauen wir unserem jetzigen Kader zu, den Klassenerhalt zu packen. Aber natürlich halten wir die Augen immer offen. Der langfristige Ausfall von Simon Zoller schmerzt uns weiterhin. Zudem muss man gewappnet sein, wenn zusätzlich Stammspieler ausfallen, wie zuletzt etwa Eduard Löwen oder Takuma Asano. Unser finanzieller Spielraum ist allerdings begrenzt und durch die Geisterspiele, die auf uns zukommen, nicht gerade angewachsen. Aber wir sind handlungsfähig, auch beim Thema Transfers.
Die Partie gegen Wolfsburg zum Jahresauftakt am 9. Januar findet vor leeren Rängen statt. Am 12. Januar soll es eine neue Coronaschutzverordnung des Landes NRW geben. Die Entwicklung der Pandemie ist schwer vorhersehbar. Womit rechnen Sie, wie plant der VfL Bochum?
Villis: Man muss allein schon aufgrund unserer kaufmännischen Verantwortung heraus derzeit damit rechnen, dass es im ersten Quartal, also bis März, Geisterspiele geben wird. Das würde uns auch wirtschaftlich hart treffen. Wir haben mit einem Überschuss von rund 4,5 Millionen Euro geplant, das haben wir auf der Mitgliederversammlung Ende Oktober erklärt. Aber damals sind wir noch von Zuschauern bei jedem der neun Heimspielen in der Rückrunde ausgegangen. Dieser prognostizierte Überschuss wird so nicht mehr erreichbar sein. Stand jetzt kalkulieren wir mit einer schwarzen Null, je nach Verlauf gegebenenfalls sogar mit einem leicht positiven Ergebnis zum Ende des Geschäftsjahres. Wobei ich betone, dass wir unsere Verbindlichkeiten (unter anderem insgesamt 6,8 Millionen Euro bis 2024 bei der KfW-Bank, die Redaktion) planmäßig zurückführen und in unserer Existenz in keiner Weise gefährdet sind.
Zusätzlich Geld einnehmen könnte der VfL durch einen Erfolg im Pokal-Achtelfinale gegen Mainz Mitte Januar oder auch durch Spielerverkäufe.
Villis: Transfererlöse sind in allen Szenarien bis zum Saisonende nicht eingeplant. Ein Erfolg im Pokal wäre hilfreich, ist aber nicht kalkulierbar. Wir bleiben kaufmännisch vorsichtig und realistisch.
Villis über Coronaregeln: So nicht mehr nachvollziehbar
Es gibt schon wieder einen Flickenteppich in Deutschland. In Berlin etwa sind (noch) 5000 Zuschauer zugelassen. In NRW und damit auch im Bochumer Vonovia Ruhrstadion vorerst gar keine, während in manchen Hallen unter bestimmten Voraussetzungen Fans dabei sein dürfen. Ist das nachvollziehbar?
Villis: Nein, das kann man so nicht nachvollziehen. Wir sind mit der Stadt, mit den örtlichen Gesundheitsbehörden im ständigen, sehr fairen Austausch. Die Stadt ist hier auf die Verordnung des Landes angewiesen. Wichtig ist uns, das betonen wir seit dem Beginn der Pandemie, dass die Gesundheit immer an erster Stelle steht. Richtig ist aber auch, dass es nach Bundesligaspielen in Bochum bisher keine Meldungen über Corona-Ausbrüche gab. Wir haben Sicherheits- und Hygienekonzepte erstellt und umgesetzt. Wir werden weiterhin alles dafür tun, dass Fans wieder ins Stadion kommen dürfen, sofern es die Gesetzeslage erlaubt.
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Zumal die Fans ja nicht nur als zahlende Kunden, sondern auch als Unterstützer des Teams ein Faktor waren und sind für den VfL Bochum.
Villis: Die Stimmung bei unseren Heimspielen war fantastisch, auch auswärts haben uns unsere Anhängerinnen und Anhänger außergewöhnlich unterstützt. Es gab in der Hinrunde ein tolles Zusammenspiel zwischen Fans und Team, das uns jetzt erst einmal leider fehlen wird. Das ist ein herber Verlust für uns.
Villis über Umsatzerlöse: Im Digitalbereich ist viel Luft nach oben
Der VfL Bochum hat 2021 viele neue Bestmarken aufgestellt. Rund 18.000 Mitglieder zum Jahresende sind ebenso ein Rekord wie etwa 15.500 verkaufte Dauerkarten. Auch im Merchandising, in der Vermarktung gab es neue Höchstwerte. Wo gibt es denn Luft nach oben?
Villis: Grundsätzlich gilt: Wir haben die Ambition, den Umsatz in den nächsten Jahren von rund 35 Millionen Euro auf 100 Millionen Euro zu steigern. Dafür müssen wir uns in der Bundesliga längerfristig etablieren. Wir sind national und international für Sponsoren interessanter geworden. Unsere langjährigen Partner sind uns fast alle treu geblieben, das ist die Basis. Zudem haben wir etliche neue Partner gewonnen, sind aber noch nicht am Ziel. Verbessern können wir uns grundsätzlich in allen Bereichen, das ist unser Anspruch. Besonders viel Steigerungspotenzial sehe ich in der Digitalisierung, hier können wir über neue Wege Umsatzerlöse erzielen. Mit unserer im November an den Start gegangenen eigenen Videoplattform haben wir zum Beispiel ein neues Angebot bereits geschaffen, das wir weiter ausbauen wollen. (schmunzelt) Und bevor Sie fragen: Beim Thema Investor gibt es keinen neuen Stand.
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Ein Thema, auch wirtschaftlich betrachtet, ist immer mal wieder das Stadion. Gerühmt für seine traditionelle Fußball-Atmosphäre, aber in der Struktur auch in die Jahre gekommen und mit einer Kapazität von rund 27.600 Plätzen nicht gerade lukrativ im Bundesliga-Vergleich.
Villis: Wir sind mit unserem Stadion sehr zufrieden. Es ist ein Unikat, ein Schmuckkästchen. Für Verbesserungen etwa im Hygienebereich und nötige bauliche Maßnahmen sind wir im ständigen, intensiven Austausch mit der Stadt, die ja Eigentümerin des Stadions ist. Aber es ist in den nächsten Jahren nicht geplant, das Stadion auszubauen oder sogar ein neues Stadion zu bauen.
Mit Kaenzig und Schindzielorz längerfristig zusammenarbeiten
Sebastian Schindzielorz und Ilja Kaenzig, beide seit Anfang 2018 Geschäftsführer, stehen nach unseren Informationen noch bis Ende 2022 (Schindzielorz) und Sommer 2023 (Kaenzig) unter Vertrag. Erfolg weckt bekanntlich Begehrlichkeiten. Sport-Geschäftsführer Schindzielorz etwa wurde gerüchteweise schon mit dem FC Genua in Verbindung gebracht. Laufen Gespräche über Vertragsverlängerungen?
Villis: Wir sind in einem ständigen Austausch. Wir schätzen die Arbeit von Sebastian Schindzielorz und Ilja Kaenzig sehr und möchten gerne mit beiden längerfristig zusammenarbeiten. Wasserstandsmeldungen zu Vertragskonstellationen geben wir aber nicht ab.
Villis kann sich erneute Kandidatur fürs Präsidium gut vorstellen
Das Präsidium bestellt die Geschäftsführer. Die Mitglieder wählen das Präsidium. Bei der nächsten Mitgliederversammlung im Herbst 2022 stehen Präsidiums-Wahlen an. Kandidieren Sie erneut?
Villis: Diese Frage hat aktuell keine Priorität. Unser Fokus liegt ganz auf unserem großen Ziel, den Klassenerhalt zu schaffen. Danach ist noch genug Zeit, sich über eine erneute Kandidatur intensiver Gedanken zu machen. Grundsätzlich aber kann ich schon sagen, dass ich weiterhin große Lust habe, mich der Verantwortung beim VfL Bochum längerfristig zu stellen. Aber letztlich entscheiden darüber zunächst die Findungskommission und anschließend die Mitgliederversammlung.
Welche Schlagzeile wollen Sie im nächsten Jahr lesen über den VfL Bochum?
Villis: „Der VfL Bochum hat sich in der Bundesliga etabliert.“ Wenn das im Mai feststeht, sind wir alle stolz und zufrieden.