Bochum. Thomas Reis, Trainer des VfL Bochum, spricht im großen Interview über Wünsche, Losillas Erben, Bella-Kotchap, Spielstil, Paderborn.
Die Bundesliga ist komplett: Kiel hat gegen den 1. FC Köln mit 1:5 verloren. Neben dem VfL Bochum steigt nur Greuther Fürth auf. Thomas Reis, der Trainer des Zweitliga-Meisters, erklärt im großen Interview, wie er mit seinem Team die Herausforderung Bundesliga bewältigen will.
Herr Reis, der Aufstieg ist rund eine Woche her. Haben Sie ihn schon richtig realisiert?
Thomas Reis: Es ist noch schwer zu packen, was wir da gemeinsam erreicht haben. Wenn ich einkaufen gehe im Supermarkt, sprechen mich die Leute an. Sie sind happy, das ist ein schönes Gefühl. Aber ich hatte in dieser Woche viele Termine. Für Interviews wie jetzt zum Beispiel (lacht). Das macht man gerne, aber richtig runtergekommen bin ich noch nicht. Wir haben etwas Tolles erreicht, das dürfen alle genießen. Aber bei aller Euphorie weiß ich auch, dass Fußball ein Tagesgeschäft ist. Ich habe auch nicht vergessen, dass ich in meinen ersten Monaten von einigen auch sehr kritisch gesehen und von manchen Fans auch durchbeleidigt worden bin. Wir freuen uns auf die Bundesliga, aber wir wissen auch, dass wir hart arbeiten müssen, um dort zu bestehen. Das muss jedem bewusst sein.
Sie haben im WAZ-Interview vor der vergangenen Saison gesagt, dass alles möglich sei, „wenn alles perfekt zusammenpasst“. Platz eins mit 67 Punkten, attraktiver Fußball: War alles perfekt?
Reis: Nicht alles, das wird nie der Fall sein. Aber es ist schon sehr viel sehr gut gelaufen. Mehr als Meister können wir nicht werden, und das mit einem in der 2. Liga nur durchschnittlichem Budget. Das hat die Mannschaft grandios gemacht.“
Das Saisonziel 2021/22 dürfte diesmal von Beginn an klar sein.
Reis: Die Bundesliga soll keine Eintagsfliege sein. Das wird schwer genug, aber das ist mein Anspruch. Vom Budget her bewegen wir uns in etwa auf Augenhöhe mit Fürth und dem Etat von Bielefeld in dieser Saison. Wir wollen drei Teams hinter uns lassen und länger als nur ein Jahr in der Bundesliga bleiben. Bielefeld könnte uns in gewisser Hinsicht als Vorbild dienen. Die Arminia hat Großartiges geleistet und völlig verdient die Klasse gehalten. Als Team. So haben wir es auch auf Platz eins der 2. Bundesliga geschafft. Bei uns ist etwas zusammengewachsen. Wir denken positiv, das müssen wir beibehalten. Wir müssen nicht alle befreundet sein, aber wir müssen auf dem Platz Vertrauen zueinander haben. Jeder muss bereit sein, Defizite des einzelnen Spielers, eventuell seines Nebenmannes, mit seinen Qualitäten auszubügeln. Etliche Mannschaften werden uns in ihrer individuellen Qualität überlegen sein. Aber in einem Spiel kann Mentalität auch Qualität schlagen. Wichtig wird sein, dass wir uns auf jedes Spiel freuen, mit Spaß Fußball spielen. Wir wollen nicht wie das berühmte Kaninchen vor der Schlange stehen.
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Wie soll das gelingen? Andere Klubs haben teils deutlich mehr Geld, aber trotzdem auch eine gewisse Mentalität.
Reis: Wir werden unsere Philosophie nicht über den Haufen werden, sie aber je nach Gegner anpassen. Die Bundesliga ist eine Qualitätsliga, die 2. Liga eine Mentalitätsliga. Wir müssen viele Dinge noch besser machen.
Zum Beispiel?
Reis: Wir müssen die Fehler minimieren, auch die individuellen Fehler, gerade im defensiven Bereich. In der 2. Liga werden diese Fehler vielleicht nicht so oft bestraft – in der 1. Liga ist der Prozentsatz deutlich höher, die Chancenverwertung besser. Alles geht viel schneller. Das haben wir zum Beispiel beim Pokalspiel in Leipzig zu spüren bekommen. Wir habe junge Spieler, die sich toll weiterentwickelt haben, deren Lernprozess aber noch lange nicht abgeschlossen ist.“
Sie meinen in diesem Kontext die Innenverteidiger Maxim Leitsch und Armel Bella-Kotchap, die aber längst das Interesse anderer Klubs geweckt haben. Droht nicht ihr Abgang?
Reis: Ich gehe davon aus, dass sie bleiben, sie haben ja auch einen Vertrag. Sie können bei uns viel Einsatzzeit bekommen, wenn ihre Leistung stimmt. Sie haben die große Chance, bei uns den nächsten Schritt zu gehen. In der Bundesliga haben sie ja noch nicht gespielt.
Der VfL hat in dieser Saison auch fußballerisch überzeugt. Mit Offensivgeist, mit viel Ballbesitz, mit frühem Anlaufen, mit einem klaren 4-2-3-1-System. Ändert sich die Statik, muss der VfL flexibler werden, auch taktisch?
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Reis: Ein System muss zu den Spielern passen, und dieses System war das beste für unsere Mannschaft. Weil alle wussten, wie sie sich auf ihrer Position zu verhalten haben. Aber es ist nur eine Grundordnung, die Grenzen sind fließend. Offensiv könnte man auch von einem Sechser und einem diametralen Achter sprechen statt von einer Doppelsechs (lacht). Klar ist: Wir wollen auch in der Bundesliga aktiv sein und aktiv verteidigen. Ob wir jeden Gegner dann gleich am Sechzehner anlaufen, ist eine andere Frage. Die Verteidiger in der Bundesliga haben eine viel höhere Ruhe am Ball und sind eher in der Lage, von hinten heraus schnell nach vorne zu spielen. Paderborn hatte nach dem Aufstieg seinen Spielstil durchgezogen, hatte viel Lob bekommen für seinen offensiven Ansatz, ist am Ende aber abgestiegen. Wir könnten auch mal tiefer stehen, dürfen dabei aber nicht passiv werden. Wichtig ist, dass wir keine Löcher bieten, dass wir kompakt und eng bleiben, dass auf jeder Position jeder seine Aufgabe kennt und umsetzt. Das werden wir den Spielern in der Vorbereitung noch schärfer einprägen als wir es bisher schon getan haben. Wir wollen guten Fußball spielen, müssen aber auch an der einen oder anderen Stellschraube drehen.
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Ist Tempo das A und O?
Reis: Wenn man Tempo hat, aber Krach mit dem Ball, hilft das auch nicht. Aber Geschwindigkeit gibt Sicherheit, so kann man Fehler etwa im Stellungsspiel eher ausbügeln. Bei Ballgewinn haben wir zwei Möglichkeiten: Ballbesitz und Umschaltspiel. Wir haben schnelle Offensivspieler wie Gerrit Holtmann, Danny Blum oder Christopher Antwi-Adjei. Diese Dynamik wollen wir nutzen.
Womit lockt der VfL neue Spieler – mit Geld ja eher nicht.
Reis: Wer zu uns kommt, muss mit Sicherheit auch nicht am Hungertuch nagen. Aber vor allem bieten wir guten Spielern, die woanders vielleicht nur auf der Bank sitzen würden, eine starke Perspektive, sich auf höchstem Niveau zu zeigen. Wir sind ein Traditionsverein mit einer tollen Fan-Kultur und einem tollen Stadion. Wer in Bochum mal vor ausverkauftem Haus gespielt hat, der weiß das.“
Der Kader soll und muss noch verstärkt werden. Antwi-Adjei ist der erste Neuzugang.
Reis: Er vereint das, was wir wollen. Tempo, Flexibilität in der Offensive, Bundesliga-Erfahrung. Er ist hungrig und lernwillig, hat einen starken Charakter.
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Als Trainer hat man gemeinhin aber viele Wünsche.
Reis: Wir müssen den Konkurrenzkampf auch auf anderen Positionen erhöhen. Im Mittelfeldzentrum zum Beispiel ist Bedarf. Wir versuchen, Spieler zu finden, die perspektivisch auch in die Fußstapfen eines Anthony Losilla oder Robert Tesche treten können. Wir haben derzeit aber 28 Spieler unter Vertrag. Man wird sehen, ob der eine oder andere den Verein verlässt oder verliehen wird, um mehr Spielpraxis zu bekommen. Wer zu uns kommt, muss hungrig sein, muss Bock auf den VfL haben und sportlich die Konkurrenzsituation erhöhen. Davon profitieren alle. Letztlich muss aber alles passen, sportlich, charakterlich und natürlich auch wirtschaftlich.
Ist im Sturmzentrum auch Bedarf – oder setzen Sie auf Silvere Ganvoula als back-up von Simon Zoller?
Reis: Silvere hat noch einen langfristigen Vertrag. Er hatte kein gutes Jahr, da spielten auch viele Nebengeräusche eine Rolle. Er hat sich aber immer tadellos verhalten. Ich traue ihm die Bundesliga absolut zu, sie liegt seinem Typ eher als die 2. Liga. Er kann Gegenspielern Respekt einflößen.
Bis zum Trainingsauftakt am 28. Juni sind es noch vier Wochen. Vermissen Sie die Mannschaft schon?
Reis: (lacht) Nein. Und die Spieler werden mich auch nicht vermissen. Es tut uns allen gut, jetzt mal Zeit für sich, mit den Liebsten zu verbringen. Ich werde im Juni auch mal ein paar Tage mit meiner Frau Carina verreisen und das Handy weitgehend abschalten. Nur mit Sesi (Sebastian Schindzielorz, Sport-Geschäftsführer, die Red.) bleibe ich natürlich ständig in Kontakt.