Bochum. VfL-Trainer Robin Dutt erkennt eine positive Entwicklung in Bochum, mahnt aber auch zu Geduld. Eine Zauberformel habe er nicht in der Tasche.
Den zwei Dämpfern gegen den FC St. Pauli und Union Berlin folgte für den VfL Bochum ein versöhnlicher Jahresausklang mit dem etwas unerwarteten 3:2-Erfolg beim 1. FC Köln. Die WAZ fragte VfL-Trainer Robin Dutt anschließend, wie er die bisherige Spielzeit einordnet.
Mit welchen Worten würden Sie die Hinrunde beschreiben?
Robin Dutt: Ich glaube, dass wir uns in den fünf Teilbereichen, die der Fußball hergibt – eigener Ballbesitz, gegnerischer Ballbesitz, Umschalten nach Balleroberung, Umschalten nach Ballverlust und Standards – unterschiedlich gut entwickelt haben. Eine absolute Top-Entwicklung haben wir bei eigenem Ballbesitz gemacht, trotz des Abgangs von Kevin Stöger haben sich die Abläufe automatisiert. Ich finde es gut, wie die Mannschaft bei eigenem Ballbesitz agiert. Kritikpunkt ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch die Chancenverwertung, die könnte besser sein. Womit ich überhaupt nicht zufrieden bin, das sind die Standardsituationen. Wir haben in der Vorrunde ganz wenige Tore nach Standards erzielt, da fehlt uns der eine oder andere Punkt. In den Bereichen gegen den Ball gab es Hoch und Tiefs. Natürlich gab es die sieben Zu-Null-Spiele, aber es gab auch Spiele, in denen wir zu viele Fehler gemacht haben, wenn der Gegner am Ball war. Das war ordentlich, aber es gibt Luft nach oben im Spiel gegen den Ball. Das Pressing ist sehr gut, das Strafraumverhalten muss aber noch optimiert werden. Im Umschaltverhalten rückwärts sind wir sehr gut ins Gegenpressing gekommen. Das ist wichtig, da kommt in den Heimspielen von den Zuschauern oft ein direktes emotionales Feedback. Im Umschaltverhalten nach vorne ist auch noch Luft nach oben. Da könnten wir die Konter zielstrebiger spielen.
Ist denn die Lernfähigkeit so weit vorhanden, dass noch etwas geht?
Dutt: Unbedingt. Die Mannschaft ist am weitesten dort, wo es am kompliziertesten ist: in Ballbesitz. Das spricht schon sehr für die Spielintelligenz der Spieler. Bei allen Wünschen und Träumen wäre es auch wahrscheinlich unangemessen, im Jahr 2018 vom Klassenerhalt im Februar als Ziel ausgehend, zu erwarten, dass alle fünf Teilbereiche in dem Tempo voranschreiten, wie es in dem einen der Fall ist. Das hätte fast schon mit Zauberei zu tun.
Können denn die erfahrenen Spieler überhaupt noch so viel dazu lernen?
Dutt: Vielleicht ist „lernen“ der falsche Ausdruck. Es geht eher darum, die Abläufe noch weiter zu automatisieren im Umschaltverhalten nach vorne und dass man den Mut hat, einen Spielzug auch zu Ende zu spielen.
Vor dem Köln-Spiel hätte man auf die Idee kommen können, dass der letzte Schritt fehlt.
Dutt: Wir versuchen mit allem Maß aufs Tempo zu drücken, aber man muss dem Verein, der in den letzten acht Jahren mehrheitlich nicht unter den ersten fünf Mannschaften zu finden war, einfach Zeit geben, auch mehrere Jahre. Ich verstehe den Anspruch der Fans und des Umfelds eher als Kompliment und Ansporn, aber die Entwicklung hat nicht nur mit den Profis, sondern auch mit dem Nachwuchs zu tun.
Zeit ist im Fußball so eine Sache. Es geht ja immer um Hoffnungen und Erwartungen, auch oft um enttäuschte Hoffnungen.
Dutt: Manchmal ist das direkte Feedback nicht so repräsentativ. Ich versuche die 10 Prozent Daueroptimisten und 10 Prozent Dauerpessimisten zu streichen. Wenn ich die restlichen gefühlten 80 Prozent nehme, dann bin ich gerade nach den letzten Spielen angenehm angetan, wie reflektiert und differenziert dort mit uns umgegangen wird. Ich bin es durchaus gewohnt, dass man nach zwei verlorenen Spielen sofort mal in die Pfanne gehauen wird. Das habe ich bisher hier weder von den eigenen Fans noch von den Medien erfahren. Es wird sehr differenziert berichtet. Zwei Gründe habe ich dafür ausgemacht: Dass man der Mannschaft eine gewisse Mentalität zuspricht, auch Lauffreudigkeit und Willen, und dass die Leute ein Fußballspiel sehen, das ihnen grundsätzlich Spaß macht und mit dem sie sich identifizieren können. Eine Mannschaft, die viel läuft und trotzdem einen gepflegten Fußball spielt. Aber ich bin mir bewusst, dass das nicht unendlich so geht. Nach sechs, sieben Niederlagen sieht das anders aus.
Damit müssen Sie sich im Moment aber nicht befassen.
Dutt: Bei den mittleren 80 Prozent verspüre ich Vertrauen. Das Arbeiten ist angenehm, was ich aber eher als Verpflichtung verstehe. Deshalb versuche ich der Mannschaft zu vermitteln: Lasst uns diese Zeit nutzen, um Gas zu geben. Ich bin nicht derjenige, der eine Zauberformel in der Tasche hat. Ich versuche meine Mitarbeiter zur Höchstform zu bringen, das hat viel mit Vertrauen und Motivation zu tun. Ich möchte nicht verstanden werden als jemand, der vier, fünf taktische Kniffe auspackt, und deswegen schießen wir jetzt durch die Decke. So ist es nicht.
Es ist auffällig, dass bis Köln die Resultate gegen die Spitzenteams zumeist negativ ausfielen. Woran liegt es? An der Konsequenz, an der Überzeugung?
Dutt: An der Überzeugung liegt es nicht, dafür haben wir einige Spiele zu sehr dominiert. Aber es stimmt, die Ergebnisse bis Köln waren gegen Spitzenteams überwiegend negativ, wobei wir gegen Kiel bis in die Nachspielzeit geführt haben und auch in Hamburg einen Punkt mitnehmen konnten. Aber es lässt sich auch nicht wegreden. Ich glaube, dass diese Mannschaften eher Fehler ausnutzen als andere. Da ist deutlich zu sehen, dass wir in diesen Spitzenspielen besser stehen und unsere Chancen noch besser nutzen müssen. Hat ja gegen Köln auch geklappt.
Es ist viel Personal weggebrochen. Wenn das nicht so gewesen wäre, würde es reichen, hätte man dann die Qualität für ganz oben?
Dutt: Das ist hypothetisch. Man weiß es nicht. Da muss man ganz vorsichtig sein. Wenn es so wäre, müssten wir ja im März oder April, wenn alle wieder fit sind, sagen: So, jetzt müssen wir jedes Spiel gewinnen. Aber die Gegner werden deshalb ja nicht schlechter sein. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass du mehr holst, wenn alle fit sind. Aber das spielt sich alles im Konjunktiv ab.
Mit wem ist denn zu rechnen im Januar?
Dutt: Bei Basti Maier hoffen wir sehr, dass er im Januar mit dem regulären Training anfängt, vielleicht auch Maxim Leitsch. Pantovic und Eisfeld werden dann wohl nur Teile des Trainings machen können. Dafür brechen Lee und Kruse ja wegen des Asien-Cups auf unbestimmte Zeit weg. Wir brauchen also schon fast die Genesung der anderen, um nicht noch schlechter dazustehen als jetzt. Aber wir werden im neuen Jahr eine feste U19-Gruppe im Training dazu nehmen. Vier Spieler aus dem jüngeren Jahrgang werden dabei sein, einer aus dem älteren. Wir versuchen den Prozess der Eingliederung etwas früher einzuleiten.
Wer sind die fünf Spieler?
Dutt: Torhüter Paul Grave, Moritz Römling, Lars Holtkamp, Armel Bella Kotchap und der Kapitän der U19, Jan Wellers.
Es laufen 13 Verträge aus. Wie groß ist denn Ihr Optimismus, dass die Spieler, die Sie gerne halten würden, auch tatsächlich bleiben werden?
Dutt: Bei jedem, bei dem es eine Chance gibt, dass er bleibt, wird Sesi diese Chance nutzen, ihn zu halten. Wenn es keine Chance gibt, dann ist das eben so, das müssen wir auch akzeptieren.
Was können wir noch von der zweiten Saisonhälfte erwarten?
Dutt: Der Start in die Rückrunde war schon mal positiv. Aber ich möchte gar nicht in dieser Tabellen-Kategorie denken. Wir haben so einen kleinen fruchtbaren Boden. Ich möchte, dass wir das Pflänzchen mit gutem Fußball weiter nähren. Und dass wir die Stabilität, die wir trotz allem hatten, halten, nämlich damit im oberen Tabellenbild bleiben. Es kann sein, dass du mit dem vierten Rang, wenn er irgendwie hingewurschtelt ist, unzufrieden und mit dem siebten Rang zufrieden bist. Ich möchte vor allem sehen, dass wir unseren Tabellenplatz mit Leistung untermauern. Das stellt mich eher zufrieden. Jetzt spielen wir noch einmal einen anderen Fußball als in der letzten Saison, es geht nicht mehr nur über Pressing. Von der Spielidee ist das jetzt schon mehr so, wie ich es mir vorstelle