Bochum. Früher spielte Alexander Merkel mit dem AC Mailand in der Champions League. Jetzt sitzt er beim VfL Bochum meist auf der Bank. Ein Interview.
Hin und wieder dringt er durch, der Ansatz eines italienischen Akzents. Wenn man bei Alexander Merkel ganz genau hinhört. Vielleicht ist das aber auch eine subjektive Wahrnehmung. Denn immer noch verbindet man mit dem Mittelfeldspieler vom Zweitligisten VfL Bochum seine lange Zeit in Italien, die in der Jugend beim AC Mailand begann, als er blutjunge 16 Jahre alt war. Eine Zeit, in der er italienischer Meister wurde und sogar in der Champions League endete. Eine Zeit, in der er sich den Ruf als Wandervogel erwarb – unfreiwillig. Eine Zeit, die beim AC Pisa endete, als er dort etwas mehr als eine Woche unter Vertrag stand, dann aber wegen des Zerwürfnisses von Trainer Gennaro Gattuso mit Pisas Präsidenten gehen durfte.
Dann meldete sich der VfL Bochum. Merkel nahm das Angebot aus dem Ruhrgebiet an, unterschrieb an der Castroper Straße. Er wollte nach seinem Kreuzbandriss, der ihn zu einer mehr als ein Jahr dauernden Pause gezwungen hatte, wieder Fußball spielen. So wurde aus dem Serie-A-Spieler ein deutscher Zweitliga-Spieler.
Er sei an einem Punkt seiner Karriere falsch abgebogen, schrieb ein Stuttgarter Medium vor dem Auswärtsspiel der Bochumer beim dort ansässigen VfB, den Merkel als Jugendspieler damals verließ. Das mache man daran fest, dass er beim VfL nicht einmal mehr einen Platz auf der Bank habe.
Starker Tobak für einen 25 Jahre alten Fußballer, der in seiner Karriere schon so viel erlebt hat und der immer wieder neu angreifen musste. Wir sprachen mit dem ehemaligen deutschen Junioren-Nationalspieler.
Alexander Merkel, der VfL Bochum ist Ihre siebte Station in nur sechs Jahren. Kann man von Ihnen behaupten, dass Sie ein Kämpfer sind?
Alexander Merkel: Ja, ich denke generell schon. Aber jeder Spieler, der neu zu einem Verein kommt, muss um seinen Platz kämpfen. Wenn du irgendwo hingehst und schon damit zufrieden bist, dass du dort bist, bist du fehl am Platz. So viele Stationen durchlaufen zu haben, war ein Reifeprozess. Ich kenne mich jetzt ein bisschen damit aus (lacht).
Viele dieser Stationen haben Sie in Italien durchlaufen. Wie würden Sie die Verhältnisse dort beschreiben?
Merkel: In Italien machen die Präsidenten die Geschäfte untereinander. Das ist schon kurios, als Spieler kannst du nichts dagegen sagen, weil der Präsident der Alleinherrscher ist. Das ist in Deutschland anders.
Waren Sie auf so eine Situation vorbereitet? Sie waren erst 16 Jahre alt, als Sie nach Italien gegangen sind.
Merkel: Am Anfang war ich ja noch in der Jugend und bin damit nicht in Berührung gekommen. Bei den Profis war das teilweise schon eiskalt. Dann wird man damit konfrontiert und dir wird vor einem Wechsel gesagt: „Entweder machst du das jetzt, oder du trainierst nicht mit der Mannschaft und sitzt laufend auf der Tribüne.“
Es gibt Spieler, die in solchen Situationen von Menschenhandel gesprochen haben. Warum haben Sie das nie getan?
Merkel: Du kannst es schon tun, aber das ist dann nicht der richtige Schritt. Wenn man in Italien lebt und Fußball spielt, ist das nichts Besonderes.
Es war letztlich eine etwas chaotische Situation, durch die Sie letztlich zum VfL Bochum gekommen sind. Beschreiben Sie uns doch, wie damals mit Ihnen umgegangen wurde.
Merkel: Ich habe in Pisa unterschrieben, weil mein Ex-Mitspieler Gennaro Gattuso dort Trainer war. Nach sieben Tagen ist er zurückgetreten. Ich bin ja nur wegen des Trainers dorthin gegangen. Und dann durfte ich eben auch gehen.
Und dann meldete sich der VfL Bochum bei Ihnen? Was war der erste Gedanke?
Merkel: Es klang sehr gut. Der VfL hatte in der Saison davor gut abgeschnitten und schönen Fußball gespielt. Und es war gut, mal wieder in Deutschland, in der Nähe meiner Heimat zu sein.
Sie waren vorher ein Jahr lang verletzt. Ging es zu diesem Zeitpunkt für Sie nur noch darum, schnell wieder Fußball spielen zu können?
Merkel: Ja, das war eigentlich bei Pisa schon mein Ziel. Da hatte ich einen Trainer, der auf mich gebaut hätte. Ich wollte unbedingt wieder spielen.
Hätten Sie das auch noch einmal bei einem italienischen Klub versucht?
Merkel: Ich war wirklich froh, dass es mit dem VfL Bochum geklappt hat und ich wieder in Deutschland war.
Im Internet wurden Sie hier und da als Wandervogel bezeichnet. Nervt das?
Merkel: Es ist natürlich kein schönes Zeichen, wenn ein Spieler so oft wechselt. Ich konnte aber eigentlich gar nichts dafür. Und so verrückt es klingt: Es gibt Spieler, die in meinem Alter schon öfter den Verein gewechselt haben als ich. Ich kann damit leben, weil ich eben die Hintergründe kenne.
Als Sie nach Bochum kamen, haben Sie angekündigt, sesshaft werden zu wollen. Steht diese Aussage?
Merkel: Ich habe einen Vertrag bis 2018, den ich erfüllen will. Ich möchte zu mehr Spielanteilen kommen und natürlich mannschaftlichen Erfolg haben. Es ist ja nicht unser Anspruch, im unteren Mittelfeld zu stehen.
Stichwort Spielanteile: Sie kamen zunächst überwiegend auf der rechten Seite statt im zentralen Mittelfeld zum Einsatz. Hat Ihnen das den Anfang beim VfL etwas erschwert?
Merkel: Ich habe diese Position vorher noch nicht gespielt. Das war nicht einfach. Aber ich habe mich angepasst. Und ja: Eigentlich bin ich im zentralen Mittelfeld zuhause. Mittlerweile habe ich es ja verinnerlicht, wie ich mich schnell an neue Dinge gewöhne (lacht).
Sie standen zuletzt in Stuttgart nicht im Kader, waren angeschlagen. Ist das Verletzungspech ihr treuester und gleichzeitig nervigster Begleiter?
Merkel: In dieser Saison, darüber bin ich sehr froh, sind es nur Kleinigkeiten. Zum Beispiel die leichte Verletzung an der Wade, die ich vor dem Stuttgart-Spiel hatte.
In so einer Situation treten auch die auf den Plan, die sagen „Früher Champions League, jetzt sitzt er auf der Bank.“ Wie gehen Sie damit um?
Merkel: Das ist okay, ich akzeptiere das. Jeder kann sich äußern, wie er will. Kritik muss man einstecken können. Das ist im Fußball eben so: Heute bist du der Held, zwei Tage später nicht mehr. Umgekehrt kann es aber auch laufen.
Geben Sie uns doch einen Einblick: Wie steht es um Ihren Gesundheits- und Fitnesszustand?
Merkel: Ich spüre noch leichte Schmerzen in der Wade, bin aber sonst in einem guten körperlichen Zustand.
Wie zufrieden sind Sie mit sich selbst nach den ersten Monaten in Bochum?
Merkel: Ich kann natürlich nicht zu hundert Prozent zufrieden sein, das ist ja klar. Ich hatte ein paar gute Spiele, aber meine Leistungen müssen konstant werden. Und natürlich – wie gesagt – hoffe ich auf mehr Einsatzzeiten. Ich weiß, dass das schwierig ist. Wir haben einen 30-Mann-Kader, jeder will spielen, jeder hat große Qualität. Aber es geht noch besser, auch und gerade für mich.
Sehen Sie diese Saison als Übergangsjahr in Ihrer Karriere?
Merkel: Ich bin ja erst später dazu gekommen, wusste also, dass ich mich anpassen muss. Und nach einer langen Verletzungspause geht nicht immer alles so schnell, wie man es sich eventuell wünscht.
Heißt das, dass Sie in der kommenden Saison richtig angreifen?
Merkel: Daran denke ich noch gar nicht. Wir müssen erst einmal die Rückrunde vernünftig zu Ende spielen.
Schauen wir doch auf diese Saison. Kann man als Mannschaft damit zufrieden sein?
Merkel: Als Mannschaft kann uns die bisherige Saison nicht zufrieden stellen. Von jedem von uns ist es das Ziel, unter den ersten Fünf zu spielen. Das Potenzial dafür haben wir.
Sie sagen, dass das Potenzial da ist. Sehen wir vom Verletzungspech ab: Was muss die Mannschaft noch besser machen?
Merkel: Naja, das klingt so, als wäre es nicht schwerwiegend, dass wir so viele Verletzte hatten und noch haben. Wenn viele Stammspieler ausfallen, bekommen selbst gestandene Mannschaften Probleme. Aber es ist richtig, dass wir insgesamt einige Punkte liegengelassen haben. Mal durch bittere Gegentore wie gegen Düsseldorf in allerletzter Sekunde, mal durch Schiedsrichterfehlentscheidungen wie in Hannover, mal in Unterzahl wie in Stuttgart, oft aber auch durch Unaufmerksamkeiten oder individuelle Fehler. Und die abzustellen ist unser gemeinsames Ziel. Da klammere ich niemanden aus, auch mich nicht. Aber dass junge Mannschaften – und wir haben die jüngste Mannschaft der 2. Bundesliga – solchen Schwankungen ausgesetzt sind, gehört zum Entwicklungsprozess, den wir gerade durchlaufen. Es macht ja niemand absichtlich Fehler, sondern eher aus Unerfahrenheit. Gegen Aue können wir beweisen, dass wir gelernt haben und erfolgreich sind. Und das wollen wir auch.
Wenn Sie wieder völlig auf der Höhe sind – was macht Sie als Spieler aus, der auch in der 2. Bundesliga erfolgreich sein kann?
Merkel: Ich denke, ich kann ein Spiel gut lesen, bin beim Ballbesitz stark. Aber ich weiß, dass ich das jetzt auch unter Beweis stellen muss.