Grassau. Trotz seiner Rolle als Anführer erhebt Kevin-Prince Boateng keine Ansprüche auf Sonderbehandlung. Im Interview spricht er über den respektvollen Umgang im Team, den Social-Media-Kontakt zu den Fans, seinen Imagewandel und die verpasste WM-Chance mit Ghana.
Kevin-Prince Boateng sagt von sich selbst, er sei “chronisch pünktlich”. Das ist auch so: Der 27 Jahre alte Mittelfeldstar von Schalke 04 kommt auf die Minute und nimmt sich viel Zeit für ein exklusives Gespräch im Trainingslager des Fußball-Bundesligisten in Grassau.
Herr Boateng, als Kind haben Sie in Berlin für Sebastian Deisler geschwärmt. Das war so ein ganz anderer Typ, als Sie es sind.
Kevin-Prince Boateng: Wieso? Das war doch auch ein sehr guter Spieler. (lacht)
Deisler war aber eher scheu. Und er wollte nie der Anführer sein, der Sie sind.
Boateng: Ich habe ihn mir auch nur als Spieler angesehen. Ich war oft beim Training von Hertha und habe da zugeschaut. Einmal hat er mir sogar ein Paar von seinen Schuhen geschenkt.
Sind Sie der geborene Anführer? Waren Sie das schon in Ihren Jugendmannschaften?
Boateng: Ich würde nie über mich sagen, dass ich ein Leader bin - in diese Rolle wächst man rein. Es war einfach so, dass ich schon in jungen Jahren eine gewisse Anziehungskraft hatte in dem Sinne, dass andere mir vertrauen konnten und mir deshalb in gewissen Situationen auch gefolgt sind. Das hat mit meiner Ausstrahlung zu tun und auch damit, dass ich immer meine Meinung sage und vorangehe.
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Und wie kann man sich das heute vorstellen? Hören auf Schalke alle zu, wenn Sie mit Ihren Teamkollegen sprechen?
Boateng: Natürlich hören bei mir alle zu, aber das ist auch so, wenn ein anderer spricht. Wir haben ja mehrere gestandene Profis, die alle mal das Wort ergreifen. Und das Gute bei uns ist: Jeder hat Respekt vor dem anderen.
Wird dann auch mal Spaß gemacht?
Boateng: Zu 80 Prozent wird geflachst, wenn wir beim Essen sitzen oder Freizeit haben. Auf dem Platz müssen wir ganz ernst sein, aber sobald wir außerhalb sind, merkt man, was für lustige Charaktere wir haben.
Schalkes Boateng liebt die Zehn, nimmt aber auch die Sechs - "So etwas entscheidet nur der Trainer"
Schalkes Vereinschef Clemens Tönnies hat Sie den Leuchtturm des Teams genannt. Was bedeutet das für Sie?
Boateng: Es macht mich stolz, wenn unser Aufsichtsratsvorsitzender mich so sieht. Leuchttürme ragen ja gewissermaßen etwas heraus. Das nehme ich gerne an. Und ich denke, ich habe meine Aufgabe im letzten Jahr nicht so schlecht gemacht.
Leiten Sie aus dieser exponierten Stellung auch Ansprüche ab? Zum Beispiel haben Sie nach der letzten Saison gefordert, dass Schalke sich weiter verstärken sollte.
Boateng: Ich würde mich niemals in die Einkaufspolitik von Schalke 04 einmischen, aber natürlich freut man sich über Neuzugänge, die der Mannschaft weiterhelfen. Wir haben das Glück, dass wir drei starke Zugänge haben. Ich glaube nicht, dass das daran lag, dass Klaas (Huntelaar, die Red.) und ich es angeregt haben. Aber Fakt ist, dass wir jetzt eine richtig gute Truppe zusammen haben.
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Erlaubt es Ihnen Ihre Stellung auch, Wünsche zu äußern in der Art, dass Sie gerne wieder auf der Zehn spielen möchten?
Boateng: Jeder Spieler kann Wünsche äußern. Aber ob die erfüllt werden, entscheide nicht ich, sondern der Trainer. Er kennt meine Meinung und schätzt sie.
Diskutieren Sie mit Jens Keller offen über solche Dinge?
Boateng: In der vergangenen Saison kam der Trainer zu mir und meinte, dass er mich auf der Sechs braucht. Ich habe ihm ganz offen gesagt, dass ich lieber auf der Zehn spiele. Aber ich sollte auf der Sechs aushelfen, weil die Mannschaft mich da gebraucht hat. Und dann gibt es auch gar keine weiteren Diskussionen.
Das gilt auch in Zukunft?
Boateng: Wie gesagt: Die Zehn liebe ich. Die Sechs muss ich - vielleicht. Aber so etwas entscheidet nur der Trainer und dann wird es auch respektiert.
Boateng: "Ich bin nicht Weltmeister, die anderen sind Weltmeister, und damit finde ich mich ab."
Wäre nach der für Sie enttäuschenden WM nicht Ihr Rücktritt aus Ghanas Nationalteam konsequent gewesen?
Boateng: Nein. Es ist doch schön, dass ich einmal ruhig abwarten kann, was passiert: Ghana hat mich suspendiert, das war eine konsequente Maßnahme der Offiziellen, und wenn sie eines Tages wieder anfragen sollten, werde ich mich damit beschäftigen. Ich kann heute nicht sagen, ob ich jemals wieder für Ghana spiele.
Eigentlich stellt man sich das so vor: Einen Boateng gibt’s nur ganz oder gar nicht.
Boateng: So bin ich ja auch. Ich bin keiner, der zwischen den Zeilen redet. Entweder, man steht zu 100 Prozent zu mir - oder eben nicht. Bei Ghana war das nicht der Fall.
Bedauern Sie die Entwicklung Ihrer Länderspiel-Karriere? Die Generation, mit der Sie für Deutschland in der U21 gespielt haben, ist jetzt Weltmeister. Das hätten Sie auch werden können.
Boateng: Hätte, wenn und aber gibt es in meinem Leben nicht. Ich bin nicht Weltmeister, die anderen sind Weltmeister, und damit finde ich mich ab. Ich habe mich damals aus Überzeugung für Ghana entschieden. Aber ich bin super glücklich, dass Deutschland eine so überragende WM gespielt hat.
Sie haben sehr viel dafür getan, um Ihr Image von früher zu ändern.
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Boateng: Ich habe einfach versucht, mein Leben klarer zu gestalten. Mit den Jahren entwickelt man sich als Mensch weiter, weil man mehr über das nachdenkt, was man sagt und was man macht. Somit wird man reifer und erwachsener. Und dabei helfen auch Kinder und eine gepflegte Beziehung zu Hause.
Hätten Sie sich früher so ein gepflegtes Leben vorstellen können?
Boateng: Ich habe mir das immer gewünscht, aber es ist nicht einfach, wenn man 20 Jahre alt ist, sehr viel Geld verdient und alleine im Leben steht. Heutzutage haben die jungen Spieler es leichter. Sie haben schon früh die richtigen Berater an der Seite und sie haben Vereine, die darauf achten, dass man außerhalb des Platzes Respekt zeigt und sich richtig benimmt.
Schalker Boateng steht auf Twitter und will ein Buch schreiben
Sie sagen, dass Sie sich auf den Job konzentrieren, aber Dinge wie Twitter und Facebook lieben Sie auch?
Boateng: Ich denke, das ist die beste Möglichkeit, mit den Fans zu kommunizieren. Für einen Fan ist es doch schön zu wissen, was wir privat machen, wo wir hingehen, was wir essen. Sonst sehen die Fans uns nur im Fernseher, und das ist doch auf Dauer langweilig. (lacht)
Wird in der Schalker Kabine darüber geflachst, dass Sie wie ein Popstar leben und Ihre Freundin Melissa in den Boulevard-Zeitungen steht?
Boateng: Ja natürlich. Manchmal schlagen die Jungs eine Zeitung auf, sehen dort meine Frau und sagen dann: Wow. Aber darüber kann ich lachen, und ich finde es ja auch selbst schön, wenn meine Frau gut aussieht.
Stimmt es dass Sie zu Ihrer Zeit in Italien sogar einen Bodyguard hatten?
Boateng: Es gab da jemanden, der mich in gewissen Dingen unterstützt hat und in einigen Situationen auch als Bodyguard eingesprungen ist. In Italien sind die Menschen ein bisschen anders: Da bist du wie ein Gott, wenn du als Fußballer auf die Straße gehst. Das ist verrückt. Einmal war ich bei einem Konzert. Als ich vorzeitig nach Hause ging, wurde die Konzerthalle auf einmal leer, weil alle mit mir rausgehen wollten. Zu meiner Zeit in Mailand war ich Publikumsliebling. Da kann es wirklich sein, dass dir 1000 Leute hinterherrennen.
Fühlen Sie sich in Deutschland richtig heimisch?
Boateng: Ja klar, ich bin in Berlin geboren. Ich bin ja Ghanaer und auch Deutscher - und ich bin immer froh, wieder nach Hause zu kommen.
Nach Ihrer Karriere wollen Sie ein Buch schreiben. Was soll da drinstehen?
Boateng: Es gibt so viele Geschichten über mich, da will ich einfach mal meine Sicht der Dinge preisgeben und aufschreiben, wie vieles wirklich war. Ich habe viel zu erzählen, da ich in meiner Karriere schon viele Erfahrungen sammeln durfte.
So schön sind die Spielerfrauen
Zehn Liter Wasser am Tag? Boateng findet: "Es gibt schlimmere Süchte"
Sie haben noch drei Jahre Vertrag in Schalke. Was glauben Sie, können Sie in dieser Zeit erreichen?
Boateng: Ich bin der falsche Ansprechpartner, um Ziele abzustecken. Ich denke immer von Tag zu Tag - man weiß nicht, was morgen passiert. Das wichtigste Ziel, das ich habe: Wir sollten gar nicht erst reden über die Champions-League-Quali oder darüber, besser als im letzten Jahr abzuschneiden. Unser erstes Spiel ist das Pokalspiel in Dresden. Das sollten wir gewinnen.
Wir haben gehört, dass Sie zehn Liter Wasser am Tag trinken. Wie schafft man das?
Boateng: Ich mache das jetzt schon knapp fünf Jahre. Erst waren es sogar 15 Liter am Tag, dann hat mir ein Arzt gesagt, dass das nicht so gesund ist und ich bin runter auf zwölf Liter und jetzt auf zehn. Und nun hat mir unser Ernährungsberater hier auf Schalke gesagt, dass sogar sechs Liter zu viel sind, weil ich dadurch alle Mineralien und Vitamine verliere. Für mich ist das Wassertrinken ein bisschen zur Sucht geworden, aber es gibt bestimmt viel schlimmere Süchte, als eine Wassersucht. Besser zum Beispiel als früher, als ich zwei, drei Liter Cola am Tag getrunken habe.
Müssen Sie nicht ständig zur Toilette?
Boateng: Doch, aber wenn ich morgens aufstehe, haue ich mir trotzdem vor dem ersten Toilettengang direkt wieder eineinhalb Liter rein. Wir haben zu Hause manchmal 50 Liter im Schrank, weil meine Verlobte weiß, wie viel ich trinke. Die flucht dann immer und sagt: Man, ich muss schon wieder Wasser einkaufen.