Gelsenkirchen. Für Julian Draxler zählt derzeit nur eins: Schalke 04. In der Champions League will er Real Madrid die Show vermasseln, in der Bundesliga zu alter Topform zurückkehren. Seine Zukunft lässt er offen. “Ich verlasse mich in erster Linie auf mein Gefühl“, sagt er. Das große Exklusiv-Interview
Julian Draxler lächelt und schaut keck auf sein Smartphone: „Ich rufe ihn mal eben an.“ In seinem Telefon ist die Nummer von Raúl gespeichert. An diesem Mittwoch kommt Real Madrid zum Achtelfinalspiel der Champions League gegen den FC Schalke 04 in die Arena, und natürlich hat Draxler vor diesem Knüller mit seinem Freund Raúl telefoniert – schließlich war der jahrelang eine Real-Ikone. Im exklusiven WAZ-Interview spricht Draxler (20) vor dem Spiel über Raúl, Real und Ronaldo. Und über seine Zukunft.
Herr Draxler, wir haben gehört, dass Sie ein kleines bisschen für Cristiano Ronaldo schwärmen…
Julian Draxler: Wer tut das nicht? Er ist aktuell der beste Fußballer der Welt, warum sollte man davon nicht begeistert sein? Selbst bei den vielen Weltklassefußballern von Real Madrid sticht er noch heraus.
Was mögen Sie an ihm?
Draxler: Seinen Ehrgeiz, seinen unbedingten Willen. Cristiano war 2008 das erste Mal Weltfußballer, und er hat nicht locker gelassen, bis er jetzt wieder den Goldenen Ball in der Hand hatte. Und ich mag auch sein Auftreten. Spieler wie Zlatan Ibrahimovic oder Cristiano Ronaldo polarisieren die Massen - das gehört für mich beim Fußball einfach auch dazu.
Dann könnte es für Sie ganz sicher keinen besseren Gegner in der Champions League geben, als nun Real Madrid: Kein anderer Verein steht so sehr für die Show…
Draxler: Für uns steht das aber nicht im Vordergrund. Wir hoffen eher, dass wir Madrid die Show vermasseln können. Niemand wird von uns erwarten, dass wir Madrid aus dem Stadion schießen, aber man kann von uns verlangen, dass wir einen großen Kampf liefern und vielleicht ein Ergebnis mitnehmen, das uns für das Rückspiel eine Chance lässt. Dortmund hat es im letzten Jahr vorgemacht, dass auch Madrid zu schlagen ist. Und wir haben vor drei Jahren gegen Inter Mailand gezeigt, was manchmal möglich ist. Wenn wir gegen Madrid weiterkommen sollten, wäre das ein ähnlicher Erfolg.
Die Verbindung zwischen Schalke und Real Madrid ist Raúl. Wie eng ist Ihr Kontakt heute noch?
Draxler: Wir sind Freunde geworden. Es ist nicht so, dass wir uns jeden Abend Gute Nacht sagen, aber bei solchen Gelegenheiten wie nach der Auslosung telefonieren wir schon. Oder wenn’s um Karten für das Rückspiel geht...
Und was sagt Raúl? Wem drückt er die Daumen?
Draxler: Ich rufe ihn mal eben kurz an (lacht). Sein Herz ist bei diesem Spiel gespalten: In den beiden Jahren auf Schalke hat es ihm wirklich gut gefallen, doch die lange Zeit in Madrid hat sicher noch einen größeren Platz in seinem Herzen.
Raúl hat einmal gesagt: Wenn Sie Schalke eines Tages verlassen sollten, würde er Sie gerne im Real-Trikot sehen. Ist das ein Ansporn für Sie?
Draxler: Es macht mich stolz, wenn er das sagt. Real ist der Verein, der weltweit die meiste Aufmerksamkeit bekommt. Doch Raúl sieht mich mit Sicherheit genauso gerne im Schalke-Trikot.
Aber nutzt man solche Spiele wie gegen Real, bei denen die ganze Welt zuschaut, nicht auch zum Vorspielen für die vielleicht ferne Zukunft?
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Draxler: Es ist schon ein Ansporn, der Welt zu zeigen, was man drauf hat. Aber in erster Linie denke ich da nicht an mich, sondern an die Mannschaft. Wir wollen zusammen etwas reißen, und dafür muss jeder Spieler in Top-Form sein. Dazu würde ich nach meiner Verletzung gerne so gut es geht meinen Beitrag leisten, und dann kann ich vielleicht auch persönlich auf mich aufmerksam machen, wenn ich der Mannschaft helfe.
Wie würden Sie Ihre Leistungen in dieser Saison bisher bewerten?
Draxler: In der Bundesliga bin ich den Erwartungen hinterher gehinkt und habe die erste Krise meiner Karriere durchgemacht - nach dem Dortmund-Spiel Ende Oktober war ich in einem Loch. In der Champions League sieht die Bilanz mit vier Toren und zwei Assists besser aus. Nach drei Jahren, in denen es für mich relativ steil nach oben gegangen ist, war es klar, dass irgendwann auch einmal eine solche Phase kommt.
Viele Beobachter führen das auf den Rummel um Ihre Vertragsverlängerung und die Ausstiegsklausel von 45,5 Millionen Euro zurück. Hat Sie dieses Theater im Nachhinein auch gestört oder genervt?
Draxler: Nein, das hat mich gefreut. Ich bleibe dabei, dass die Geschichte mit den LKWs, die durchs Ruhrgebiet gefahren sind, für mich eine große Ehre war. Was aber zwangsläufig damit zusammen hing, waren die gestiegenen Erwartungen. Ich wollte den Leuten zeigen, dass ich mir den neuen Vertrag bis 2018 verdient habe und mich nicht darauf ausruhen. Deswegen habe ich vielleicht ein bisschen zu verkrampft gespielt, weil ich gedacht habe, dass ich jetzt immer etwas Besonderes machen muss und nur noch an Toren und Vorlagen gemessen werde. Ich wollte eher zu viel. Als ich das aus dem Kopf hatte, ist meine Leistung auch wieder besser geworden.
Sind diese Gedanken wirklich aus dem Kopf?
Draxler: Ja, das spüre ich. Jetzt habe ich wieder das Kitzeln in den Füßen. Ich war neun Wochen verletzt - so
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lange wie noch nie in meiner Karriere. Nachdem wir im Herbst alle drei Tage gespielt haben, hat sich mein Körper eine Pause genommen, und die habe ich genutzt, um an mir zu arbeiten. Ich habe viel Krafttraining gemacht, aber ich habe auch vom Kopf her eine frische Motivation entwickelt. Es ist nie Normalität, dass ich alle drei Tage für Schalke spielen darf, aber es liegt einfach in der Natur des Menschen, dass irgendwann Gewohnheit dabei Einzug hält. Doch wenn man das Gewohnte so lange nicht hatte wie ich jetzt in der Zeit meiner Verletzung, dann vermisst man es.
Für Draxler ist die Ausstiegsklausel eine Win-Win-Situation
Wir müssen noch über Ihren Vertrag reden…
Draxler: … meinen Vertrag?
Ja. Manchmal kommt der Eindruck auf, als sei ein Wechsel im Sommer bereits beschlossene Sache. Haben Sie auf Schalke bis 2018 verlängert, um 2014 zu gehen?
Draxler: Natürlich nicht. Ich habe meinen Vertrag verlängert, weil ich mich hier sehr wohl fühle und mir das langfristige Angebot die Wertschätzung gezeigt hat, die ich auf Schalke genieße. Es ist kein Geheimnis, dass ich
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eine Ausstiegsklausel im Vertrag habe und so von Jahr zu Jahr die Möglichkeit besteht, zumindest darüber nachzudenken, was für meine Entwicklung das Beste ist. Natürlich lässt die Klausel auch viel Raum für Spekulationen, aber sie ist für beide Seiten gut. Für Schalke, weil der Verein mich nicht für eine verhältnismäßig geringe Summe gehen lassen muss und so im Fall der Fälle sehr viel Geld bekommen würde. Und für mich ist die Klausel gut, weil ich dadurch die Chance habe selbstständig zu entscheiden, falls ein Verein bereit ist, 45 Millionen für mich zu bezahlen und ich irgendwann eine neue Herausforderung suche.
Wenn Sie entscheiden, was für Sie persönlich das Beste ist: Könnte ein Grund für einen Wechsel sein, dass Sie auf Schalke selten auf der Zehn spielen?
Draxler: Nicht wirklich. Bei den großen Vereinen Europas, zu denen es mich eventuell mal hinziehen wird, gibt es ja auch jetzt schon Spieler auf der Zehn, die Weltklasseformat haben.
Günter Netzer hat gesagt, Sie sollten lieber noch länger auf Schalke reifen. Berücksichtigen Sie solche Ratschläge?
Draxler: Fußball-Sachverstand kann man Günter Netzer sicherlich nicht absprechen. Deshalb respektiere ich seine Meinung natürlich. Aber es ist mein Leben, es sind meine Entscheidungen. Und da lasse ich mir von sehr wenigen Leuten reinreden und verlasse mich in erster Linie auf mein Gefühl.
Vorgestellt: Das Schalke-Heimtrikot 2014/2015
Gibt es schon eine Tendenz für diesen Sommer?
Draxler: Nein, denn nicht zuletzt durch meine Verletzung hatte ich erst einmal andere Sachen im Sinn. Ich will mit Schalke eine gute Rückrunde spielen und dann mit der Nationalmannschaft zur WM - das hat ganz klar Vorrang. Wenn ich mir jetzt schon Gedanken machen würde, was nach der WM ist, könnte ich diese beiden Ziele sicher vergessen.
Vor einem Jahr haben Sie einen Wechsel nach Dortmund sehr deutlich ausgeschlossen. Gilt das auch, wenn Bayern München wirklich ernst machen sollte?
Draxler: Am liebsten möchte ich zu den ganzen Spekulationen gar nichts mehr sagen. Nehmen wir das Beispiel von Manuel Neuer: Der war früher mit Sicherheit 100-prozentig davon überzeugt, dass er niemals zu Bayern gehen wird. Doch dann hat er fünf Jahre als Profi gespielt, und ist im Laufe der Zeit zu einer anderen Überzeugung gekommen. Auch ich weiß heute nicht, wie ich in fünf, sechs oder vielleicht zehn Jahren denken werde. Und wenn man vorher alles ausgeschlossen hat und dann doch mal irgendwo landet, wo einen die meisten Leute nicht sehen wollen, ist das Geschrei groß.
Ist Spanien noch Ihr Traum-Land als Fußballer?
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Draxler: Das ist es nach wie vor. Barcelona und Real Madrid haben die klangvollsten Namen im Weltfußball, aber das muss nicht heißen, dass ich jetzt auf der Stelle dahin will und nicht länger auf Schalke bleibe oder vorher vielleicht einen anderen Kurs einschlage. In Spanien wird der ästhetischste Fußball gespielt, England hat für mich die beste Liga der Welt. Manchester United, Manchester City, Arsenal, Chelsea: Wenn man auf der Playstation zockt, sind das die Vereine, die alle Jungs wählen.