Waltrop. . Bundesliga-Serie, Saison 1987/1988: Schalke erlebt keine gute Saison und steigt zum dritten Mal in den 80er-Jahren ab, aber auf den routinierten Abwehrchef ist immer noch Verlass. Seine Stärke bezieht Klaus Fichtel aus seiner Herkunft: Gelernt hat er unter Tage.

Der Mann hat zu tun. Klaus Fichtel säubert den Gartenteich an seinem Haus in Waltrop, er fischt das Blattwerk raus. „Muss ja sein“, sagt er. Er hat jetzt Zeit für solche Arbeiten, seit 2009 ist er Rentner, vorher half er seinem FC Schalke noch als Scout. Aber stellt man sich so einen Rentner vor? Der Ausdruck „fit wie ein Turnschuh“ scheint für diesen Mann erfunden worden zu sein: 68 ist er, aber immer noch schlank und drahtig wie früher.

Er spielt auch noch in Schalkes Traditionsmannschaft, einmal wöchentlich wird trainiert. „Ich hatte nie Probleme mit dem Gewicht“, sagt er. „Als ich 1965 auf Schalke anfing, wog ich 67 Kilo, später waren es höchstens mal zwei, drei mehr.“ Ein Glückskind? Ach was: ein Vollprofi! „Es ist natürlich auch eine Einstellungssache“, sagt Klaus Fichtel. Womit vieles erklärt wäre.

552 Bundesligaspiele für Schalke und Bremen

Zum Beispiel, wie man es schaffen kann, im Alter von 43 Jahren und 184 Tagen noch in der Bundesliga zu spielen. Kein deutscher Erstligaprofi war je älter als Klaus Fichtel bei seinem letzten Spiel in der Eliteklasse am 21. Mai 1988, und vermutlich wird es auch keinen mehr geben, der ihm diesen Rekord abnehmen wird. „Für einen Torhüter wäre das vielleicht noch möglich“, meint er. „Ich glaube aber kaum, dass es ein Feldspieler schaffen kann – bei der Belastung, die die Jungs heute haben.“

Das Spiel habe sich doch enorm verändert, sagt Klaus Fichtel, seine Position, auf der er mit seiner ganzen Routine glänzte, gibt es längst nicht mehr. „Als Libero konnte man sich manchmal ein bisschen ausruhen“, gibt er lächelnd zu. „Man hat die Abwehr zusammengehalten, und das reichte damals. Die Zeiten sind definitiv vorbei.“ Aber natürlich hätte ein Mann seiner Klasse auch im modernen Fußball seinen Platz gefunden. „Als Sechser wahrscheinlich“, glaubt er. Die Strategen vor der Abwehr brauchen Fitness und Übersicht – beides zeichnete Klaus Fichtel immer aus. Er war „die Tanne“: standhaft, aufrecht, unverwüstlich.

Schalkes Jahrhundertelf

Zur Jahrhundertelf, deren Trainer Huub Stevens und die von mehr als 10000 Fans Anfang 2000 gewählt worden ist, gehören Torwart Norbert Nigbur, als Abwehrspieler Klaus Fichtel, Rolf Rüssmann und Olaf Thon, als Mittelfeldspieler Marc Wilmots, Fritz Szepan, Ernst Kuzorra und Ingo Anderbrügge sowie als Stürmer Stan Libuda, Klaus Fischer und Rüdiger Abramczik.

Ehrenspielführer der Königsblauen sind Thomas Student (Kapitän von 1916 bis 1928), Ernst Kuzorra (1928 bis 1948), Hermann Eppenhoff (1949 bis 1955), Berni Klodt (1955 bis 1962), Manfred Kreuz (1962 bis 1968), Stan Libuda (1969 bis 1972), Klaus Fischer (1976 bis 1980 und 1981), Olaf Thon (1995/96 und 1997 bis 2000) sowie Tomasz Waldoch (2000 bis 2004).

Deshalb brachte er es auch auf 552 Bundesligaspiele, und deshalb war es auch möglich, 1984 die Karriere fortzusetzen, als sie eigentlich schon beendet sein sollte. 1980 sortierte Schalkes damaliger Trainer Fahrudin Jusufi den 36-jährigen Ur-Königsblauen aus. „Er hatte vorher die Jugend trainiert und war der Ansicht, dass er wegen der vielen guten Jungen die Alten nicht mehr bräuchte. Dann hat man ja gesehen, was daraus wurde.“ Ohne Klaus Fichtel, der in Bremen noch gefragt war, stieg Schalke ab. „Ich wäre nie aus Schalke weggegangen, wenn sie gesagt hätten: Wir wollen etwas Neues aufbauen und behalten dich für den Fall, dass mal Not am Mann ist.“

Unruhe zum Start der Karriere

Sie boten ihm lediglich einen Job als Jugend- oder Amateurtrainer an, Klaus Fichtel aber wollte über sein Karriere-Ende selbst bestimmen. Bei Werder blieb er vier Jahre, dann ging er nach Schalke zurück: als Co-Trainer, dachte er. Doch dann fielen mehrere Abwehrspieler verletzungsbedingt aus, und weil der Co-Trainer Fichtel ohnehin sämtliche Laufübungen und viele Trainingsspiele mitgemacht hatte, zog er samstags wieder das Trikot über. Der Prozess des Abschieds zog sich weitere vier Jahre hin!

Seine letzte Saison als Bundesligaspieler war keine schöne, Schalke geriet erneut in hausgemachte Turbulenzen und stürzte zum dritten Mal in die Zweite Liga ab. „In Schalke war immer Trubel“, stellt Klaus Fichtel sachlich fest. „In meinen vier Bremer Jahren habe ich gesehen, dass man einen Verein auch ohne all die Kapriolen führen kann.“

Schon zum Start seiner Karriere erlebte er Unruhe auf Schalke. Die Blau-Weißen waren 1965 sportlich abgestiegen, dann wurde die Bundesliga aufgestockt – „und das war mein Glück“, erzählt Klaus Fichtel. Denn einige Stammspieler hatten den Klub bereits verlassen, dadurch war Platz für Neue wie den 21-jährigen Castrop-Rauxeler von Arminia Ickern. Von einem Spiel, mit dem in seiner ersten Saison der Abstieg verhindert wurde, schwärmt Klaus Fichtel heute als größtes sportliches Erlebnis: „Wenige Spieltage vor Schluss gewannen wir ein Heimspiel gegen Borussia Neunkirchen mit 2:0, und ich habe nie wieder eine solche Stimmung erlebt wie an dem Tag in der Glückauf-Kampfbahn. Eine Stunde nach dem Abpfiff war noch keiner nach Hause gegangen, das war ergreifend.“

23 Länderspiele, eine Niederlage

Klaus Fichtel genoss diese Zeit, weil er seinen Traum erfüllt sah: „Ich wollte nur noch Fußball spielen“, erzählt er. „Die meisten Leute hatten mir vorher gesagt, das sei ein Hirngespinst. Aber ich hatte mein Ziel und habe hart darauf hingearbeitet.“ Sich zu quälen, das war ihm nicht fremd. Mit 14 hatte er eine Bergmannslehre begonnen, im letzten Lehrjahr schuftete er unter Tage wie sein Vater und sein Bruder. „Vielleicht hat mich das auch ein bisschen für meine Zeit als Fußballer geprägt“, meint er heute. „Ich habe mich körperlich nie aufgegeben.“

Klaus Fichtels Einstellung imponierte auch dem Bundestrainer: 1967 berief Helmut Schön den Schalker erstmals in die Nationalmannschaft, und nur ein einziges seiner 23 Länderspiele ging verloren. Auch bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko war er an fünf Siegen beteiligt. Bei der einzigen Niederlage, beim legendären 3:4 im Halbfinale gegen Italien, fehlte er.

Wer weiß, wie viele internationale Erfolge er noch hätte feiern können, wenn der Bestechungsskandal von 1971, das verschobene Spiel gegen Arminia Bielefeld, nicht alles verändert hätte. 1972 war Klaus Fichtel der Abwehrchef einer phantastischen Schalker Elf, die den DFB-Pokal gewann und Vizemeister wurde – ganz knapp hinter den Bayern.

Zwei große Titel verpasst

„Wäre der Skandal nicht gewesen, wären wir in dem Jahr Meister geworden“, glaubt er. So wurde die Konzentration auf die Spiele empfindlich gestört. „Ich habe Spieler gesehen, die sich vor dem Anpfiff übergeben mussten.“ Auch Klaus Fichtel wurde gesperrt, er redet offen über seine „größte Dummheit“. Zwei große Titel, meint er, seien ihm dadurch entgangen: „Ich wäre sicher 1972 Europameister und 1974 Weltmeister geworden.“ Seine Länderspielkarriere endete im November 1971, kurz bevor er 27 wurde. Im besten Alter. „Und trotzdem war es alles in allem eine schöne Zeit“, bilanziert Klaus Fichtel. Und dann widmet er sich wieder seinem Teich.