Dortmund. . Im Frühjahr 2005 stand Borussia Dortmund vor der Insolvenz, doch auf dem Platz sollten sich Kapitän Christian Wörns und seine Kollegen auf Fußball konzentrieren - keine leichte Aufgabe angesichts der Ungewissheiten, denen sich Club und Spieler gegenübersahen.

Entscheidend is’ aufm Flugplatz. Am 14. März 2005 lag der Patient Borussia Dortmund nach Ansicht eines Bankers bereits „im Vorraum der Pathologie“, der Traditionsgigant stand vor der Insolvenz. Im früheren Terminal E des Düsseldorfer Flughafens stimmten die Anteilseigner des Immobilienfonds Molsiris, an den das Stadion verkauft worden war, einem Sanierungskonzept zu. Rettung statt Pleite – in letzter Minute.

Und unter solchen Bedingungen sollte man sich auf Fußball konzentrieren können.

Christian Wörns war damals der Kapitän der Schwarzgelben, die monatelang nicht zur Ruhe kamen, weil sie beinahe täglich durch neue Horrornachrichten gestört wurden. Wie hält man das aus? Wie bleibt man unverkrampft, wenn im Umfeld die Erschütterungen zunehmen? „Du musst dich fokussieren“, sagt Christian Wörns, ein Vollprofi. „Für erfahrene Spieler ist das natürlich einfacher als für jüngere. Aber es war ja nicht unsere Aufgabe, uns über all das Gedanken zu machen.“ Die Fußballer bemühten sich darum, sich während der Arbeit nicht ablenken zu lassen: „Wir konnten ja doch nichts an der Situation ändern“, erklärt Christian Wörns. „Im Training und im Spiel musstest du ein Verdrängungskünstler sein.“

Offener Flirt mit den Bayern

Genervt aber war er durchaus von diesem Dauergewitter. Christian Wörns, heute 41 Jahre alt, sah auch für sich persönlich „die Felle davonschwimmen“, weil er in die letzte Kurve seiner Karriere eingebogen war: „Du weißt, du hast nur noch eine begrenzte Zeit, und deshalb möchtest du doch unbedingt noch erfolgreich sein.“

Am Ende landete der BVB mit seinem neuen Trainer Bert van Marwijk immerhin noch auf dem siebten Platz. Und Christian Wörns hatte schon seine zweite Chaos-Saison in Dortmund hinter sich.

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1999 war er zu den Borussen gekommen, nach einigen guten Jahren in Leverkusen hatte er ein miserables bei Paris St. Germain erlebt, seinen Neustart im Revier hatte er sich so schön ausgemalt. Und dann das: Erst flog Trainer Michael Skibbe raus, dann scheiterte auch dessen Nachfolger Bernd Krauss, und erst Udo Lattek und Matthias Sammer konnten auf den letzten Metern der Saison den Abstieg verhindern. Christian Wörns dachte daran, so bald wie möglich wieder zu verschwinden, er flirtete ganz offen mit den Bayern. Das nahmen ihm die Fans schwer übel, ihren Respekt musste er sich erst erarbeiten.

Kämpfen fiel Wörns nie schwer

Aber zu kämpfen, das fiel dem Innenverteidiger aus der berühmten Mannheimer Abwehrschule nie schwer. Christian Wörns behauptete sich, und wie das so ist im Ruhrgebiet: Wenn die Leute sehen, dass sich einer anstrengt, dann nehmen sie ihn auf. Als sich der BVB 2002 die Meisterkrone aufsetzte, adelte Matthias Sammer Christian Wörns als „Spieler des Jahres“.

Nicht nur den Trainer hatte es beeindruckt, wie der Innenverteidiger einen Tiefschlag zu Saisonbeginn verkraftet hatte. Im September 2001 hatte sich die Nationalelf in München gegen England mit 1:5 blamiert, und als einer der Schuldigen war Christian Wörns ausgeguckt worden. Der aber hatte nur bis zur Pause mitgewirkt, da stand es 1:2. „Natürlich hatte ich einen schönen Mist gespielt“, sagt er heute. „Aber in der zweiten Halbzeit war es ohne mich noch schlimmer, das ist Fakt.“

Er wollte aus der Auswahl zurücktreten, bei einem Treffen im Haus von Matthias Sammer überredeten ihn der Klubtrainer und DFB-Teamchef Rudi Völler zum Verbleib. Diese Wertschätzung gab dem zuvor schwer verärgerten Verteidiger einen Schub: „So ein Gefühl hatte ich vorher nie, diese Anerkennung gab es ja nicht“, sagte er damals.

Absage an den FC Barcelona

Den Kampfgeist musste bei ihm ohnehin niemand erwecken, du brauchst den Haifisch ja auch nicht ans Fressen zu erinnern. Selbst dem FC Barcelona fiel die Kontinuität des Dortmunders auf, doch der ignorierte die Anfrage und verlängerte im Januar 2002 lieber seinen Vertrag um vier Jahre. „Ich hatte in Paris schlechte Erfahrungen gemacht, und beim BVB meinen Platz gefunden, das wollte ich nicht wegschmeißen“, erklärt er. Er biss auf die Zähne, als zum Ende der Meistersaison das Knie schmerzte.

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„Die letzten Wochen spielte ich mit Schmerzen und Spritzen“, erinnert er sich. Die Folge: Er musste operiert werden und verpasste die WM in Japan und Südkorea, bei der die Nationalmannschaft Vizeweltmeister wurde. „Liebend gerne wäre ich dabei gewesen“, sagt er. „Aber es hätte keinen Sinn ergeben. Für eine WM musst du topfit sein.“

Vier Jahre später war er es. Doch wieder schaute er nur zu. Sommermärchen? Sommeralptraum!

In der Nationalmannschaft ausgebootet

Jürgen Klinsmann hatte ihm vorgegaukelt, eine Chance zu haben. Die Wahrheit war eine andere: Der Bundestrainer wartete und setzte auf Christoph Metzelder, der lange Zeit verletzt war und 2006 in Dortmund Christian Wörns nicht verdrängen konnte. Als der Routinier ausgebootet wurde, stieg der Ärger in ihm auf wie Kohlensäurebläschen im Wasserglas. Er berichtete, Klinsmann habe ihm „irgendein Gesabbel auf die Mailbox gequatscht“, er könne sich „darüber kaputt lachen, wenn Klinsmann vom Leistungsprinzip redet“.

Ganz vernarbt sind die Wunden bis heute nicht: „Wenn vom Konkurrenzkampf gesprochen wird, und die Konkurrenz sitzt im Verein nur auf der Bank, dann fühlt man sich veräppelt. Ich war 14 Jahre Nationalspieler, da durfte ich es erwarten, dass man anders mit mir umgegangen wäre.“

Wenn sich Christian Wörns und Jürgen Klinsmann heute treffen, geben sie sich die Hand. „Ich habe ein Häkchen dahinter gemacht“, sagt der Dortmunder, der 2008 seine Karriere beendete.

Heute ist er Jugendtrainer auf Schalke

Christian Wörns hat eine neue begonnen. Er hat sich zum Fußballlehrer ausbilden lassen, ist derzeit Jugendtrainer. Und auch dabei geht es schon wieder aufwärts: Von der U 14 des Hombrucher SV über die U 15 des VfL Bochum nun zur U 17 des FC Schalke 04. Dass er jetzt für den Revierrivalen arbeitet, wird ihm in Dortmund aber nicht übel genommen. „Es ist ruhig geblieben“, sagt er und lacht dabei. „Ich bin aber ja auch schon fünf Jahre raus.“

Als Profi war er Pokalsieger mit Leverkusen, Meister mit dem BVB, im Rückblick aber reicht ihm das nicht: „Ich habe mir den Hintern aufgerissen und mit viel Herzblut gespielt“, sagt er. „Für all den Aufwand, den ich betrieben habe, sind mir zwei Titel zu wenige. Du fühlst dich ein bisschen unvollkommen.“ Bei Bayern München habe es Spieler gegeben, mit denen er sich durchaus hätte messen können. „Und die sind fünfmal Meister geworden. Das tut zwischendurch auch schon mal weh.“