Gelsenkirchen. Der Meistertrainer des Knappen-Nachwuchses bezieht Stellung zu seiner Rolle als Ausbilder und Psychologe. In der Welt der extremen Reizüberflutung falle manchem Talent das Fokussieren schwer - dabei sei es für eine erfolgreiche Karriere besonders wichtig, klar im Kopf zu bleiben.
Seit nunmehr 35 Jahren mit seiner Frau verheiratet, und seit 1996 als Trainer mit dem FC Schalke 04 liiert: Norbert Elgert ist ein bodenständiger Typ. 2006 und 2012 führte er den ältesten Knappennachwuchs zum Deutschen Meistertitel – jeweils gegen Bayern München. Im Interview spricht der 56-Jährige über Wege zum Erfolg, Reizüberflutungen und den Werteverfall in dieser Gesellschaft.
Trainer auf Schalke kommen und gehen, nur Norbert Elgert ist seit ewigen Zeiten dabei. Fühlen Sie sich mittlerweile als Dino auf Schalke?
Norbert Elgert: Überhaupt nicht, nur als ewiger Schalker. Okay, wenn mir das jemand vor vielen Jahren, als ich anfing, prophezeit hätte, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Diese Kontinuität im Trainergeschäft gibt es heutzutage nicht mehr so häufig.
Sie haben Ihren Vertrag kürzlich um weitere zwei Jahre bis 2015 verlängert, obwohl Sie beim letzten Mal sagten, es wäre Ihr letzter, danach schwebte Ihnen eine Auszeit, möglicherweise eine Weltreise vor. Bis dahin wollten Sie alles für Ihren Job geben. Waren jetzt noch so viele Körner übrig, dass Sie verlängern mussten?
Norbert Elgert: Erstens fühle ich mich noch nicht ausgepowert. Und dann ist da noch meine Frau, die das nicht zulässt. Außerdem ist der Zeitpunkt nicht günstig, ein halbes Jahr auszusteigen, danach wieder zu kommen und darauf zu spekulieren, dass irgendwo ein Posten frei wird.
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Was unterscheidet die Arbeit eines Jugendtrainers von einem Profi-Coach?
Norbert Elgert: Schwere Frage, jeder Trainer muss viele Eigenschaften besitzen, die Arbeit ist sehr facettenreich. Wir sind Trainer, Lehrer und Hobby-Psychologen und müssen gleichzeitig Forderer und Förderer unserer Mannschaft sein.
Aber muss der Jugendtrainer nicht eine besondere Leidensfähigkeit besitzen, um eine Sisyphusarbeit zu verrichten? Kaum hat er den Berg erklommen, verliert er zur neuen Saison die halbe Mannschaft und fängt wieder unten an.
Norbert Elgert: Stimmt, jedes Jahr ist eine neue Herausforderung, vielleicht kann man es deswegen so lange machen. Der Nachteil: Wenn man seine Jungs ins Herz geschlossen hat, dann ist es nicht leicht, loszulassen. Der Vorteil: Spieler, die sich nicht so gut mit dem Trainer verstehen, müssen ihn nur zwei Jahre lang ertragen.
Was ist Ihre Spielphilosophie, Ihr Team-Spirit?
Norbert Elgert: Es gibt kein Erfolgsgeheimnis, wir alle sind der Demut verpflichtet. Man muss das eher ganzheitlich betrachten, ein ständiger Kampf mit Raum, Gegner und Zeitdruck. Und ganz wichtig: Der Kopf gewinnt. Wenn du als junger Spieler die nötige mentale Härte nicht mitbringst, wirst du es nicht schaffen, deinen Traum zu verwirklichen. So ein Bundesliga-Spiel bedeutet schon einen enormen Druck.
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Kann man diese mentale Stärke vermitteln?
Norbert Elgert: Ja sicher, durch Autosuggestion. Wir können den Spielern Vorschläge machen, positiv zu denken, Spielsituationen zu visualisieren, damit sie die emotionale Kontrolle auf dem Platz behalten. In der heutigen Zeit sind viele aufgeblasene Egos unterwegs. Darum ist uns ganz wichtig: Sobald die Spieler hier eintreffen, haben sie das Wir über das Ich zu stellen. Wir beobachten einen Werteverfall in der Gesellschaft. Darum ist es mir ganz wichtig, Ihnen Werte wie Bescheidenheit, Demut und Dankbarkeit zu vermitteln. Sie haben so ein Privileg, werden wie Schauspieler behandelt, überall bewundert. Aber eins dürfen sie nicht: Sich einbilden, sie wären mehr wert als zum Beispiel ein Handwerker, der in seinem Job ebenfalls Spitzenleistungen vollbringt – darauf lege ich großen Wert.
Wenn Sie die Jugend aus den Anfängen Ihrer Trainerzeit mit heute vergleichen, wie hat sich die Arbeit verändert?
Norbert Elgert: Sie ist weder besser noch schlechter als damals. Als Trainer musst du sowieso mit der Zeit gehen, sonst gehst du mit der Zeit! Wir leben in einer Zeit der extremen Reizüberflutung. Fast jede Woche kommt ein neues Handy auf den Markt, dazu Playstation, Internet – all diese Dinge. Da fällt es den Spielern schon schwer, sich auf den Punkt zu konzentrieren. Es ist die Welt der 10.000 Dinge, die einen ablenken. Darum kann nur der einen Super-Job machen, der sich fokussieren und im Hier und Jetzt leben kann.
Was ist Norbert Elgert für seine Spieler: Vaterfigur, väterlicher Freund?
Norbert Elgert: Vater sicher nicht - und Freund ist auch was anderes. Als Trainer musst du eine natürliche Autorität haben, aber der rein autoritäre Trainer wird es schwer haben. Wir sind Lehrer, Ausbilder, Förderer. Eine Sache hat mich unheimlich stolz gemacht, nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft letztes Jahr: Nicht die Tatsache, dass mich die Spieler hoch geworfen haben, sondern was sie dabei sangen: „Unser Trainer ist die geilste Sau der Welt“. Zwar ist die Sprache etwas gewöhnungsbedürftig, aber auch das gehört zum Wandel der Zeit. Insofern war das ein riesiges Kompliment. Das hat mich sehr berührt und stolz gemacht.
Gab es in Ihrer langen Trainerlaufbahn DAS Supertalent, wo Sie gleich dachten, das wird Weltklasse?
Norbert Elgert: Eigentlich gibt es das nicht. Natürlich gab und gibt es Talente mit herausragenden technischen Fähigkeiten, aber wenn du nicht klar in der Birne bist und demütig bleibst, wirst du es nicht schaffen. Das Talent bringt Spieler in die Tür rein, aber der Charakter bringt sie durch!
Deutscher Meister 2012
Auch bei einem Mesut Özil nicht?
Norbert Elgert: Mesut war hier bei mir eher ruhig und schüchtern. Und dann war da die Frage, wie wird er mit dem Druck fertig, plötzlich vor 50.000 oder 60.000 Zuschauern seinen besten Fußball zeigen zu müssen? Aber Mesut hatte immer ein klares Ziel vor Augen, sein Traum war, irgendwann in England oder Spanien zu spielen. Das hat er nun sehr früh bewiesen.
Der Sprung in den Profibereich gelingt nicht allen. Was ist die größte Hürde?
Norbert Elgert: Der Kopf ist das Entscheidende. Bin ich in der Lage, unter allergrößtem Druck meinen besten Fußball zu spielen?
Und die, die es nicht schaffen, sind Sie für jene weiterhin da, werden Sie um Rat gefragt?
Norbert Elgert: Also, erst einmal bin ich in der Lage, loszulassen. Ich bin keinem böse, der sich nicht mehr meldet. Aber zu vielen habe ich einen guten und herzlichen Kontakt. Und: Ja, es kommt vor, dass mich die Jungs weiterhin um Rat fragen; egal, ob sie es als Profi geschafft haben, oder einen anderen Lebensweg eingeschlagen haben.