Doha. . In Doha bereitet Jens Keller die Mannschaft des FC Schalke 04 auf die Rückrunde vor. Zwischen zwei Einheiten gab er WAZ.de sein erstes großes Interview als Schalker Cheftrainer. Ein Gespräch über einen ungewöhnlichen Werdegang, über Freunde im Fußball, einen Fehler und die Jugend.

Jens Keller hockt auf einem Tisch, der am Spielfeldrand steht, die Fußballer kauern vor ihm auf dem Rasen. Direkt neben Keller steht eine Tafel, ein sogenannter Flipchart, auf dem der Fußball-Lehrer zeigt, was er gleich auf dem Platz sehen möchte. Vor ein paar Wochen hat Jens Keller (42) das noch genauso bei der Schalker B-Jugend gemacht, jetzt arbeitet er mit den Profis im Trainingslager in Doha. Zwischen zwei Einheiten gab er der WAZ-Mediengruppe sein erstes großes Interview als Schalker Chef-Trainer.

Hören Profis vor dem Flipchart genauso aufmerksam zu wie Jugendspieler, die noch viel lernen wollen?

Jens Keller: Warum nicht? Man sollte doch immer zuhören und noch lernen wollen – egal in welchem Alter man ist.

Aber es ist schon ungewöhnlich, dass Profis am Spielfeldrand so unterrichtet werden.

Keller: Das weiß ich nicht. Man könnte das auch in der Kabine machen, aber dann ist bei dem einen oder anderen die Idee, die ich mit dem Flipchart visualisieren will, vielleicht nicht mehr so präsent, wenn er auf dem Platz angekommen ist. Mit dem Flipchart sollen taktische Dinge erläutert werden. Wenn man die an der Tafel aufgezeichnet sieht, kann man sie sich eher vorstellen, als wenn man sie nur mit Worten erklärt bekommt.

Bei den Bayern hat Uli Hoeneß mal gesagt: Jürgen Klinsmann brauchte einen zigtausend Euro teuren Computer, um den Spielern die Taktik zu erklären, Jupp Heynckes nur einen Flipchart und Eddingstifte. Sind Sie mehr Heynckes als Klinsmann?

Jens Keller: "Ich bin ich!"

Keller: Das kann ich jetzt gar nicht sagen, wem ich näher bin: Ich bin ich. Natürlich gehören heutzutage auch Computer dazu – die Jungs haben ja alle ihre iPads. Aber ich selbst bin mit solchen Sachen nicht so dicke befreundet.

Wie würden Sie sich denn selbst als Trainer charakterisieren?

Keller: Als kommunikativ. Ich bin der Meinung, dass man die Jungs überzeugen muss von dem, was man macht und vorhat – dann werden die Dinge besser umgesetzt, als wenn man sie nur stumpf vorgibt. Deswegen bin ich ein Trainer, der viel redet, auch auf dem Platz. Nur draußen zu stehen und alles zu beobachten, ist nicht mein Ding. Wenn ich etwas sehe, muss ich eingreifen.

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Nach dem Eindruck hier im Trainingslager glauben wir Ihnen das gerne. Aber bei Ihrem ersten Spiel vor Weihnachten gegen Mainz wirken Sie eher ruhig und bedacht.

Keller: Da war ich bewusst sachlich, der Situation angemessen. Und ich bin ja auch jemand, der klar analysiert und nicht rumkaspert. Wenn ich im Spiel an die Linie gehe, schaue ich, dass ich mich gegenüber den Schiedsrichtern im Griff habe. Aber ich lebe von meinen Emotionen, fragen Sie mal meine Kinder... (Jens Keller ist verheiratet und hat zwei Söhne, Ron, 11, und Nick, 13).

Prägen einen auch die Trainer, die man selbst erlebt hat? Bei 1860 München haben Sie unter Werner Lorant gearbeitet…

Keller: Sicher, aber es gibt keinen speziellen, dem ich nacheifern möchte. Man entdeckt bei jedem Dinge, die man für sich übernimmt – aber auch Sachen, die man besser sein lassen sollte. Die Zeit unter Werner Lorant liegt natürlich schon lange zurück, das war von 1992 bis 1995. Da vergisst man auch schon wieder einiges.

Bei 1860 München haben Sie auch mit Horst Heldt zusammen gespielt. Der Beginn einer Freundschaft?

Für Schalke-Trainer Keller ist Freundschaft im Profigeschäft schwer 

Keller: Von einer Freundschaft würde ich nicht reden – das ist im Profigeschäft schwer. Aber wir haben uns gut verstanden und später immer wieder mal irgendwo getroffen. Auch in der Zeit, als wir beide beim VfB Stuttgart waren.

Horst Heldt hat Sie im vergangenen Sommer als Jugendtrainer nach Schalke geholt, als Sie nach Ihrem Rauswurf beim VfB Stuttgart im Dezember 2010 eineinhalb Jahre ohne Job waren. Das sah ungewöhnlich aus für einen, der schon mal in der Bundesliga trainiert hat.

Der neue Chef an der Seitenlinie bei Schalke: Jens Keller hat alles im Blick
Der neue Chef an der Seitenlinie bei Schalke: Jens Keller hat alles im Blick © Getty Images

Keller: Am Anfang habe ich mich schon gefragt: Nachwuchsarbeit – willst du das wieder machen? Aber die Angebote, die ich sonst bekommen habe, waren nicht so interessant, um das geregelte Leben mit der Familie wieder aufzugeben. Wir wohnen in Köln, da passte Schalke schon räumlich gut.

War da für Sie klar: Das war es mit der Karriere als Bundesliga-Trainer?

Keller: Darüber habe ich mir in diesem Moment gar keine Gedanken gemacht. Ich wollte einfach wieder Spaß haben an meinem Beruf, und den habe ich auch, wenn ich mit jungen Spielern arbeiten kann. Ich hätte ganz ehrlich auch keine Probleme gehabt, die nächsten vier, fünf Jahre im Nachwuchsbereich zu arbeiten. Natürlich ist die Bundesliga ein Traum. Aber ob das immer so erstrebenswert ist, sei mal dahingestellt. In diesem Job gibt es auch einen wahnsinnigen Druck. Nicht nur für einen selbst, sondern auch für die Familie.

Ihre zwei Monate als Cheftrainer in Stuttgart sind nicht so glücklich gelaufen…

Keller: Das sehe ich überhaupt nicht so. Am Anfang habe ich die Mannschaft super erreicht. In den ersten vier Wochen hatten wir acht Spiele, die waren gut. Dann hat man der Mannschaft die Müdigkeit angemerkt und es kam auch ein Stück Pech dazu. Unterm Strich habe ich zu wenig Punkte geholt, aber mit der Arbeit waren die Verantwortlichen zufrieden.

Sie sind damals sehr forsch angetreten. Sie waren Assistent von Christian Gross und haben nach dessen Entlassung Kritik an Ihrem ehemaligen Chef geübt.

Keller: Das war ein Riesenfehler von mir, den ich unbedacht gemacht habe. Bei meiner Vorstellung wurde ich gefragt, ob Christian Gross Fehler gemacht hätte. Und ich habe geantwortet: Ja, es sind Fehler passiert. Diese Aussage von mir war komplett falsch. Ich wollte damit nur vermitteln, dass ich eine Idee habe, wie ich die Mannschaft wieder aus dieser Situation herausbekomme – das hat der Verein ja auch von mir erwartet. Aber ich hätte nie von Fehlern reden dürfen. Ich wollte Christian Gross nicht angreifen – dass ich das mit meiner Aussage getan habe, ist mir erst im Nachhinein bewusst geworden. Es ist mir in einer Stress-Situation passiert, hätte aber nicht passieren dürfen.

Heldt hat Keller nicht in Schalkes Jugend geparkt

Helfen Ihnen die Erfahrungen, die Sie in Stuttgart gemacht haben, nun auf Schalke?

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Keller: Selbstverständlich. Meinen Spielern sage ich immer: Ein Guter ist der, der einen Fehler nur einmal macht.

Horst Heldt ist von Ihren Qualitäten überzeugt. Man könnte auf den Gedanken kommen, er hätte Sie von vornherein in der B-Jugend nur für höhere Aufgaben „geparkt“.

Keller: Das ist Unsinn. Er kannte mich aus Stuttgart und wusste, wie ich da im Nachwuchsbereich gearbeitet habe. Wir haben wirklich nie darüber geredet, ob es in irgendeiner Weise für mich weiter nach oben geht – schon gar nicht in den Profibereich.

Überzeugen musste er Sie aber nicht, als er Sie gefragt hat, ob Sie Cheftrainer werden wollen, oder?

Keller: Natürlich nicht. Bei dem Angebot, auf Schalke Bundesliga-Trainer zu werden, bekommt man doch sofort leuchtende Augen.

Wie haben eigentlich Ihre Jungs aus der Schalker B-Jugend reagiert, als Sie quasi über Nacht zu den Profis gewechselt sind?

Keller: Das war schon sehr emotional. Auf der einen Seite freuen sie sich für mich riesig, dass ich da hoch gekommen bin. Aber viele Spieler, auch viele Eltern waren auch sehr, sehr traurig, dass ich als Trainer nun nicht mehr bei ihnen bin. Von den 22 Spielern wird Ihnen keiner sagen: Gott sei Dank ist er weg.