Gelsenkirchen. Bei Schalke 04 wartet eine große Aufgabe auf Felix Magath. Im Interview spricht der Meistertrainer des VfL Wolfsburg über die Erwartungen der Fans und sein Konzept bei den Knappen.
Felix Magath soll Schalke 04 nach über 50 Jahren wieder zu einer deutschen Meisterschaft führen. Keine leichte Aufgabe für den Meistertrainer, der im Interview mit dem Sport-Informations-Dienst (SID) über die Erwartungen der Fans, die Qualität des Kaders und seinen Vier-Jahres-Plan spricht.
Wie lautet Ihre erste Zwischenbilanz gut drei Wochen nach dem Trainingsauftakt? Hat sich Schalke schon an Felix Magath gewöhnt, und hat sich Felix Magath schon an Schalke gewöhnt?
Felix Magath: "Die Spieler haben sich schon ganz gut an mich gewöhnt, weil die Zusammenarbeit mit ihnen in diesen Tagen am intensivsten war. Der Rest von Schalke wird wohl noch ein bisschen brauchen. Ich persönlich kommen gut klar, gerade hier im Ruhrgebiet, wo Arbeit einen hohen Stellenwert hat.
Sie gehen kompromisslos vor, auch das komplette Schalker Umfeld bekam diese Eigenschaft schon zu spüren - zum Beispiel bei der Trennung von Mike Büskens, Youri Mulder und Oliver Reck. Gehört es zu Ihrem grundsätzlichen Plan, alle Schalker Mitarbeiter in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen?
Magath: "Ich wurde ja geholt, um etwas zu ändern. Das ist meine Aufgabe. Darauf musste jeder gefasst sein. Und ich habe keine 100-Tage-Frist, in der man mich in Ruhe arbeiten lässt, es müssen sofort Ergebnisse her. Deshalb gibt es keine Zeit zu verlieren."
Trotz Ihrer Kompromisslosigkeit und der Tatsache, dass Sie am "alten" FC Schalke 04 viel Kritik geübt haben, schlägt Ihnen eine Welle der Sympathie entgegen. Ist dieses Phänomen anders zu erklären als mit der Sehnsucht der Menschen hier nach Titeln und Professionalität?
Magath: "Das ist zu pauschal gefasst: Ich habe nicht - wie Sie es formulieren - am "alten" FC Schalke viel Kritik geübt. Schalke hat in den letzten Jahren in der Bundesliga eine gute Rolle gespielt. Richtig ist, dass es in der letzten Saison einige unruhige Phasen gegeben hat. Einige Personalentscheidungen haben die Saison bestimmt, und sie ist nicht erfolgreich verlaufen. Natürlich bekomme ich mit, dass hier durch meine Verpflichtung große Hoffnung eingekehrt ist und die Leute mir positiv gegenüber stehen. Das ist eine wichtige Grundlage, um hier Fuß zu fassen. Weil ich gerade mit Wolfsburg Meister geworden bin, verbinden die Leute hier mit mir ebenfalls den Meistertitel. Diese Hoffnungen versuche ich natürlich zu erfüllen."
Also heißt es für Sie, so schnell wie möglich mit Schalke Meister zu werden?
Magath: "Nein, ich will Schalke zunächst in der Bundesligaspitze und in Europa etablieren. Schneller Erfolg ist ohnehin schwierig, weil Schalke nicht die Finanzkraft hat, die in Wolfsburg vorhanden ist. Deshalb kann der Weg nur sein, den Sprung hinter den FC Bayern zu schaffen, dass wir finanziell in der Lage sind, uns oben zu etablieren. Es wäre wichtiger, zwei- oder dreimal nacheinander in die Champions League zu kommen als einmal Meister zu werden und danach nur Platz sieben zu erreichen."
Weshalb haben Sie sich dann eine Frist von vier Jahren gesetzt, um mit Schalke Meister zu werden? Die Schalker Fans warten seit über 50 Jahren auf die Schale. Sollten sie sie in zehn Jahren bekommen, wären sie auch zufrieden ...
Magath: "Die vier Jahre waren mir eigentlich schon fast zu lang, eine noch längere Zeit als Zielvorgabe wäre im heutigen Fußball-Geschäft unrealistisch. Entwicklungen kann man kaum vorhersehen. Vor zwölf Wochen hätte ich noch nicht mal geglaubt, dass der VfL Wolfsburg Meister werden könnte. Hier auf Schalke will ich beispielsweise das Spielsystem ändern, weil das 4-3-3, das in den vergangenen Jahren hier gespielt wurde, nicht mein bevorzugtes System ist, sondern das 4-4-2 mit Raute. Das bringt viele Unwägbarkeiten mit sich."
Ganz besonders diskutiert wurde hier auf Schalke in den vergangenen Jahren immer wieder die Position des Spielmachers. Zvjezdan Misimovic war auf dieser Position in Wolfsburg überragend. Wer ist hier auf Schalke Ihr Misimovic?
Magath: "Einen Misimovic haben wir hier nicht. Einen Spielmacher gibt dieser Kader nicht her. Insofern müssen wir ohne einen Spielmacher ein attraktives und erfolgreiches Offensivspiel entwickeln. Ein Ivan Rakitic und ein Jefferson Farfan können die Rolle einer hängenden Spitze ausfüllen. Es gibt auch die Möglichkeit, ganz ohne offensiven Mittelfeldspieler zu agieren. Wir werden uns etwas einfallen lassen."
Besteht denn die Möglichkeit, sich bis zum Ende der Transferperiode noch auf dieser Position zu verstärken?
Magath: "Wir haben keine Mittel, um so jemanden zu verpflichten. Das sehe ich im Moment nicht."
Einer, der auf dieser Position spielen kann, ist Mesut Özil. Er war mal ein Schalker und ist nach Unstimmigkeiten mit dem Management gegangen. Sie haben schon viele Fehler des "alten" FC Schalke 04 bemängelt, war das einer der größten?
Magath: "Es wäre spekulativ zu sagen, dass er sich hier genauso entwickelt hätte wie in Bremen, gerade weil er noch so jung war. Da sollte man nicht nachkarten. Und wer weiß, was sich in den nächsten Jahren entwickelt? Vielleicht kommt er ja noch mal zurück."
Sie haben einen Verkauf Ihres Torwarts Manuel Neuer an den FC Bayern mehrfach ausgeschlossen, selbst nachdem der Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies noch eine 'kaufmännische Schmerzgrenze' ins Spiel gebracht hatte. Als Sie Tönnies da so deutlich widersprochen haben, war das auch ein Test, wieviel Rückendeckung Sie tatsächlich auf Schalke haben?
Magath: "Man hat mich nicht zum Spaß zum Trainer, Manager und Vorstand gemacht. Die Sprachregelung in der Personalie Neuer war klar. Vielleicht wurde Clemens Tönnies falsch verstanden oder seine Aussagen überspitzt dargestellt. Dass Manuel bleiben würde, war von Anfang an völlig klar."
Ist Kevin Kuranyi bei Ihnen gesetzt?
Magath: "Natürlich ist er ein wichtiger Spieler, und wir sind uns einig, dass er noch mehr Tore schießen soll als in der Vorsaison. Aber auch Kevin muss sich im neuen System umstellen, muss wieder mehr unterwegs sein, mehr Löcher reißen. Er weiß, was ich von ihm will, und ich denke, das neue System wird ihm entgegenkommen."
Werden Sie Ihren Kader bis zum Saisonbeginn noch verkleinern?
Magath: "Erfahrungsgemäß lässt bei denen, die merken, dass sie zum Ende der Vorbereitung den Anschluss verlieren, die Motivation nach. Diese Spieler könnten zu einer Belastung werden. Dann müsste ich reagieren. Aber so weit sind wir noch nicht. Alle haben noch eine realistische Chance, auch die so häufig genannten Carlos Grossmüller und Albert Streit."
Schalkes Profis standen in den letzten Jahren immer wieder in dem Ruf, Schwierigkeiten mit der Disziplin zu haben. Haben Sie davon bislang etwas gemerkt?
Magath: "Nein, überhaupt nicht. Die Spieler bekommen klare Ansagen. Es gibt Regeln, die für den Erfolg eingehalten werden müssen. Auf Ordnung und Disziplin kann und will ich nicht verzichten. Ich habe meinen Weg gesucht und gefunden. Ich habe mir dieses Geschäft selbst von Grund auf angeeignet, und ich fahre gut damit."
Sie haben betont, dass Schalke vielleicht die größte Herausforderung in Ihrer Karriere ist. Sind Herausforderungen die wichtigste Triebfeder in Ihrem Leben?
Magath: "Ja, natürlich, auch in meinem Privatleben. Ein Beispiel: Ich bin nicht umsonst einen Marathon gelaufen. Ich habe mein Leben lang Sport gemacht, und ich wollte mir beweisen, dass ich auch ohne spezielles Training 42 Kilometer weit laufen kann. Die letzten Kilometer waren hart, aber ich habe es geschafft."
Mal Hand aufs Herz: Sollte Schalke wirklich nach 50 plus X Jahren wieder deutscher Meister werden, was wäre Ihnen wichtiger: Die Meisterschaft für Schalke oder die Tatsache, dass Sie Schalke dorthin geführt haben?
Magath: "Mir wäre wichtiger - für die Fans - dass Schalke Meister geworden ist."