Gelsenkirchen. Trainer-Legende Norbert Elgert spricht im WAZ-Interview über böse Beinschüsse im Training, ein freches Stan Libuda-Erlebnis und die einzigartige Magie von Schalke 04.
An diesem Samstag feiert der FC Schalke 04 seinen 120. Geburtstag. Kaum jemand kennt den emotionalen Traditionsverein so gut wie Norbert Elgert. Als ganz junger Spieler hat Elgert mit den damaligen S04-Legenden Stan Libuda, Norbert Nigbur und Klaus Fischer trainiert. Anfang der 80er Jahre erlebte Elgert den ersten Schalke-Abstieg aus der Bundesliga hautnah mit. Nach seiner aktiven Laufbahn machte der 67-Jährige die Knappenschmiede auch durch seine engagierte Arbeit zu einem Aushängeschild, das über die Landesgrenzen hinaus große Beachtung findet. Im Interview spricht der U19-Kult-Trainer über Vergangenheit und Zukunft.
Herr Elgert, Sie sind als Spieler und Trainer über 30 Jahre lang bei Schalke 04. Empfinden Sie Dankbarkeit oder Stolz, so lange Teil der Königsblauen zu sein?
Norbert Elgert (67): Der Begriff „Stolz“ ist nicht so meins, aber dankbar bin ich auf jeden Fall. Ich bin als Gelsenkirchener in diesen Club geboren worden, auch wenn ich im Stadtteil Ückendorf in drei, vier Kilometern Luftlinie entfernt groß geworden bin.
Erster Tag auf Schalke: Ein Eintritt in eine sehr besondere Welt
Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag auf Schalke erinnern?
Das war als 18-Jähriger in der Glückauf-Kampfbahn – mit Max Merkel als Trainer. Oskar Siebert war Präsident, Ede Lichterfeld ist Betreuer gewesen. Die Mannschaft war damals schon gespickt mit Superstars: Norbert Nigbur im Tor, Jürgen Sobieray, Klaus Fichtel, Rolf Rüßmann, Helmut und Erwin Kremers, Hannes Bongartz, Aki Lütkebohmert, Rüdiger Abramczik, Klaus Fischer, Uli Bittcher. Und Stan Libuda hat noch einmal sein Comeback versucht. Für mich als Straßenfußballer war es schon ein Eintritt in eine sehr besondere Welt. Beim Training, zu dem auch damals schon zahlreiche Zuschauer kamen, war ich schon sehr, sehr aufgeregt.
Wie lief das erste Training?
Es gab seinerzeit schon das berühmte Spiel Fünf gegen Zwei. Ich bekam einen Tunnel nach dem anderen. Bei meinem früheren Verein Westerkappeln hatten wir so etwas nie gespielt. Die Schalker Spieler hatten alle so einen Spaß und haben so gelacht, dass ich beinahe mit Tränen in den Augen zu Co-Trainer Friedel Rausch gegangen bin und ihn gefragt habe: Die verarschen mich hier, was ist hier los? Rausch meinte, ich solle mich daran gewöhnen und meine Beine ein bisschen mehr zusammenhalten. Dann habe ich relativ schnell gelernt, was ich tun muss. Das war mein erstes Training auf Schalke.
Als Stan Libuda im Wassergraben verschwand
Haben Sie noch eine Anekdote aus Ihrer Anfangszeit auf Schalke parat?
Wir sind mit Trainer Max Merkel ins Trainingslager nach Warendorf gefahren. Das war so eine Art Bundeswehr-Sportschule. Unter anderem wurde dort der Cooper-Test durchgeführt. Stan Libuda hat damals sein Comeback versucht, er war da auch schon Mitte 30. Stan war eines meiner großen Idole, die ich persönlich kennenlernen durfte. Dann kam eben dieser Cooper-Test – und Stan ist irgendwann im Wassergraben verschwunden. Ich habe natürlich alles rausgehauen, was ich hatte. Ich war aber nie der Ausdauerstärkste und habe in zwölf Minuten knapp über 3000 Meter Strecke geschafft. Stan Libuda kam dann irgendwann aus dem Wassergraben wieder raus und ist mit mir gleichzeitig ins Ziel gelaufen.
Was hat Max Merkel gesagt?
Der Trainer war hellauf begeistert (lacht) und meinte: Norbert, jetzt bin ich enttäuscht von dir. Der alte Libuda läuft genauso weit wie du. Was sollte ich dazu sagen? Wenn ich da was gesagt hätte, wäre ich bei der Mannschaft zu Recht unten durch gewesen. Das musste ich dann runterschlucken.
Comeback mit eisernem Willen
War es für Sie eine bittere Erfahrung, als junger Spieler von Schalke zu Westfalia Herne ausgeliehen zu werden?
Es war nicht leicht. Aufgrund meiner schweren Nierenerkrankung, die ich von Geburt an hatte, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht kannte, war es für mich schwer, die Belastung durchzuhalten. Ich bin auf Schalke sehr gut in meinen ersten zwei, drei Spielen gestartet, habe dann aber körperlich abgebaut. Irgendwann habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmt und habe mich deshalb untersuchen lassen. Dabei wurde die schwere, beidseitige Nierenkrankheit festgestellt. Irgendwann hatte ich eine Operation. Da hieß es dann: Nie wieder Fußball. Mit eisernem Willen und allen ärztlichen Prognosen zum Trotz habe ich das Comeback damals geschafft. Oskar Siebert hat mich dann nochmal zurück nach Schalke geholt. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon mit meiner Frau Conny zusammen. Sie hat sehr großen Anteil an allem, was danach kam und heute ist.
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Sie haben als Spieler sportlich sämtliche Höhen und Tiefen auf Schalke erlebt.
1981 war meine beste Saison. Mir sind zehn Saisontore gelungen, aber am Ende sind wir zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte abgestiegen. Von daher kann ich gut einschätzen, wie schmerzhaft so eine Erfahrung für die Schalker Fan-Seele ist. In der nächsten Saison sind wir dann sofort wieder aufgestiegen, demnach darf ich mich auch Zweitligameister nennen. Die guten Erinnerungen überwiegen. Es gehört im Leben dazu, dass nicht immer die Sonne scheint.
Seit über 35 Jahren Erfahrung als Trainer
Gab es eigentlich Alternativen zum Fußball?
Es gibt zwei Sachen, die mich begeistern: Menschen und Fußball. Eigentlich hat das, was ich gemacht habe, immer mit Sport zu tun gehabt. Als ich zwischendurch mal ganz aus dem Fußball raus war, habe ich mit einem Partner und unseren Frauen ein Fitness- und Squash-Studio betrieben. Seither bin ich auch gelernter Fitnesstrainer, was mir sicherlich auch zugute kommt. Irgendwann habe ich dann die Trainerscheine gemacht und die Trainerlaufbahn eingeschlagen. Ich habe nunmehr seit weit über 35 Jahren Trainererfahrung.
Unter Rudi Assauer und Bodo Menze sind Sie zu Schalke 04 zurückgekommen.
Rudi habe ich sehr viel zu verdanken. Er war wirklich sehr charismatisch, eine ganz ehrliche Haut und extrem durchsetzungsstark. Bodo Menze kannte mich aus meiner Trainer-Zeit bei Wattenscheid 09. Als wir aufgestiegen sind, meinte Rudi zu mir als Spieler: Das war eine Saison von dir, die war weder Fisch noch Fleisch. Du kannst bleiben – oder auch gehen. Das hieß übersetzt: Ich fände ganz okay, wenn du bleibst. Aber komm nicht auf die Idee, mehr Geld zu fordern (lacht). Dann war ich angefressen und habe einen Riesenfehler gemacht: Ich bin von Schalke 04 zum VfL Osnabrück gewechselt. Da passte gar nichts zusammen. Es lag aber nicht am VfL, sondern mehr an mir. Ich habe nur drei Monate dort gespielt. Dann bin ich nochmal zwei Jahre zu Wattenscheid 09 (damals 2. Bundesliga, Anm. d. Red.) gegangen und habe dann meine aktive Laufbahn beendet. Als Trainer bin ich dann 1997 zu Schalke gewechselt.
Schon immer Fan und nicht nur Angestellter
Was macht Schalke so einzigartig?
Ich bin schon immer Fan und nicht nur Angestellter gewesen. Es ist diese unglaubliche Energie und Strahlkraft, die diesen Verein auszeichnen. Dazu kommt diese lange Tradition, die sportlichen Erfolge mit mehreren Deutschen Meistertiteln. Ich kannte Schalker Meisterspieler wie Ötte Tibulsky und Ernst Kuzorra noch persönlich. Egal, wo man auf der ganzen Welt hinkommt: Jeder kennt Schalke. Es gibt viele Millionen Fans, 180.000 Mitglieder. Der Verein hat eine unglaubliche Power und ist – Gott sei Dank – unkaputtbar. Das Besondere an Schalke kann man gar nicht so genau auf den Punkt bringen.
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Machen Sie sich Sorgen, dass Schalke auf längere Sicht in den Niederungen der 2. Liga verschwindet?
Wir sollten definitiv keine Luftschlösser bauen, uns einen gewissen Optimismus aber nicht nehmen lassen. Wir müssen uns in den nächsten Jahren sportlich und finanziell stabilisieren, damit wir irgendwann wieder dahin kommen, wo dieser einzigartige Club hingehört: in die Bundesliga. Und dann irgendwann auch mal wieder unter die Top-Fünf, Top-Sechs. Aber eins nach dem anderen, das kann schon ein paar Jahre dauern. Da müssen wir alle gemeinsam Geduld haben. Was sich die Fans natürlich unbedingt erhoffen und was sie sehen wollen: Dass es stetig, wenn auch in kleinen Schritten, voran geht. Ich persönlich bin sicher, dass wir den Klassenerhalt in der 2. Liga schaffen werden.
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