Gelsenkirchen. . Im Bundesliga-Meisterrennen vertritt Mesut Özil eine klare Meinung - und im Abstiegskampf drückt der frühere Schalker seinem Ex-Klub die Daumen.
Ob er Borussia Dortmund die Deutsche Meisterschaft gönnt? „Nö“, antwortet Mesut Özil. „Da muss ich meinen blauen Wurzeln schon treu bleiben.“ Özil gönnt dem BVB die Schale nicht – eine bemerkenswerte Schlagzeile von einem Mann, der in der Vergangenheit für viele Schlagzeilen gesorgt hat, auf und neben dem Fußballplatz. Und der gerade in Istanbul die Ruhe genießt, viel Zeit mit der Familie verbringt – Ruhe, die er so lange nicht hatte, wie er gegenüber dieser Redaktion feststellt: „Um meine Person war es nie wirklich ruhig. Es war immer etwas los in all den Jahren.“
Vor einem Monat hat der 34-Jährige seine aktive Karriere in der Türkei bei Basaksehir FK beendet. Der gebürtige Gelsenkirchener Özil, dessen familiäre Wurzeln in der Türkei liegen, ist einer der talentiertesten und erfolgreichsten deutschen Fußballer, aber wohl auch der umstrittenste. Im Juli 2018 hatte er nach dem WM-Aus in Russland seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft erklärt. Eine Rolle spielte damals auch die Affäre um Fotos mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, der auch Özils Trauzeuge war – und zwar ungeachtet der Tatsache, dass Erdogan demokratische Standards in der Türkei Stück für Stück abgebaut und sich aus der westlichen Wertegemeinschaft so teilweise verabschiedet hat. Es gab für die Fotos viel öffentliche Kritik. Özil sprach damals von „Rassismus“. Die Kontroversen prägen das Bild von Özil in Deutschland heute mehr als seine großen sportlichen Erfolge.
Mesut Özil schwärmt von den Schalke-Fans
Zu Politik möchte sich Mesut Özil aktuell nicht äußern, stellt er klar. Aber zum Thema Fußball. Und über Schalke 04, seinem Jugendverein, für den er in der Bundesliga und Champions League debütierte.
15 Jahre ist es her, dass Özil das Schalker Trikot trug. Er spielte für Werder Bremen, war Spielmacher von Real Madrid und dem FC Arsenal, wechselte dann zum türkischen Top-Klub Fenerbahce. Eines hat sich aber nie geändert: Schalke ist sein Verein, Gelsenkirchen bedeute für ihn „Heimat“, sagt er, „gar keine Frage“, auch wenn seine Familie aktuell häufiger bei ihm in Istanbul sei, als er im Ruhrgebiet. „Über Freunde und Familie bekomme ich noch einiges mit, über Social Media sowieso“, erklärt er, wie er Fußball aktuell betrachtet. „Daher verfolge ich nach wie vor die Geschehnisse bei Schalke und freue mich, wenn sie gewinnen.“
Positiv überrascht ist Özil von den Schalke-Fans und dem Umfeld, das sich komplett auf den Abstiegskampf eingelassen hat. „Gefühlt hat Schalke gestern noch Champions League gespielt und jetzt wäre der Klassenerhalt ein Riesenerfolg“, sagt Özil, der 2007 mit Schalke Vizemeister war. „Der Verein kann den Fans eigentlich nicht dankbar genug sein, dass sie da voll mitziehen, das ist definitiv keine Selbstverständlichkeit. Die Schalker haben es geschafft, alle im Umfeld zu erden.“ Dass Schalke auch im Abstiegskampf große Gefühle erzeugt, bewiesen die dramatischen Siege gegen Werder Bremen (2:1) und bei Mainz 05 (3:2). „Wenn ich die Videos von den Siegesfeiern zwischen Fans und Mannschaft sehe, bekomme ich echt Gänsehaut“, schwärmt Özil, der 2014 mit Deutschland Weltmeister wurde und auch in Spanien und England Titel gewann.
Mesut Özil traut Schalke eine Überraschung beim FC Bayern zu
Lobende Worte hat er auch für Schalkes Trainer Thomas Reis: „Er scheint die Mannschaft voll und ganz zu erreichen. Das ist das Wichtigste in einer Mannschaft. Reis tritt sehr authentisch auf, so etwas kommt in der Kabine immer gut an.“ Und inzwischen könne er „auch mal wieder auf die Tabelle schauen, ohne sich zu erschrecken“, sagt Özil: „Echt stark, wie sich die Jungs befreit haben.“ Dass Schalke in der Liga bleibt, sei für die Entwicklung des Klubs entscheidend: „Etwas anderes will ich mir auch gar nicht vorstellen“, sagt er. „Schalke darf jetzt nicht zur Fahrstuhlmannschaft werden.“
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Vor dem Auswärtsspiel bei Rekordmeister FC Bayern München am Samstag (15.30 Uhr/Sky) steht Schalke nach vielen Monaten wieder auf einem Nicht-Abstiegsplatz. Und Özil glaubt, dass sein Ex-Klub in München eine Chance hat, im Abstiegskampf zu punkten und damit ausgerechnet dem BVB im Titelrennen Schützenhilfe zu leisten. „Bayern ist nicht mehr in der Form, dass Abstiegskandidaten nach München reisen und sich mit einer knappen Niederlage zufriedengeben. Das war einmal. Warum also nicht? Trotzdem wäre es natürlich eine Überraschung, Bayern bleibt der klare Favorit.“
Özil: Trainerwechsel beim FC Bayern "der lauteste Knall der Bundesliga die letzten Jahre"
In die Karten spielen könnte Schalke auch die Unruhe, die seit der Freistellung von Julian Nagelsmann Ende März beim FC Bayern herrscht. „Ich denke, die Verantwortlichen haben die öffentlichen Reaktionen zum Trainerwechsel etwas unterschätzt. Das war ja so ziemlich der lauteste öffentliche Knall der Bundesliga die letzten Jahre – und das kurz vor einer so wichtigen Phase. Da spielt es dann auch keine Rolle, was Thomas Tuchel für ein Weltklasse-Trainer ist – diese Unruhe war kaum noch einzufangen.“ Eine Folge: Das Meisterrennen in der Bundesliga ist so offen wie lange nicht. Drei Spieltage vor Saisonende hofft auch Borussia Dortmund noch auf den Titel. „Der BVB spielt etwas überzeugender“, erklärt Özil. „Bayern spielt auch noch gegen starke Leipziger, es ist alles offen, wirklich sehr spannend.“ Und auch, wenn er dem BVB den Titel natürlich nicht gönnt, meint er: „Für die Bundesliga wäre es sehr wichtig, dass es mal einen anderen Meister gibt.“
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Ein Wechsel zurück in die Heimat war für Mesut Özil nie Thema. „Bei aller Liebe zu Schalke: ehrlich gesagt nicht wirklich“ – er habe glückliche Zeiten in Spanien und England gehabt, wollte danach unbedingt in der Türkei spielen. Auf Schalke kehrt er wenn überhaupt als Fan zurück. „Wenn sich der Besuch bei der Familie kommende Saison mal mit einem Heimspiel von Schalke kombinieren lässt – warum eigentlich nicht“, antwortet Mesut Özil auf die Frage, ob er die Arena bald wieder besuchen will. Und schiebt nach: „Hoffentlich dann aber in der 1. Liga.“