Frankfurt. Weltmeister Mesut Özil beendet eine wundervolle Karriere. Ein Bild mit Türkei-Präsident Recep Tayyip Erdogan zerstört die Geschichte.
Dieses Stück deutscher Fußball-Geschichte beginnt in Gelsenkirchen, mitten im Ruhrgebiet, früher rauchten hier Schlote, heute liegt die Arbeitslosenquote bei knapp 14 Prozent. Hier kann es rau zugehen, hier kann es liebevoll zugehen, hier wächst Mesut Özil auf, wird er zu einem Fußballer, den seine Heimat (dieser Begriff wird noch wichtig werden) so noch nicht gesehen hat.
Mesut Özil verzauberte Real Madrid
Hochbegabt, schnell, wundervoll, der Junge aus dem Gelsenkirchener Stadtteil Bismarck, überwiegend migrantisch geprägt, schafft es bis zu den Königlichen. In seiner besten Phase verzaubert er Real Madrid. Im Alter von 18 Jahren nimmt er den deutschen Pass an, 2011 erhält er den Integrationsbambi, 2014 hebt der Sohn eines türkischen Gastarbeiters mit der deutschen Nationalmannschaft den Weltmeisterpokal in die flirrende Luft von Rio.
Eine Aufsteigergeschichte, bis ein Foto alles zerreißt.
Am Mittwoch hat dieser Mesut Özil mit 34 seine Karriere beendet. „In den vergangenen Wochen und Monaten, in denen ich auch einige Verletzungen erlitten habe, ist es für mich immer klarer geworden, dass es Zeit ist, die große Fußballbühne zu verlassen“, schrieb er in den Sozialen Medien. Zuletzt bewegte sich der Spielmacher in der Türkei bei Basaksehir Istanbul über den Platz, doch eigentlich war es schon länger ruhiger um ihn geworden.
Mesut Özil: Einer der Besten der Welt
Bundestrainer Hansi Flick lobte Özil als einen, der außergewöhnliche Fähigkeiten gehabt habe. „In seiner erfolgreichsten Zeit gehörte er zu den besten Fußballspielern der Welt“, meinte Flick. Auch Özils ehemalige Klubs wie Schalke 04, Real Madrid und der FC Arsenal erinnerten an die bemerkenswerte Laufbahn.
Ein Kapitel aber sparten alle aus, obwohl es mit dem Namen für immer verbunden bleiben wird, weil es Deutschland aufwühlte, spaltete. Mesut Özil selbst hat dabei einen persönlichen Fehler begangen, erlebt hat er einen strukturellen Rassismus von einem Teil der deutschen Öffentlichkeit, für die immer noch eine Kluft besteht zwischen Menschen mit einer Migrationsgeschichte und den anderen deutschen Bürgerinnen und Bürgern.
Dieses Kapitel hat Wunden aufgerissen, es hat Trümmer hinterlassen und es bleibt die Frage, ob Deutschland überhaupt verstehen wollte, wie es zu diesem brisanten Foto kommen konnte.
Philipp Lahm im Interview: "Die EM kann eine Wende schaffen"
Es dürfte in jedem Fall schwierig werden, jemanden zu finden, der dieses Bild nicht kennt. Entstanden ist es im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2018, darauf hat sich Mesut Özil in einem Raum mit braunen Wänden platziert, neben ihm lacht Nationalmannschaftskollege Ilkay Gündogan, ganz rechts steht der deutsch-türkische Profi Cenk Tosun. Dazwischen, und dies wird zum Problem, macht sich Recep Tayyip Erdogan breit, der Präsident der Türkei.
Eine Lawine rollt damals los, immer schneller stürzt sie auf den Deutschen Fußball-Bund, der die Wirkung völlig unterschätzt, und seine Spieler zu. Ilkay Gündogan erklärt sich, berichtet, wie sehr ihn die Beleidigungen getroffen hätten. „Wir haben aufgrund unserer türkischen Wurzeln noch einen sehr starken Bezug zur Türkei. Das heißt aber nicht, dass wir jemals behauptet hätten, Herr Steinmeier sei nicht unser Bundespräsident oder Frau Merkel nicht unsere Bundeskanzlerin. Deshalb war es auch nie ein Thema, ein politisches Statement zu setzen“, sagt er.
Sätze mit Sprengkraft
Mesut Özil aber schweigt, dies muss man ihm vorwerfen. Erst als die deutsche Nationalmannschaft sich durch das Vorrunden-Aus bei der WM blamiert, die Kritik auch an dem Foto neu hochkocht, lässt er eine Bombe in Form von geschriebenen Sätzen platzen. Özil tritt aus der Nationalmannschaft aus, wirft dem damaligen DFB-Präsidenten Reinhard Grindel Rassismus vor. Özil beklagt, dass er „in den Augen von Grindel und seinen Unterstützern“ nur ein Deutscher sei, wenn die Mannschaft gewinne, aber ein Migrant, wenn sie verliere.
Worte, die nachhallen, aber nie wirklich aufgearbeitet werden. Eher werden sie wie am Mittwoch nach Özils Karriereende einfach weggelassen. Dabei täte Deutschland eine unaufgeregte Debatte über dieses Thema, bei dem man Verständnis für beide Seiten aufbringen kann, immer noch gut. Denn es bleibt vollkommen richtig, jemanden dafür zu kritisieren, sich mit einem Machthaber wie Erdogan abzulichten. Nur bleibt es genauso falsch, anschließend junge Fußballer wie Gündogan und Özil, die sich seit ihrer Geburt zwischen zwei Welten bewegen, zu verdammen und in einem Stadion auszupfeifen. Muss man sich da wundern, wenn sich Menschen mit türkischen Wurzeln selbst noch in der zweiten oder dritten Generation eher mit dem Land verbunden fühlen, das sie manchmal nur aus Erzählungen kennen?
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Bleiben sollte aber vor allem die Gabe von Mesut Özil, mit seinem linken Fuß ein Fußballspiel verändern zu können. In 92 Länderspielen hat er den Ball gestreichelt. Auf Schalke begann seine Laufbahn, mit Real Madrid wurde er Meister und Pokalsieger, mit dem FC Arsenal dreimal Pokalsieger. 50 Millionen Follower hat er auf den Plattformen des Internets gesammelt. Ein Weltstar aus Gelsenkirchen.
Mesut Özil: Eng verbunden mit Gelsenkirchen
„Ich bin noch eng verbunden mit Gelsenkirchen“, verrät Mesut Özil einmal in einem Interview. Und in einem anderen Gespräch sagt er: „Warum denken wir immer so in Grenzen? Ich will als Fußballer gemessen werden – und Fußball ist international, das hat nichts mit den Wurzeln der Familie zu tun.“