Gelsenkirchen. Beim furiosen 5:2-Sieg gegen Hertha erzielt Schalke-Verteidiger Marcin Kaminski ein Traumtor. Wird es eine Horror-Saison mit Happy End für ihn?

Als sich Marcin Kaminski in der zweiten Minute der Nachspielzeit den Ball zurechtlegte, rund 20 Meter vom gegnerischen Tor entfernt, da zückte auf der Tribüne Maya Yoshida sein Mobiltelefon. Fast schon eine surreale Szenerie, wie oft war das umgekehrt in dieser Saison des FC Schalke 04, wie oft hatte Yoshida gespielt und Kaminski draußen gesessen. Yoshida stellte die Videofunktion seines Telefons ein, drückte auf den Knopf – und Kaminski schoss den Ball mit seinem starken linken Fuß zum 5:2 (2:1)-Endstand im Abstiegskampf-Krimi gegen Hertha BSC ins Netz.

Schalke: Maya Yoshida filmt Kaminski-Tor

Yoshida stellte seine Video-Aufnahme wenig später über Instagram online, versehen mit dem Spruch: „Ich habe es gefilmt, weil ich es wusste.“ Ein Satz, der so viel über die Stimmung innerhalb der Mannschaft aussagt, und auch viel über Marcin Kaminski.

Gern hätte der 31 Jahre alte Innenverteidiger lange mit dieser Redaktion über sein Comeback, sein Tor, seine Vorlage, den Sieg gesprochen. Doch er eilte nach dem berauschenden Spiel durch die Mixed Zone im Bauch der Veltins-Arena, er hatte einen Termin im VIP-Bereich, dort stehen nach Heimspielen auch Profis für Autogramme und ein Kurzinterview bereit.

Schalke-Verteidiger Marcin Kaminski erzielte gegen Hertha BSC ein Traumtor.
Schalke-Verteidiger Marcin Kaminski erzielte gegen Hertha BSC ein Traumtor. © firo

Zwei Minuten blieb Kaminski bei aller Eile doch stehen, er genoss es, nach einem ganz schwierigen Jahr auch einmal wieder im Mittelpunkt zu stehen. „Ich habe diese Situation trainiert in den vergangenen Wochen“, sagte Kaminski über sein herrliches Freistoßtor. „Ich habe gemerkt, dass dies genau meine Position ist – ich wusste, dass ich den Ball genau so schießen kann“, ergänzte er. Schon das erste Tor, das Tim Skarke mit einem Schuss in den Winkel gelang, hatte Kaminski mit einem gewonnenen Kopfballduell eingeleitet. „Ich bin ganz einfach sehr glücklich, diese Saison war nicht einfach für mich“, sagte Kaminski strahlend.

Kaminski kam ablösefrei zu Schalke 04

Doch warum war sie nicht einfach? Die Antwort auf diese Frage ist etwas länger – und beginnt in der Aufstiegssaison. Ablösefrei war Kaminski im Sommer 2021 vom VfB Stuttgart nach Gelsenkirchen gekommen, bei den Schwaben hatte er überwiegend auf der Bank gesessen oder sogar ganz im Kader gefehlt. Als Innenverteidiger mit einem starken linken Fuß erarbeitete sich der 1,92 Meter große Kaminski aber schnell einen Stammplatz und wurde in Schalkes Aufstiegsmannschaft zum Dauerbrenner. 31-mal stand er von der ersten bis zur letzten Minute in der Startelf, fehlte nur wegen einer Gelb-Sperre und einer Corona-Erkrankung. Kaminski sorgte für einen der Top-5-Momente der Saison, als er am 15. Oktober 2021 in der Nachspielzeit das 1:0-Siegtor in Hannover erzielte. Es war das erste Auswärtsspiel mit einer voll besetzten Gästekurve nach rund anderthalb Corona-Geisterspiel-Jahren. Durch konstant gute Leistungen schaffte es Kaminski sogar zurück ins Aufgebot der polnischen Nationalmannschaft – die WM-Hoffnung kehrte zurück.

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Doch in dieser Saison lief es für den fleißigen, sympathischen Schalker bisher gar nicht. Bei der 1:3-Niederlage am ersten Spieltag in Köln spielte er – wie in der Zweiten Liga auch – durch. Danach verlor er seinen Stammplatz an Malick Thiaw, der fortan neben dem neuen Abwehrchef Yoshida verteidigte. Thiaw sei etwas schneller, urteilte Trainer Frank Kramer.

Nach dem vierten Spieltag verkauften die Schalker Thiaw für rund zehn Millionen Euro an den AC Mailand – doch Kaminskis Chance schlug wieder nicht. Bei einem Unfall im privaten Umfeld hatte er sich an der Wade verletzt und eine eher harmlos aussehende Schnittwunde zugezogen. Diese verheilte aber nicht wie zunächst erhofft – und Kaminski musste operiert werden. Im September war das – und von der Teilnahme an der Weltmeisterschaft musste er sich verabschieden. Ein schwerer Rückschlag. Erst in der langen WM-Pause Anfang Dezember meldete er sich zurück, rund drei Monate später. „Es war der Plan, dass ich vor Weihnachten einen Einsatz bekommen kann“, sagte Kaminski, nachdem er beim 2:2 im Test in Osnabrück sein Comeback gefeiert hatte.

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Im Januar schaffte er es dann zurück ins Aufgebot – bevor er wegen einer Krankheit wieder drei Wochen ausfiel. Später setzte ihn ein Hexenschuss für zwei Wochen außer Gefecht. Erst die Verletzung von Yoshida brachte ihn zurück ins Team – er bestritt erst sein drittes Saisonspiel. „Ich fühle mich super“, sagte er abschließend, bevor er sich verabschiedete.

Peter Knäbel lobt Schalke-Torschütze Marcin Kaminski

Die Lobeshymnen übernahm Sportvorstand Peter Knäbel, als er über Kaminskis Traum-Freistoß redete. „Ich habe sofort gedacht: Den macht er rein. Ich gucke ab und an beim Training zu und weiß, dass er das kann. Ich weiß nicht, wie oft ich zu ihm gesagt habe: Wann fliegt denn der mal in einem Spiel rein? Als ich ihn nach dem Spiel in der Kabine gesehen habe, haben wir uns beide wie verrückt drüber gefreut“, erzählte Knäbel.

Ein Happy End für Kaminski. Nun spricht alles dafür, dass er auch am Sonntag (15.30 Uhr/DAZN) in Freiburg in der Startelf steht.