Gelsenkirchen. Schalke 04 stellte 1973 gegen Hertha BSC die jüngste Startelf der Liga. Peter Ehmke, hochgezogen infolge des Bundesliga-Skandals, erinnert sich.
Peter Ehmke erinnert sich noch an die Zeit, in der man im Ruhrgebiet die Bettwäsche zum Lüften auf die Fensterbank legte und sie hinterher schwarz vom Kohlestaub wieder hereinholte. „Ich bin in einem Haus mit dem Opa aufgewachsen, Schwester, Mutter, Vater – 68 Quadratmeter“, sagt der 69-Jährige. „Der Bergbau war die Nummer eins. Und in der Familie drehte sich alles um den Fußball und Schalke 04.“ Doch dieser eine Tag Anfang der Siebziger Jahre, an dem Ehmke zu einem von elf Schalker Rekordspielern wurde, hat sich nicht in seinem Gedächtnis verwurzelt. „Wenn ich ehrlich bin“, sagt er, „war ich mir dessen bis vor ein paar Tagen gar nicht bewusst.“
Die Rede ist vom 31. März 1973. An diesem Freitag ist es auf den Kopf genau 50 Jahre her, dass der FC Schalke 04 einen Bundesliga-Rekord aufstellte, der auch heute noch gilt. Der 27. Spieltag der Saison 1972/73, Schalke 04 gegen Hertha BSC, 30.000 Zuschauer in der Glückauf-Kampfbahn. Abstiegskampf, Klaus Beverungen trifft in der 88. Minute zum 1:1 (0:0). Das Besondere: Die Elf der Königsblauen ist an diesem Tag im Schnitt 22,09 Jahre alt. Jünger ist danach in fünf Jahrzehnten Bundesliga keine andere Anfangsformation mehr.
Schalke 04: Norbert Nigbur mit 24 der Älteste
Ehmke ist mit 19 Jahren der Zweitjüngste; Manfred Dubski ist sogar noch 18, Torwart Norbert Nigbur mit 24 Jahren der Senior. Es ist die Saison nach dem DFB-Pokalsieg, die Folgen des Bundesliga-Skandals haben Schalke in die sportliche Existenzangst getrieben. Klaus Fischer zum Beispiel ist gesperrt, Stan Libuda dribbelt im sportlichen Exil in Straßburg. Nur 13 Tage vor dem Hertha-Spiel werden Klaus Fichtel, Rolf Rüssmann, Hans-Jürgen Wittkamp und Herbert Lütkebohmert aus dem Verkehr gezogen. Trainer Ivica Horvat zog Ehmke bereits in der Hinrunde von den Amateuren hoch, plötzlich heißen die Mitspieler Nigbur oder Erwin und Helmut Kremers. „Klaus Fichtel habe ich gesiezt, das waren alles Halbgötter für mich. Der Bundesliga-Skandal war mein Glück“, sagt der frühere Stürmer. „Ich habe auch bei den Amateuren einige Tore gemacht, aber außerhalb von Schalke hat mir niemand etwas angeboten.“
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Aber genau das ist ja der Schalke-Weg in den 70ern: zu gucken, welche Talente sich rund um den Pudding entwickeln. Ehmke ist seit den Knaben ein Schalker. Sechs Jahre trainiert er unter der 58er Meisterschaft-Legende Berni Klodt. „Ein unvorstellbar guter Mensch. Das Augenmerk im Training lag immer auf dem Ball, ich kann mich nicht entsinnen, dass wir da mal 1000 Meter gelaufen wären.“
Schalke 04 im Jahr 1973: Über Grenzen hinaus gegangen
Zu Saisonbeginn sagt Präsident Oskar Siebert: „Wir können Großes leisten, wenn wir die Klasse halten.“ Tatsächlich: Schalke zeichnet 1972/73 ein immenser Zusammenhalt aus. Ehmke: „Wir sind in Bereich gekommen, wo wir dachten, es geht nicht mehr – und wir sind darüber hinaus gegangen.“ 30. Spieltag, beim 3:2 über Eintracht Frankfurt trifft er selbst, Schalke steht über dem Strich. Dann: 1:4 in Gladbach, 2:0 gegen Stuttgart, 1:0 in Duisburg, 2:0 gegen den HSV. Am Ende: Platz 15, Braunschweig und Oberhausen steigen ab. „Norbert Nigbur hatte 50 Prozent Anteil an dem, was wir erreicht haben.“
Doch mit dem Profifußball wird der Gelsenkirchener, dem früh Bodenständigkeit beigebracht wurde, nie so richtig warm. Klar, Momente wie jene gegen Bayern München bleiben unvergessen. Als er mit einem Flugkopfball Sepp Maier zum 1:1 überwindet, „ein Traumtor“. Oder wie er danach in der gleichen Partie einem gewissen Kaiser auf den Fuß tritt. „Ich sagte: Entschuldigen Sie, Herr Beckenbauer. Er antwortete: Macht nichts, Junge, kannst Franz zu mir sagen. Da sind mir alle Lampen angegangen.“ Die Kehrseite: Geld und Leistungsdruck; um die Familie durchzubringen, stürmt Ehmke auch mal für 1000 Mark Einsatzprämie mit einem Handgelenkbruch. „Ich habe lange nicht richtig gewusst, dass wir da um viel Geld spielen“, sagt er, „ich war ja nur nach Fußball süchtig.“ Dass Libuda dann wieder nach Schalke zurückkehrte, nicht mehr wirklich gesund und nur noch fit für 45 Minuten, „wurde mir zum Verhängnis. Wenn ich mal einen Ballverlust hatte, rief das ganze Stadion: Libuda. Das hat mir nicht so gutgetan.“
Schalke im Herzen, aber: "Die beste Zeit war bei Rot-Weiss Essen"
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106 Bundesligapartien bestreitet Ehmke für Schalke, den 1. FC Köln und Bayer Uerdingen, zwei Jahre ist er in Belgien bei RC Mechelen, dazu läuft er 69 Mal für Rot-Weiss Essen eine Klasse tiefer auf, scheitert 1977/78 an der Seite von Horst Hrubesch und Frank Mill in der Aufstiegsrelegation knapp am 1. FC Nürnberg. „Eigentlich die beste Zeit, da habe ich mich am wohlsten gefühlt.“ Mit 27 hört Ehmke auf, steigt in die Sicherheitsfirma der Tante ein. „Ich musste gemäß Mamas Ansage ja meine Ausbildung zum Bürokaufmann beenden. Zehn Jahre später hat es mir aber geholfen, dass ich ein bisschen Schreibmaschine schreiben konnte.“
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Ins Stadion geht er schon lange nicht mehr, „aber ich freue mich noch immer, wenn Schalke Punkte holt“: Die braucht die Mannschaft von Trainer Thomas Reis aktuell dringend, die sportliche Situation ist ja vergleichbar mit der vor 50 Jahren. „Ich gehe davon aus, dass sie es schaffen“, sagt Peter Ehmke. Kultstatus werden die aktuellen Schalker dadurch nicht erlangen – sie sind ja auch bei weitem nicht so jung wie die damaligen.