Stuttgart/Gelsenkirchen. Helmut Schulte arbeitete für Schalke und auch Union Berlin. Eine Entscheidung damaliger S04-Chefs kritisiert der 65-Jährige scharf. Ein Interview
Seit 37 Jahren arbeitet Helmut Schulte (65) im Zirkus Profi-Fußball. Derzeit ist er hauptamtlicher Scout und Betreuer der Leihspieler beim VfB Stuttgart. Zuvor war der Sauerländer unter anderem zehn Jahre auf Schalke tätig (als Chefcoach und Nachwuchsleiter) sowie zweieinhalb Jahre bei Union Berlin.
Im WAZ-Interview spricht Schulte über die Chancen von S04 im Abstiegskampf, Unions Druck im Titelrennen und über die Frage, ob Königsblau jemals wieder an den Köpenickern vorbeiziehen kann.
Helmut Schulte, wo liegen die größten Gemeinsamkeiten, wo die wichtigsten Unterschiede zwischen Schalke und Union?
Helmut Schulte: Grundsätzlich sind es zwei Traditionsvereine mit sehr leidenschaftlichen Anhängern. Beide sind Stadtteilvereine, Union ist sehr stark in Köpenick und den umliegenden Stadtteilen verwurzelt. Schalke ist natürlich viel älter als Union, das in seiner heutigen Form erst 1966 gegründet wurde. Schalke hat auch eine ganz andere Titelhistorie. Der 1. FC Union hat lediglich einmal den Pokal der DDR gewonnen. Allerdings ist die jüngste Entwicklung beider Klubs völlig gegenläufig.
Woran liegt das?
Schulte: Union Berlin ist wie Nordkorea, jedenfalls in einer Hinsicht: Dort dringt nichts, was intern gesprochen wird, nach außen. Falls doch, finden die Verantwortlichen schnell heraus, wer getratscht hat, und derjenige kann sich warm anziehen. Wenn Mike Büskens einem Schalker Spieler in der Kabine erklärt, warum er nicht mit einem bestimmten Auto in einer bestimmten Farbe zum Training kommen soll, steht das am nächsten Tag in der Zeitung.
Union ist aktuell Zweiter, Schalke ist Schlusslicht – dafür muss es weitere Gründe geben.
Schulte: Union ist extrem gut aufgestellt mit Präsident Dirk Zingler, einem erfolgreichen Unternehmer, der den Klub führt wie ein Unternehmen, ohne den Charakter des Traditionsvereins zu zerstören. Hinzu kommen Trainer Urs Fischer und der frühere S04-Mitarbeiter Oliver Ruhnert als Geschäftsführer Sport. Olli – das sage ich in aller Bescheidenheit – wäre ohne mich nie in Berlin gelandet.
Sie waren von 2016 bis 2018 Sportdirektor bei Union und holten Ruhnert dorthin.
Schulte: Ich hatte Olli bereits 2007 von den Sportfreunden Oestrich-Iserlohn nach Schalke gelotst. Damals war ich Nachwuchsleiter bei Königsblau und mir war aufgefallen, dass Oestrich, gemessen an der Größe des Vereins, eine extrem starke Nachwuchsarbeit hatte. Irgendwer musste also dort tätig sein, an dem man den Erfolg festmachen konnte. So lernte ich den Jugendtrainer Oliver Ruhnert kennen, der wie ich aus dem Sauerland stammt.
Und dann?
Schulte: Ich merkte schnell: Dieser Mensch weiß, wovon er spricht. Also fragte ich ihn, ob er Scout im Nachwuchs von Schalke werden will. Ein guter Scout macht sich für einen Verein nicht in erster Linie durch richtige Transfers verdient, sondern dadurch, dass er falsche Transfers verhindert. Das spart viel Geld und Nerven. Olli machte seine Arbeit so gut, dass Felix Magath oder Horst Heldt ihm vertrauten. So wurde er später Schalkes Chefscout für den Profibereich und anschließend Nachwuchsleiter.
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2017 beendete der damalige S04-Sportvorstand Christian Heidel die Zusammenarbeit mit Ruhnert.
Schulte: Das war eine Katastrophen-Entscheidung. Damit brach Schalke ein ganz wichtiger Mosaikstein weg.
Kurz darauf holten Sie Ruhnert nach Köpenick.
Schulte: Union brauchte einen Scout, also hab ich ihn gefragt, ob er das für zunächst ein Jahr machen will. Olli hatte auch in Berlin eine sehr hohe Trefferquote bei der Beurteilung von Spielern. Das gilt nicht nur für die sportlichen Skills. Er hat auch ein feines Gespür dafür, welche Mentalität ein Spieler mitbringen muss. Union ist heute dermaßen auf dem aufsteigenden Ast, das einem schwindelig wird.
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Kann S04 jemals wieder an den Eisernen vorbeiziehen?
Schulte: Damit das passiert, müsste Union schon viele Fehler machen. Schalke hingegen müsste fast alles richtig machen, um aus der aktuellen und wirtschaftlichen Lage raus zu kommen. Das ist in einem Traditionsverein, wo es nun mal viele Störfaktoren gibt, extrem schwierig.
Kann Schalke in der laufenden Saison in der Liga bleiben?
Schulte: Möglich ist das, klar. Aber die Wahrscheinlichkeit liegt realistisch betrachtet bei etwa 20 Prozent.
Kann Union Meister werden?
Schulte: Auch das ist möglich und etwa genauso wahrscheinlich wie Schalkes Klassenerhalt. Die Bayern, aber auch Dortmund und Leipzig sind besser besetzt. Zudem wird Union irgendwann beginnen, über das Thema Titel nachzudenken. Das macht einen nervös.
Wie endet die Partie Union gegen Schalke am Sonntag?
Schulte: Ich glaube an das Gesetz der Serie. Union hat zuletzt dreimal in Folge 2:1 gewonnen, Schalke hat dreimal 0:0 gespielt. Deshalb tippe ich 2:1 für Union – oder 0:0.
Für wen schlägt Ihr Herz?
Schulte: Das lass ich mal außen vor. Ich bin Angestellter des VfB Stuttgart, die Tabelle lässt erahnen, welches Resultat für den VfB am besten wäre.