Wien. Turbulent war das Jahr 2022 für Schalke 04 allgemein und für Mike Büskens persönlich. Im Exklusiv-Interview blickt der Aufstiegstrainer zurück.
Ein Hotel am Stadtrand von Wien: Die Profis des FC Schalke 04 bereiten sich in malerischer Ruhe auf ein Testspiel bei Rapid Wien vor, gehen nach dem Mittagessen auf ihre Zimmer. Mike Büskens (54), Co-Trainer, kommt zu einer Sofagarnitur, der Blick geht in den Wienerwald, er setzt sich. Ein Gespräch über das Schalke-Jahr 2022 beginnt.
Dezember – das ist die Zeit der Jahresrückblicke. Wenn es um Schalke geht, sind Sie der „Mann des Jahres“. Können Sie damit etwas anfangen?
Mike Büskens: Nein. Es kommt schließlich darauf an, warum ich das werde.
Der Aufstieg überstrahlt auf Schalke alles andere in diesem Jahr.
Büskens: Ich habe immer gesagt, dass wir als Gruppe über neun Spieltage etwas entwickelt haben. Es ist etwas Phantastisches entstanden. Ich durfte zwar vorstehen, aber viele helfende Hände waren beteiligt. Ein Schlüssel war, dass jeder seinen Platz gefunden hat und dass jeder in seiner Aufgabe aufgegangen ist.
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Es gab aber nicht nur Höhen 2022 wie den Aufstieg, sondern auch Tiefen. Woran denken Sie zuerst?
Büskens: (überlegt) Darum geht es für mich nicht. Es war einfach ein Schalke-typisches Jahr.
Wirklich typisch – oder selbst für Schalke-Verhältnisse extrem emotional? Sie haben zum Beispiel einen Zweitliga-Sieg in Sandhausen mit dem Uefa-Pokal-Sieg in Mailand verglichen.
Büskens: Ja, aber da ging es um die Emotionen, die an diesem Abend hochkamen und an die ich mich erinnere: Alles in Sandhausen ist königsblau, wir gewinnen kurz vor Schluss, unser Konkurrent Werder Bremen verliert im Parallelspiel nach einer 2:0-Führung. Das sind Momente, die man nie vergessen wird. Wie viele andere aber auch.
Sie haben immer gesagt, dass Sie der Hermann Gerland von Schalke sein wollen. Gerland, um im Bild zu bleiben, war aber nie Cheftrainer des FC Bayern. Ist die Formulierung jetzt falsch?
Büskens: Was ich sagen wollte, ist, dass es mir darum geht, eine Konstante im Trainerstab zu sein, aus der zweiten Reihe zu agieren. Da geht es nicht um das Tagesgeschäft, sondern um die Entwicklung von jungen Spielern, um sportliche Nachhaltigkeit. Ich war jahrelang Cheftrainer und brauche diese Rolle nicht.
Trotz des großen Erfolges standen Sie bei allen Trainerfreistellungen in diesem Jahr im Mittelpunkt der Diskussionen.
Büskens: Ich kann mich noch an eine Medienrunde am Abend des Aufstiegs erinnern. Da kam schon die Frage: Wird es jetzt nicht schwer für jemanden, der nach Ihnen kommt? Ich habe immer meine Position dargestellt. Das, was danach passiert ist, und in welcher Art und Weise, das trifft mich. Das wühlt mich immer noch auf.
Was meinen Sie genau damit?
Büskens: Es hieß zum Beispiel, ich hätte in der Zweitliga-Saison Dimitrios Grammozis nicht unterstützt. Die Verantwortlichen im Club, jeder der Beteiligten weiß, dass ich immer versucht habe, mich in schwierigen Phasen schützend vor Dimi zu stellen. Weil ich der Überzeugung war und bin: Wir brauchen Kontinuität. Als ich mit diesen Vorwürfen konfrontiert wurde, hat mich das maßlos geärgert.
Hatten Sie nach der Beurlaubung noch Kontakt zu Grammozis?
Büskens: Dimi hat sich am Tag nach seiner Freistellung bei mir für die Zusammenarbeit bedankt. Das Erste, was ich auf dem Spielfeld gesagt habe, als der Aufstieg feststand, war, dass ein Teil des Aufstiegs auch Dimi und seinem Team gehört. Ich habe ihm immer den nötigen Respekt entgegengebracht. Ich bin da mit mir im Reinen.
Sie hatten Ihren Posten als Co-Trainer nach dem Aufstieg sicher. Bei unseren Recherchen haben wir von Kandidaten Befürchtungen gehört, Mike Büskens hätte zu viel „Hausmacht“. Was halten Sie von diesem Begriff?
Büskens: Gar nichts. Im Sommer hieß es noch, der Schalker Weg führte uns in die Bundesliga und einige Monate später ist man dann das Problem. Das ist mir zu einfach. Im Endeffekt war auf die ganzen entstandenen Diskussionen bezogen das Schlimmste, was passieren konnte, dass wir aufgestiegen sind. Es wäre für mich persönlich vielleicht besser gewesen, wir hätten von den neun Spielen sechs verloren. Dann wären wir Zehnter geworden – der Verein hatte sowieso einen Dreijahresplan, der ein weiteres Jahr in der 2. Bundesliga mit eingepreist hatte.
Haben Sie nie darüber nachgedacht, doch Cheftrainer zu werden?
Büskens: Nein, Sie werden niemanden finden, dem ich so etwas gesagt habe - ob es meine Familie ist, mein Umfeld oder meine Freunde. Dafür schlafe ich auch zu schlecht in dieser Funktion, es raubt mir zu viel Energie. Ich habe immer gesagt, dass ich mich um die jungen Spieler kümmern möchte – zum Beispiel Talente wie Keke Topp und Mattes Hansen, beide kenne ich, seit sie 14 Jahre alt sind. Es wäre doch schön, sie auch weiter begleiten zu können.
Was viele Kandidaten ebenso abgeschreckt hat, war der Gedanke an drei Niederlagen in Folge, wenn 60.000 Schalker „Wir wollen Büskens“ rufen.
Büskens: Ich kann nicht mehr sagen als: Ich möchte es nicht. Sie wissen doch auch: Wenn ich es unbedingt gewollt und medial so formuliert hätte, wäre der Druck für den Verein höchstwahrscheinlich groß gewesen. Als damals Jochen Schneider als Sportvorstand aufgehört hat, hatte ich sechs Positionen innerhalb eines Jahres. Habe ich mich je beklagt? Habe ich je etwas gefordert? Ich war immer loyal zu diesem Klub. Weil ich diesen Klub liebe. Und ich glaube nicht, dass es schlimm ist, große Zuneigung zu seinem Arbeitgeber zu haben.
Aber auch deshalb haben einige Trainer befürchtet, dass Sie, wenn Sie glauben, dass ein Trainerwechsel für den Klub am besten wäre, zum Vorstand gehen.
Büskens: Ich war selbst jahrelang Chef und weiß, was man sich in dieser Position von seinen Kollegen wünscht. Da geht es um Loyalität. Man braucht eine gewisse Streitkultur in einem Trainerteam, aber wenn man den Raum verlässt, gibt es nur eine Meinung. Und so habe ich mich immer verhalten.
Dann kam Frank Kramer, und es wurde direkt von flachen Hierarchien gesprochen. Warum ist das so in die Hose gegangen?
Büskens: Natürlich tauscht man sich im Trainerteam immer aus, aber der Chef hat den Hut auf und entscheidet – so war es bei mir in den neun Wochen auch.
Sie waren aber auch daran beteiligt, dass es nicht geklappt hat.
Büskens: Man ist immer Teil des großen Ganzen. Ich habe doch nicht mit dem Aufstieg alles und damit dann gar nichts zu tun. Sie können mich zum Beispiel für jedes Standard-Gegentor, das wir kassiert haben, persönlich verantwortlich machen. Für die Einteilung war ich zuständig. Grundsätzlich sehe ich es so, dass wenn ein Verein einen Trainer beurlaubt oder ein Sportdirektor freiwillig zurücktritt, dann fragen sich viele Mitstreiter, was hätte man tun können, um es zu vermeiden.
Dann kam Thomas Reis. Wie war Ihr erster Kontakt? Kannten Sie ihn?
Büskens: Wir haben ein paar Mal gegeneinander gespielt, darüber hinaus gab es vorab keinen Austausch.
Thomas Reis hat gesagt, der Austausch sei von Beginn an transparent, offen, ehrlich gewesen.
Büskens: Mir war wichtig, dass er weiß, wie ich denke. Es war sein zweiter Tag, da wollte ich ein gemeinsames Gespräch mit Peter Knäbel und Gerald Asamoah und habe Thomas gebeten, dabei zu sein. In dieser Phase wurde ich mit einigen Vorwürfen konfrontiert. Ich habe klar gesagt: Peter, Ihr wisst ganz genau wie alles gelaufen ist. Wenn Du jetzt sagst, dass nur zwei Prozent der Vorwürfe stimmen, dann fahre ich sofort nach Hause und komme nicht wieder.
Nun gibt es einige Änderungen. Werden Sie es vermissen, auf der Bank zu sitzen?
Büskens: Ich habe schon im Sommer gesagt: Wenn es ein Thema ist, dass ich hinter dem Trainer sitze, dann mache ich das nicht mehr. Ich bin total gerne beim Team, weil ich die Jungs liebe und das Spiel lebe. Aber ich habe damit null Probleme. Es geht um den Verein. Es gibt so viele Aufgaben in meinem Aufgabengebiet auf Schalke und vielleicht fällt ja jetzt auch mal eine zusätzliche Stunde für „Mike.macht.Meter“ ab. Mit dem vom mir 2020 gegründeten Projekt unterstütze ich, unter dem Dach der Stiftung „Schalker Markt!“, Menschen und Sozialeinrichtungen in Gelsenkirchen.
Mussten Sie weitere Aufgaben abgeben?
Büskens: Ich kümmere mich nicht mehr um die defensiven Standards und werde vielleicht nicht bei jedem Spiel vor Ort sein
Wie sehen Ihre neuen Aufgaben aus?
Büskens: Ich hatte mit Thomas kurz vor Beginn des Trainingsstarts ein sehr offenes Gespräch. Er hat gefragt: Buyo, wo siehst du dich? Wo siehst du deine Aufgabe? Ich habe gesagt: Ich sehe sie genau wie zuvor auch – als Verbindungsmann zwischen Profis und Knappenschmiede. Ich möchte schauen: Was ist los in der U17, U19 und U23? Ich möchte mich den Talenten aus dem Profikader widmen, mit ihnen auf dem Platz arbeiten und ihre Spiele analysieren.
Sie und Gerald Asamoah sind die Hüter der Schalker Werte. Haben Sie ein Problem damit, wenn ein Spieler wie Alex Kral einen gelben Lamborghini fährt?
Büskens: Ich habe mit Alex gesprochen – nicht, weil ich den Jungs den Lamborghini neide. Von mir aus können sie auch zehn fahren. Aber wir alle haben erlebt, wie dieser Verein emotional ausschlagen kann. Und dann gehört es zu meiner Pflicht, darauf hinzuweisen, dass wir Tage erlebt haben, wo es negativ emotional wurde und auch das eine oder andere Auto gelitten hat. Ich kann da nicht weggucken und nichts sagen. Und wenn ein junger Spieler meint, er müsste nur die halbe und nicht die volle Kiste mit unterschriebenen Autogrammkarten abgeben, muss ich ihn auch darauf hinweisen, dass das so nicht funktioniert.
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Thomas Reis hat im Interview mit uns gesagt, sein Job sei im Regelfall endlich, Ihrer aber unendlich.
Büskens: Unendlich? Meiner ist auch endlich. (lacht) Aber es ist klar, was er damit sagen wollte.
Was macht Ihnen Mut, dass der Klassenerhalt in der neuen Konstellation gelingen kann?
Büskens: In den letzten Spielen vor der WM-Pause war eine Steigerung zu sehen. Gegen die Hertha, in Bremen und zu Hause gegen Freiburg war mehr drin, Mainz wurde geschlagen. Wir sind aggressiver, agierender, entschlossener. Und manchmal hängt es einfach mit dem Momentum zusammen. Wenn Rodrigo Zalazars Tor in Köln zum vermeintlichen 1:0 gezählt hätte, wenn Dominick Drexler nicht für Nichts in Köln Rot gesehen hätte, wenn Simon Terodde einen der beiden Elfmeter in Wolfsburg verwandelt hätte, wenn Zalazar die beiden Chancen gegen Stuttgart genutzt hätte, dann hätten wir vielleicht mehr Ruhe im Stall.