Gelsenkirchen. Im großen Interview spricht Schalke-Zugang Alex Kral über seine Anfänge, seinen Start auf Schalke und die Situation in Russland.
Als Alex Kral im Trainingslager in Mittersill im Juli zum Team des Bundesliga-Aufsteigers FC Schalke 04 stieß, hatte Sportdirektor Rouven Schröder eine verrückte Idee. Krals markante Locken-Frisur könne Schalke ja zu einer Perücke verarbeiten und im Fanshop verkaufen, sagte Schröder. Als diese Zeitung den 24-Jährigen im Interview darauf anspricht, muss er laut lachen: „Ich habe ihm gesagt, dass ich mir nicht sicher bin, ob das ein guter Businessplan ist.“ Der tschechische Nationalspieler hat viel zu sagen – auch über prominente Vorgänger.
Herr Kral, in den Neunzigerjahren waren zwei Profis aus Tschechien sehr erfolgreich bei Schalke 04. Haben sie schon mal von ihnen gehört?
Alex Kral: Jiri Nemec war der Erste. (überlegt) Der zweite Name liegt mir auf der Zunge.
Radoslav Latal.
Kral: Latal, ja genau. Sie haben eine lange Zeit auf Schalke gespielt und sind noch immer große Namen. Jiri Nemec hat sogar die gleiche Position gespielt wie ich.
Nemec ist noch heute eine Legende auf Schalke. Berühmt war er für seine Interviews – weil er sie gehasst hat. Sein Spitzname war „Der Schweiger“.
Kral: (lacht) Ich bin da ein bisschen anders. Zu Fans, Mannschaftskollegen und auch Reportern bin ich generell offen. Auch in den Sozialen Medien bin ich aktiv und gebe einiges von mir preis.
Sportlich war Nemec sehr gut im Zweikampf und in Balleroberungen, er hat sehr clever gespielt. Wie würden Sie ihren Spielstil beschreiben?
Kral: Ich bin sehr laufstark, spule viele Kilometer ab und bemühe mich darum, die Abwehr zu unterstützen. Auch im Erobern von zweiten Bällen und im Blocken von Pässen bin ich ganz gut – aber im Offensivspiel könnte ich mich noch verbessern.
Das war auch die Schwäche von Jiri Nemec, er hat fast nie Tore geschossen.
Kral: Genau wie ich, noch eine Gemeinsamkeit. (lacht) Vielleicht kann ich auf Schalke ja in seine Fußstapfen treten.
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In Deutschland ist noch nicht viel über Sie und Ihren Weg zum Profi bekannt. Was sind Ihre ersten Erinnerungen an den Fußball?
Kral: Direkt neben meiner Grundschule war ein Fußballplatz, aber anfangs habe ich nur Leichtathletik gemacht und bin um den Platz herumgelaufen – das war mir irgendwann zu langweilig, also habe ich es mit dem Fußball versucht. Ich hatte Talent, doch nach zwei Jahren, hatte ich den Spaß verloren und wollte wieder aufhören. Als ich meinen Eltern von meinen Plänen erzählt habe, sagte mein Vater, es sei kein Problem. Ich sollte mich nur in die Kabine stellen und all meinen Teamkollegen erzählen, dass ich die Mannschaft verlasse. Das habe ich mich aber nicht getraut, ich war zu schüchtern und habe dann doch weitergespielt. (lacht)
Rückblickend keine schlechte Entscheidung. Schon mit zwölf Jahren haben Sie es bei Slavia Prag in eine der besten Jugendakademien des Landes geschafft.
Kral: Stimmt. (lächelt) Aber die ersten sechs Monate bei Slavia waren hart, denn da habe ich noch bei meinen Eltern in Brünn gewohnt, 200 Kilometer von Prag entfernt. Mein Vater musste mich also dreimal pro Woche jeden Tag über zwei Stunden zum Training fahren. Dafür musste er sich extra ein anderes Auto kaufen. Direkt nach der Schule hat mein Vater mich damals eingesammelt, um nach Prag zu fahren. Mittagessen gab es im Auto, die Hausaufgaben habe ich auch oft während der Fahrt oder nach unserer Rückkehr zu Hause gemacht. Es war extrem anstrengend und ich bin meinem Vater rückblickend sehr dankbar für die Unterstützung. Was er geleistet hat, war teilweise unglaublich. Erst nach sechs Monaten konnte ich bei Slavia ins Internat ziehen.
Was hätten Sie gemacht, wenn es nicht für eine Profikarriere gereicht hätte?
Kral: Gute Frage, es gab nie einen echten Plan B. Profi zu werden war immer das große Ziel. Der Traum meiner Mutter war aber, dass ich an einer guten Universität studiere. Ich war recht gut in der Schule und hätte die Möglichkeit gehabt. Irgendetwas Sportliches wäre sicher spannend gewesen. Als ich 17 war musste ich mich jedoch zwischen einem Studium und einem Profivertrag bei Teplice entscheiden – ich habe mich für den Fußball entschieden.
Über Teplice ging es für Sie zurück zu Slavia Prag, von dort zu Spartak Moskau, wo Sie noch bis 2024 unter Vertrag stehen. Sind Sie wegen des Krieges nach ihrer unglücklichen Leihe zu West Ham United nicht nach Russland zurückgekehrt?
Kral: Es war nicht nur der Krieg – es gibt auch familiäre Gründe, denn nach Russland einzureisen, ist aktuell sehr schwierig. Für Ausländer ist das Leben dort kompliziert geworden. Die FIFA-Entscheidung, dass ausländische Profis ihre Verträge pausieren dürfen, hat für mich vieles vereinfacht. Trotzdem ist es mir wichtig zu betonen, dass ich Spartak im Herzen trage. Ich hatte ein tolles Verhältnis zu den Fans und hatte dort die bisher besten Jahre meiner Karriere. Den Club zu verlassen, fiel mir wirklich schwer. Noch immer habe ich Kontakt zu vielen ehemaligen Mitspielern.
Wie informieren Sie sich über den Krieg?
Kral: Vor allem in Zeitungen und im Internet. Bei West Ham habe ich mit Andriy Yarmolenko zusammengespielt. Als der Krieg begann, haben wir von seinen Eltern direkt aus Kiew Nachrichten bekommen.
Sie sprechen Ihre Zeit bei West Ham United an: Warum haben Sie dort als Leihspieler in der vergangenen Saison nur sechsmal gespielt?
Kral: Das ist schwer zu sagen. Vom Trainer habe ich darauf keine klare Antwort bekommen. Psychisch war die Zeit in London schwer für mich, weil ich keine Chance erhalten habe, mich zu zeigen. Trotzdem habe ich mich immer professionell verhalten und nie für schlechte Stimmung gesorgt. Erst im Auto nach den Trainingseinheiten konnte ich all meine Emotionen rauslassen.
War es für Sie ein verlorenes Jahr?
Kral: Nein, ich habe wirklich viel über mich und den Fußball gelernt. Natürlich kann man das so sehen, weil ich nicht oft gespielt habe. Aber ich hatte die Möglichkeit, viel zu trainieren und mich auch dadurch zu verbessern. Trotzdem bin ich froh, dass jetzt ein neues Kapitel ansteht.
Auf Schalke. Was hat Sie am meisten überrascht, als Sie vor einem Monat kamen?
Kral: Die Bedingungen sind wirklich gut. Ich habe schon bei einigen Klubs gespielt, aber hier ist alles an einem Ort – das Stadion, die vielen Trainingsplätze, ein Reha-Zentrum und ein Athletikzentrum. Bei West Ham lagen Stadion und Trainingsplatz 30 Minuten mit dem Auto voneinander entfernt.
Was wussten Sie über Schalke, bevor Sie zugesagt haben?
Kral: Den Namen Schalke 04 kennt jeder. Es ist ein riesiger Klub. Und ich wusste, dass Domenico Tedesco einmal bei Schalke 04 gearbeitet hat. In Moskau hatten wir zusammen eine sehr erfolgreiche Zeit und wir hatten immer ein ganz besonderes Verhältnis. Noch heute schreiben wir regelmäßig miteinander.
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In Prag und in Moskau haben Sie noch um Titel gespielt, auf Schalke geht es jetzt um den Klassenerhalt. Passt der Abstiegskampf zu Ihnen?
Kral: Auf jeden Fall, ich bin bereit. Ob man um einen Titel spielt oder gegen den Abstieg kämpft, macht für mich keinen großen Unterschied – beides ist extrem hart.
Aber der Druck ist ein anderer.
Kral: Das sehe ich nicht so. Der Druck ist vergleichbar. Auch bei Slavia und Spartak war der Druck riesig, denn für beide Teams ist es eine schlechte Saison, wenn sie keinen Titel gewinnen, jeder im Umfeld hat diesen Anspruch.
Glauben Sie, der Schalker Kader ist gut genug, um die Klasse in der Bundesliga zu halten?
Kral: Ganz sicher. Wir haben eine gute Mannschaft. Unser Hauptziel ist natürlich der Klassenerhalt, aber wir als Mannschaft müssen uns mehr vornehmen. Mit den Fans im Rücken können wir mehr erreichen und wollen unbedingt die Derbys gegen Bochum und Dortmund gewinnen. Die Unterstützung hier ist extrem, das habe ich noch bei keinem anderen Verein erlebt – egal, ob zu Hause oder bei Auswärtsspielen.
Zuletzt haben Sie den Schalkern sogar zu einem Neuzugang verholfen. Was haben Sie Ihrem ehemaligen Spartak-Kollegen Jordan Larsson über Schalke erzählt?
Kral: (lacht) Jordan und ich haben uns schon in Moskau gut verstanden und sind befreundet. Ich habe ihm natürlich zu einem Wechsel zu Schalke geraten und ihm einige Fotos vom Trainingsgelände geschickt. Hier kann er den nächsten Schritt in seiner Karriere gehen, weil er gute Chancen auf Spielzeit hat. Und Deutschland ist ein guter Ort zum Leben. Gerade hier in der Umgebung gibt es viele tolle Städte. Ich freue mich wirklich sehr, dass wir jetzt wieder Teamkollegen sind.
Larsson hat auf Schalke für drei Jahre unterschrieben. Wie stehen die Chancen, dass Sie länger als nur eine Saison bleiben?
Kral: Das ist schwer zu sagen. Ich bin jetzt für ein Jahr von Spartak ausgeliehen und habe danach noch einen Vertrag in Moskau. Im Fußball weiß man nie, was passiert: Spielst du gut? Spielst du schlecht? Auch wie sich die Lage in Russland entwickelt, spielt für mich eine große Rolle. Noch gibt es so viele offene Fragen, deshalb schaue ich nur von Training zu Training, von Spiel zu Spiel. Was ich aber sagen kann ist, dass ich mich auf Schalke sehr wohl fühle.
Auch eine Rückkehr nach Russland scheint also nicht ausgeschlossen.
Kral: Bleibt die politische Lage so wie sie derzeit ist, glaube ich nicht, dass ich zurückkehren werde. Wenn sich der Konflikt lösen sollte und es keine Probleme mit dem Visum gibt, kann ich mir generell schon vorstellen, noch einmal für Spartak zu spielen.