Gelsenkirchen. . “Mein Vater hat mehr für meine Karriere getan als ich selbst“, sagt Schalke-Profi Mehmet Aydin. Im Interview gibt er selbstkritische Einblicke.

Als in der Schalker Arena bereits das Bühnenbild für drei Konzerte des englischen Musik-Stars Ed Sheeran aufgebaut wird, schaut auch Mehmet Can Aydin im Stadion vorbei. Mit der WAZ war der 20 Jahre alte Schalke-Profi zum Interview verabredet. Über eine halbe Stunde nahm er sich Zeit und sprach unter anderem über seine Familie, Lehren von Norbert Elgert, Rückschläge und seine Ziele.

Herr Aydin, was bedeutet Ihnen Familie?

Mehmet Can Aydin: Familie ist für mich mit das Wichtigste im Leben. Sie steht auch noch über dem Fußball. Obwohl ich schon vor zwei Jahren von zu Hause ausgezogen bin und allein wohne, bin ich so oft es geht bei meinen Eltern. Ich bin ein echter Familienmensch.

Ihr Vater hat Sie zu Jugendzeiten jahrelang von Aachen nach Gelsenkirchen zum Training gefahren – rund 150 Kilometer pro Strecke.

Aydin: Ich sage oft, dass mein Vater mehr für meine Profikarriere getan hat als ich selbst. Er ist morgens um 5 Uhr zur Arbeit gefahren, kam nach Hause und hatte kaum Zeit zu essen, bevor er mich zum Training bringen musste. Im Berufsverkehr haben wir oft zwei Stunden bis nach Gelsenkirchen gebraucht. Während ich dann auf Schalke trainiert habe, hat er zugeschaut. Auf den Fahrten haben wir auch über Fußball gesprochen und mein Vater hat mir viele nützliche Tipps gegeben. Er selbst war auch Profi bei Alemannia Aachen. Für seine Anstrengungen bin ich ihm unendlich dankbar.

Warum sind Sie auf Schalke nicht ins Internat gegangen?

Aydin: Meine Mutter wollte nicht, dass ich gehe. Anfangs gab es deswegen ein bisschen Streit in der Familie, aber später habe ich verstanden, dass es die richtige Entscheidung war. Nachdem ich vor zwei Jahren ausgezogen bin, habe ich meine Familie oft vermisst.

Es heißt, es war eigentlich der große Traum Ihres Vaters, dass Sie auf Schalke unter Trainer Norbert Elgert spielen.

Schalke-Profi Mehmet Aydin während des Interview mit dieser Redaktion.
Schalke-Profi Mehmet Aydin während des Interview mit dieser Redaktion. © Thomas Gödde / FUNKE Foto Services

Aydin: Ich wollte das natürlich auch. (grinst) Herr Elgert ist ja bekannt dafür, dass er die Spieler bestmöglich auf den Profibereich vorbereitet. Jungs wie Kaan Ayhan, Leroy Sané oder Julian Draxler haben es vorgemacht. Ich wollte diesen Weg auch gehen.

Wie schwer fiel es Ihnen, Borussia Mönchengladbach schon als Zwölfjähriger zu verlassen?

Aydin: Bei Gladbach lief es gut für mich und ich habe mich wohlgefühlt. Ein Grund für meinen Wechsel war einer meiner damaligen besten Freunde, Gianluca Iseni. Zu Unrecht wurde er bei der Borussia rausgeworfen und ich wollte unbedingt weiter mit ihm zusammenspielen. Natürlich waren wir noch kleine Kinder, aber ich war fest entschlossen zu gehen, weil er auch gehen musste. Auf Schalke hat es für uns beide gepasst und wir konnten weiter zusammenspielen.

Passend zum Thema Familie haben Sie mal erzählt, dass Mike Büskens für Sie wie ein Onkel ist.

Aydin: Gerade in meinen ersten Monaten als Profi hat Herr Büskens mir enorm geholfen. Als junger Spieler braucht man jemanden, dem man sich anvertrauen und mit dem man über alles reden kann. Dabei geht es auch um private Dinge, nicht nur um Fußball. Ich bin wie sein türkischer Adoptivsohn, er für mich wie ein Onkel.

Sie siezen Büskens noch, während er von den meisten Spielern auf Schalke geduzt wird.

Aydin: Er meinte mal zu Kero (Kerim Calhanoglu) und mir, dass wir ihn duzen dürfen, wenn wir ihm etwas aus der türkischen Küche mitbringen. (lacht) Das haben wir dann auch gemacht, aber wir haben uns so daran gewöhnt, ihn zu siezen, dass es für uns keinen Unterschied mehr macht.

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Sie sind jetzt seit zwei Jahren Profi. Was sind Ihre persönlichen Ziele für die kommenden Monate?

Aydin: Erst einmal bin ich glücklich, dass Schalke wieder erstklassig ist. Vor dem Abstieg durfte ich schon meine ersten Spiele in der Bundesliga machen, jetzt brenne ich auf die neue Saison und hoffe, dass noch weitere hinzukommen. Generell setze ich mir hohe Ziele und habe noch viel vor. Aber ich will hier keine großen Töne spucken. Wenn ich in ein paar Jahren einige meiner Ziele erreicht haben, können wir rückblickend gern darüber sprechen. (grinst)

In der Diskussion über Führungsspieler auf Schalke schrieb die Bild zuletzt, dass auch Sie ein „Boss-Gen“ hätten. Wie äußert sich das?

Aydin: (lacht) In der Jugend war ich häufiger Kapitän, klar. Aber wir haben so viele gute und erfahrene Spieler in der Mannschaft. Wenn ich Verantwortung übernehmen muss, bin ich dazu bereit. Ich bin mutig genug und liebe es, zu helfen. Ein echtes Vorbild ist für mich Simon Terodde. Nicht, weil er unser Torjäger ist, sondern weil er auch neben dem Platz Größe zeigt. Wenn im Training jemand gebraucht wird, der anpackt, ist Simon da. Wenn in der Kabine sauber gemacht werden muss, ist Simon der Erste, der aufräumt.

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Sie haben mal gesagt, dass Sie gern im Mittelpunkt standen und Aufmerksamkeit brauchten, bevor Sie auf Schalke in die Mannschaft von Norbert Elgert kamen. Warum?

Aydin: In der Jugend gehörte ich immer zu den besten Spielern meiner Mannschaft und wurde von meinen Teamkollegen geschätzt – daran habe ich mich irgendwann gewöhnt - und das ist gefährlich, denn ich habe mich auf dem Lob ausgeruht. Ich dachte, es geht immer so weiter und ich habe ein bisschen weniger gemacht. Unter Herrn Elgert habe ich gelernt, dass ich dieses Lob nicht brauche und ich gar nicht immer im Mittelpunkt stehen kann. In einer Mannschaft kann man nur erfolgreich sein, wenn alle ihr Ego zurückschrauben.

Inzwischen wirken Sie eher zurückhaltend.

Aydin: In der Kabine bin ich jemand, der viel redet und versucht, Stimmung zu machen. Auf dem Platz konzentriere ich mich auf meine Leistung. Als junger Spieler sollte man den Mund noch nicht zu voll nehmen.

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Dass sie nicht mehr so viel Aufmerksamkeit bekommen, liegt auch an Ihrer Position. Statt als Stürmer spielen sie inzwischen als Rechtsverteidiger.

Aydin: In der U19 plötzlich Verteidiger zu sein, war für mich anfangs schwer zu akzeptieren. Ich war es gewohnt, vorne zu spielen und viele Tore zu schießen – und das habe ich geliebt. Aber Herr Elgert hat mich nach nur zwei Spielen als Stürmer zur Seite genommen und mir erklärt, dass er mich eher als Außenverteidiger sieht. Es hat ein bisschen gedauert, aber inzwischen merke ich auch, dass die neue Position sehr gut zu mir passt.

Auffällig in Ihrer Entwicklung ist auch, dass Sie in den vergangenen Jahren stark an Muskelmasse zugelegt haben.

Aydin: Das hat im Corona-Lockdown angefangen. Als unser U19-Training damals wochenlang ausgefallen ist, habe ich zu Hause zweimal täglich trainiert und acht Kilo an Muskelmasse zugelegt. Heute merke ich, dass mir diese zusätzliche Kraft geholfen hat, mich im Profibereich behaupten zu können. Um als Jugendlicher gegen gestandene Männer zu bestehen, reicht Talent allein nicht aus.

Geschickt am Ball: Schalkes Rechtsverteidiger Mehmet Aydin während des Testspiels in Lohne.
Geschickt am Ball: Schalkes Rechtsverteidiger Mehmet Aydin während des Testspiels in Lohne. © firo

Wie viel Zeit investieren Sie in Ihren Körper?

Aydin: Inzwischen bin ich an einem Punkt angekommen, an dem ich eher weniger als mehr Krafttraining machen sollte. Seit meiner letzten Verletzung habe ich das Pensum heruntergefahren, doch Training und Ernährung spielen weiter eine große Rolle für mich. Als Profifußballer reicht es nicht, nur drei Stunden auf dem Platz zu arbeiten. Man muss für den Sport leben.

Sie haben wirklich zu viel trainiert?

Aydin: Ich war zu ehrgeizig und wollte immer mehr Kraft aufbauen, noch schneller werden. Wenn man abseits des Trainings zu viel macht, besteht die Gefahr, dass die Muskeln im Training überlastet sind. An einem solchen Punkt ist das Verletzungsrisiko hoch.

In der zurückliegenden Saison hatten Sie mit zwei Muskelverletzungen zu kämpfen.

Aydin: In der Hinrunde habe ich mich in Hannover verletzt, saß aber schon eine Woche später wieder auf der Bank, obwohl mein Arzt mir eigentlich eine Pause von vier Wochen empfohlen hatte. Das war mir aber zu lang. Ich hatte vorher eine gute Phase, wollte den Schwung mitnehmen und ich hatte keine Geduld. Leider. Ich bin viel zu früh zurückgekommen, habe leichte Schmerzen ignoriert – und bereue es. Weil meine Verletzung nicht komplett verheilt war, ist sie in der Winter-Vorbereitung noch einmal schlimmer geworden. Zwölf Wochen bin ich ausgefallen und habe fast die komplette Rückrunde verpasst. Wenn man so ein bisschen verrückt ist wie ich, ist es extrem schwer, so lange zu warten. Aber ich habe daraus gelernt.

Inzwischen sind sie wieder bei 100 Prozent und mitten in der Vorbereitung auf die Bundesligasaison. Wie ist Ihr Eindruck vom neuen Trainer Frank Kramer?

Aydin: Er hat einen sehr guten Draht zu jungen Spielern und wir verstehen uns. Ich habe das Gefühl, dass die ersten Wochen gut liefen, wir auch mit den Testspielen zufrieden sein können. Noch ist aber natürlich nicht alles perfekt, wir wollen weiter an uns arbeiten.

Interview in der Arena: Mehmet Can Aydin (recht) im Gespräch mit den Schalke Reportern Robin Haack und Andreas Ernst.
Interview in der Arena: Mehmet Can Aydin (recht) im Gespräch mit den Schalke Reportern Robin Haack und Andreas Ernst. © Thomas Gödde / FUNKE Foto Services

Es gilt als wahrscheinlich, dass bis Saisonstart ein weiterer Rechtsverteidiger verpflichtet wird. Haben Sie Respekt vor dem drohenden Konkurrenzkampf?

Aydin: Konkurrenzkampf macht mich stärker und ist auch wichtig fürs Team. Meine Einstellung bleibt unverändert: Ich werde weiter alles geben, um zu spielen.

Auf Schalke wird immer wieder betont, dass der Klassenerhalt das Hauptziel ist. Warum wird Schalke im Mai 2023 die Klasse halten?

Aydin: Die Zielsetzung ist genau richtig. Wir sind Aufsteiger und sollten nicht jetzt schon träumen. Wenn wir den Klassenerhalt schaffen, haben wir viel erreicht.

Welchen Moment der Aufstiegssaison werden Sie nie vergessen?

Aydin: Einen Moment zu nennen, ist schwer. In meinen zwei Profijahren habe ich schon fast alles erlebt, was man als Fußballer so erleben kann. (lacht) Wir sind abgestiegen, waren am Boden. Nur ein Jahr später sind wir wieder aufgestiegen. Im Gedächtnis geblieben ist mir aber die Pausenansprache von Herrn Büskens beim Heimspiel gegen St. Pauli am vorletzten Spieltag. Wir lagen 0:2 zurück und ich hätte erwartet, dass die Stimmung schlecht ist und es laut wird. Aber das Gegenteil war der Fall. Der Trainer hat gesagt, das 0:2 sei das Beste, was uns passieren konnte, weil wir jetzt Geschichte schreiben können. Danach haben wir nicht mehr viel geredet, sondern sind rausgegangen, haben das Spiel gedreht und sind aufgestiegen.