Gelsenkirchen. Vor vier Jahren stürmte Marius Bülter noch in der Regionalliga. Nun spricht er im Interview über seinen Weg zum FC Schalke 04 und mehr.
Gern wäre Marius Bülter dieser Tage mit seinen Teamkollegen von Schalke 04 in der Türkei gewesen, um sich im Trainingslager gemeinsam auf den Rest der Zweitligasaison vorzubereiten. Die Corona-Lage allerdings verhinderte die Reise – und auch ein gemeinsames Interview im Team-Hotel. Nach einer Trainingseinheit auf dem heimischen Vereinsgelände hat sich der 28 Jahre alte Stürmer dennoch Zeit für ein Gespräch mit dieser Zeitung genommen. Dabei erzählt er vom Druck auf Schalke, von seinem außergewöhnlichen Karriereweg und nennt die Formel zum Aufstieg.
Herr Bülter, in einem Interview haben Sie mal erzählt, dass Stefan Effenberg ein Held Ihrer Kindheit war. Wie viel Effenberg steckt in Ihnen?
Marius Bülter: (lacht) Nicht sehr viel. Als Kind habe ich ihn bewundert, fand ihn und seine Art wirklich cool. Effenberg war ein echter Anführer, Typen wie ihn gibt es ganz wenige. Ich bin jedoch anders gestrickt. Auch ich will auf Schalke ein Führungsspieler sein und vorangehen, aber meine Kollegen vorrangig durch gute Leistungen und durch meine Mentalität mitreißen. Ich bin niemand, der große Töne spuckt.
Nach Ihrem Wechsel zu Schalke im Sommer sagten Sie, Sie hätten „Bock auf die Herausforderung“. Welche Dinge sind auf Schalke anders, als Sie im Vorfeld gedacht hätten?
Bülter: Ich habe immer wieder gehört, wie groß der Verein sein soll. Jetzt ein Teil von Schalke zu sein und tatsächlich zu sehen, was alles dahintersteckt, hat meine Vorstellungen übertroffen. Es ist Wahnsinn. Das Gefühl, in die volle Arena einzulaufen und dann von den Fans nach vorn gepeitscht zu werden, ist unbeschreiblich.
Wie viel Druck verspüren Sie, auf Schalke liefern zu müssen?
Bülter: Man spürt schnell, wie groß der Druck werden kann. Ich wusste, dass Schalke auch in dieser Hinsicht besonders ist – wie genau es sich anfühlt, konnte ich allerdings nur erahnen. Bei Union Berlin zum Beispiel herrschte ein anderer Druck. Dort ging es darum, den Klassenerhalt zu schaffen, hier kämpfen wir um den Aufstieg. Der Druck ist groß, und das ist nicht immer einfach. Als Mannschaft haben wir es aber bislang gut gemacht. Obwohl es Phasen gab, in denen die Kritik zugenommen hat, haben wir es immer wieder geschafft, den Hebel umzulegen.
Wie gehen Sie mit dieser mentalen Belastung um?
Bülter: Ich habe das Glück, dass ich in meiner Freizeit gut vom Fußball abschalten kann, habe keine schlaflosen Nächte und denke in meinem privaten Umfeld nicht zu viel über Fußball nach. Wenn ich nach Hause komme, rede ich wenig über Fußball – auch, weil meine Freundin kein großer Fußballfan ist. Das tut mir gut.
Das ist Schalke-Stürmer Marius Bülter
Marius Bülter, 28 Jahre alt, wurde in Ibbenbüren geboren und wuchs in Dreierwalde im Tecklenburger Land auf. Seine Juniorenzeit verbrachte er nicht in einem Nachwuchsleistungszentrum, sondern bei Brukteria Dreierwalde, Preußen Münster und Eintracht Rheine.
Seine erste Station im Seniorenbereich war kein Profiklub, sondern Eintracht Rheine in der sechsten Liga. Er wechselte anschließend (Saison 2013/14) zum Oberligisten SuS Neuenkirchen und zog zum SV Rödinghausen weiter (2014 bis 2018). In der Regionalliga-Saison 2017/18 wurde er Torschützenkönig. Parallel zur Amateurfußball-Karriere studierte er am Campus Lingen in Osnabrück Maschinenbau und schloss das Studium ab.
Im Alter von 25 Jahren feierte er in der Saison 2018/19 beim Zweitligisten 1. FC Magdeburg sein Profi-Debüt (32 Spiele, 4 Tore), zog nach nur einem Jahr zu Union Berlin weiter, traf für die Eisernen in 58 Spielen achtmal. In der Rückrunde der Saison 2020/21 hatte er aber keinen Stammplatz mehr. Deshalb folgte im Sommer 2021 der Wechsel zu Schalke 04.
Noch vor vier Jahren haben Sie beim SV Rödinghausen in der Regionalliga gespielt. Auf Schalke stehen sie inzwischen auch medial viel mehr im Fokus.
Bülter: Ich versuche weitgehend auszublenden, was in den Medien über mich geschrieben wird. Auch bei Instagram bin ich nicht sehr aktiv, poste selten etwas. Aber es wäre gelogen zu sagen, dass ich gar nichts mitbekomme.
Bekommen Sie mit, welche Noten Sie von Zeitungen oder Zeitschriften für Ihre Leistungen bekommen?
Bülter: Ja, das sieht man auch mal. Aber ich habe eine gute Selbstreflexion. Wenn ich schlecht gespielt habe, habe ich auch mal eine schlechte Note verdient. Die Benotungen stören mich nicht, und oft sind sie im Großen und Ganzen gar nicht so verkehrt.
Anders als viele andere Profis haben Sie nie ein Nachwuchsleistungszentrum besucht. Welche Vorteile hatte das für Ihr Leben und Ihre Entwicklung?
Bülter: In der Jugend hatte ich nicht so viel Druck, wie ich ihn wahrscheinlich in einem NLZ gehabt hätte. Zwar gab es auch bei Preußen Münster Konkurrenzkampf, doch ich glaube, ich hatte eine angenehmere Jugend als viele andere Profis. Es gab in meinem Leben nicht nur Fußball, das ist bei den Jungs heute im NLZ oft anders. Ich war zwar nie der Typ, der viel feiern gegangen ist, aber ich hatte in jedem Fall mehr Freiheiten. Es war alles ein bisschen unbeschwerter – und diese Unbekümmertheit zeichnet mein Spiel noch heute aus. Ich mache gern Sachen, die nicht jeder Gegenspieler erwartet.
Welche Nachteile hat es, dass Sie kein NLZ besucht haben?
Bülter: Wäre ich in einem Nachwuchsleistungszentrum ausgebildet worden, wäre ich vielleicht schon früher Profi geworden. Doch in meiner Jugend hat es einfach nie die Möglichkeit gegeben, zu einem Bundesligisten zu wechseln. Klar, hätte ich als Kind gern die Chance bekommen, bei einem ganz großen Klub zu spielen, aber heute mache ich mir darüber keine Gedanken mehr. Ich genieße einfach, dass ich inzwischen Profi sein darf.
Gibt es Dinge, die Sie in Ihrer Karriere bereuen?
Bülter: Wenn ich zurückblicke, lief wirklich alles perfekt (grinst). Es klingt fast kitschig, aber jeder Schritt war im Nachhinein richtig. Ich bin froh, dass alles so gekommen ist, wie es jetzt ist. Mein Weg ist außergewöhnlich, und ich weiß das alles sehr zu schätzen.
Bevor Sie 2018 Profi wurden, haben Sie Maschinenbau studiert. Welche Dinge aus Ihrer Studienzeit helfen Ihnen noch heute als Fußballer?
Bülter: Rein fachlich kann ich aus dem Studium nur noch sehr wenig gebrauchen. Aber Dinge wie Ehrgeiz und Fleiß braucht man sowohl als Profi-Fußballer als auch als Student. Harte Arbeit zahlt sich in der Uni und auf dem Fußballplatz aus.
Gibt es Momente, in denen Sie gern noch einmal mit Ihrem studentischen Ich tauschen wollen würden?
Bülter: Ich wohne zwar inzwischen wieder näher an meiner Heimat, dem Münsterland, aber weil ich an den Wochenenden fast immer unterwegs bin, verpasse ich dennoch viel von dem, was Freunde und Familie unternehmen. Manchmal wünsche ich mir, es wäre wie früher. Trotzdem war es immer mein Traum, Profi-Fußballer zu werden, und den konnte ich mir erfüllen. Ich bin sehr glücklich mit meinem Leben.
Seit Sommer sind Sie auf Schalke. Was war seitdem Ihr schönster Moment?
Bülter: Spontan fallen mir zwei Spiele ein. Der 1:0-Auswärtssieg in Hannover mit dem Tor in der letzten Minute war sehr besonders, aber auch der 3:0-Heimsieg gegen Dynamo Dresden in der ausverkauften Arena vor über 50.000 Fans. Danach vor der Nordkurve zu feiern, war außergewöhnlich, einfach geil. Da habe ich gemerkt, was Schalke ausmacht. Wegen Momenten wie diesem habe ich hier unterschrieben.
Wie zufrieden sind Sie persönlich mit ihren ersten Monaten in Königsblau?
Bülter: Insgesamt lief es ganz gut für mich. Es waren ein paar Spiele dabei, in denen ich nicht die Leistung gebracht habe, die ich von mir selbst erwarte, daran will ich arbeiten. Ich will noch konstanter werden.
Sechs Saisontore haben Sie auf Ihrem Konto. Haben Sie sich für 2022 eine bessere Ausbeute vorgenommen?
Bülter: Klar, es könnten noch mehr Tore sein, ich definiere mich aber nicht über meine Tore. Als Offensivspieler will ich am liebsten in jedem Spiel treffen, aber das ist nicht mein Hauptziel. Wichtiger ist, dass wir gewinnen.
Als Tabellenvierter sind die Aufstiegsränge für Sie in Reichweite. Was ist für Schalke die Formel zum Aufstieg?
Bülter: Wenn wir mehr Punkte holen als in der Hinrunde, haben wir gute Chancen, aufzusteigen. Wichtig wird, dass wir als Mannschaft noch mehr Konstanz in unser Spiel bekommen. Die letzten beiden Spiele gegen Nürnberg und Hamburg waren sehr gut – diese Auftritte müssen für uns der Maßstab sein. Daran müssen wir uns orientieren. Schlechte Leistungen wie gegen Darmstadt oder Regensburg dürfen uns nicht mehr passieren.
Wird das Coronavirus den Ausgang der 2. Bundesliga entscheiden?
Bülter: Ich hoffe nicht. Corona-Fälle beeinflussen die Situation in den Mannschaften teilweise enorm. Als Sportler will ich mich jede Woche mit den Besten messen. Ich wünsche niemandem, dass er sich infiziert und gegen uns ausfällt. Uns alle frustriert das Thema, doch wir müssen die Situation annehmen und darauf achten, dass wir uns bestmöglich schützen.
Wie sehr stört es die Vorbereitung, dass aufgrund der verschärften Corona-Regeln aktuell beispielsweise keine Gruppensitzungen mehr stattfinden können?
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Bülter: Das alles hat natürlich Einfluss auf unsere Abläufe. Wir dürfen nicht mehr als komplette Mannschaft zusammen in der Kabine sitzen – das fehlt uns. Es herrscht im Team eine gute Stimmung, wir sitzen gern zusammen, machen Späße. Aber das ist aktuell leider nicht möglich. Wir können nur hoffen, dass diese Phase bald wieder vorbei sein wird und sich keiner mehr von uns infiziert.