Gelsenkirchen. Frank Schmidt ist Deutschlands dienstältester Profitrainer und spricht im Interview über das Spiel seines 1. FC Heidenheim gegen Schalke 04.
17. September 2007 saß Frank Schmidt zum ersten Mal auf der Bank des 1. FC Heidenheim, in der fünftklassigen Oberliga Baden-Württemberg war das. Der FC Schalke 04 bereitete sich gerade auf ein Champions-League-Spiel gegen Valencia vor. An diesem Freitag treffen sich die beiden Mannschaften in der 2. Bundesliga (18.30 Uhr/Sky), es geht um Punkte. Und während Schalke seit 2007 14 Cheftrainer verschliss, ist Frank Schmidt immer noch in Heidenheim – als dienstältester Trainer im deutschen Profifußball.
1. FC Heidenheim gegen Schalke 04, es geht um Punkte. Wie hört sich das an, Herr Schmidt?
Frank Schmidt: Vor ein paar Jahren hätte man sicher gesagt: Das ist unmöglich. Da hätten wir viel Geld bezahlen müssen, damit es zu einem Freundschaftsspiel kommt.
Sie haben am 17. September 2007 als Trainer in Heidenheim angefangen, standen in der Oberliga Baden-Württemberg vor einem Spiel gegen Normannia Gmünd. Schalke bereitete sich auf ein Champions-League-Spiel gegen Valencia vor…
Schmidt: Bei Normannia Gmünd war damals Alexander Zorniger Trainer, der später Bundesligatrainer wurde. Das ist auch noch einmal eine besondere Anekdote (lacht).
Hätten Sie damals jemals an ein Punktspiel gegen Schalke 14 Jahre später geglaubt?
Schmidt: Natürlich nicht. Das war undenkbar damals. Ich war ja zuerst auch nur interimsmäßig Trainer. Heidenheim aber hat mir damals einen Weg aufgezeigt, dass man in die 3., vielleicht in die 2. Liga kommen will.
Was ist auf der einen Seite richtig, was auf der anderen falsch gelaufen?
Schmidt: Die Beurteilung, was bei Schalke schief gelaufen ist, überlasse ich Ihnen. Unser Plan damals war von Kontinuität geprägt. Nicht nur ich, auch Holger Sanwald, unser Vorstandsvorsitzender als mein Chef, viele Begleiter in der Vereinsführung, im Trainerteam – viele sind von Anfang an dabei. Den Weg in die 2. Bundesliga mussten wir uns hart erarbeiten. Heidenheim ist eine Industriestadt, auch bei uns gibt es Maloche.
Das ist ja eine Gemeinsamkeit mit Schalke. Wie würden Sie das Umfeld in Heidenheim beschreiben?
Schmidt: Die Stadt, die Region, das ist viel Industrie, viel Mittelstand. Ich hatte meine sportlich beste Zeit als Spieler bei Alemannia Aachen am alten Tivoli. Es war top, in die Heimat zu transportieren, wie wichtig es ist, dass sich die Menschen mit der Art und Weise, wie man Fußball spielt, identifizieren. Das ist hier Maloche, Mentalität. Im Vereinslied heißt es auf Schwäbisch: „Wir bruddeln uns von Sieg zu Sieg“. Übersetzt heißt das: Wir motzen, schimpfen uns von Sieg zu Sieg. Auch das zeichnet die Menschen aus.
Die Unterschiede zwischen beiden Klubs überwiegen. Zunächst einmal sportlich: Sie haben drei Spiele in Folge verloren, Schalke in der Liga vier in Folge gewonnen.
Schmidt: Ich bin im 15. Jahr hier, und es ist in der Tat eine neue Situation, dass auf drei Siege drei Niederlagen folgen. Man glaubt ja eigentlich, dass man alles schon erlebt hat. Wir waren vor drei Spieltagen Tabellendritter mit der besten Abwehr, wurden seitdem durchgereicht auf Platz elf. Wenn ein Trainer so lang da ist, ist es gut, wenn es mal neue Situationen gibt, aber auf die hätte ich gern verzichtet.
Woran hapert es bei Ihnen?
Schmidt: Wir haben es gegen Bremen, St. Pauli und Nürnberg verpasst, aus der Art und Weise, wie wir aufgetreten sind, mehr Kapital zu schlagen. Unsere Chancenauswertung war deutlich zu wenig. In der zweiten Hälfte haben wir dann jeweils den Faden verloren. Das kann man ablesen an der Zahl der Gegentore – insgesamt eins in der ersten, aber zehn in der zweiten. Wir haben da vergessen, wie gut wir eigentlich verteidigen können. Und das ist unsere Kernkompetenz.
Der 1. FC Heidenheim stand ganz lange außerhalb Ihrer Stadt vor allem für zwei Namen – Trainer Frank Schmidt und Kapitän Marc Schnatterer. Er ist nun nicht mehr da. Warum? Wie klappt es ohne ihn?
Schmidt: Er hat in der vergangenen Saison kaum noch von Anfang an gespielt. Wer ihn kennt, der weiß, dass die Rolle auf der Bank nicht auf ihn zugeschnitten ist. Dann haben wir uns entschieden, dass irgendwann das Ende kommt, sein Vertrag bei uns ist im Sommer ausgelaufen. Natürlich war er sehr enttäuscht, aber wenn wir den Weg des 1. FC Heidenheim festlegen, dann verfolgen wir eine gerade Linie. Wir sind nicht im Streit auseinander gegangen, er wird in anderer Funktion irgendwann zurückkommen.
Sie hingegen haben einen neuen, bis 2027 gültigen Vertrag, unterschrieben. Wie schaffen Sie es, sich jeden Tag neu zu erfinden?
Schmidt: Neu erfinden – das ist gar nicht notwendig. Die Konstellation treibt mich nach vor an. Ich bin 200 Meter Luftlinie von der Voith-Arena entfernt geboren. Diesen ehrgeizigen Verein in der sportlichen Verantwortung zu führen, das motiviert mich. Zum 1. FC Heidenheim gehört dazu, dass wir Transfererlöse erzielen. Die nächsten Spieler aus der 3. oder 4. Liga zu holen, immer wieder trotz veränderter Rahmenbedingungen konkurrenzfähig zu sein: Das macht mir Spaß. Wir holen keine fertigen Hochkaräter, wie zum Beispiel Schalke. Ich habe jede Menge Energie, ich bin der richtige Trainer für den 1. FC Heidenheim. Nach drei Niederlagen in Folge ist aber auch hier Alarm.
Kann ich mir das so vorstellen, dass die Vertragsgespräche nur wenige Minuten dauern?
Schmidt: (lacht) In der Tat brauchen wir nicht lang zu verhandeln. Ich habe keinen Berater, da sitzen auch keine Anwälte am Tisch. Das ist eine Art Handschlagvertrag. Wir hatten drei Gespräche, da ging es um alles andere als um Geld. Wäre es mir ums Geld gegangen, hätte ich mich längst verändern müssen – und auch können. Hier geht es aber um eine besondere Form der Identifikation. Meine Aufgabe ist einfach, meine Heimat- und Geburtsstadt im Profifußball zu halten.
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2020 haben Sie erst in der Relegation den Bundesliga-Aufstieg verpasst. Hatten Sie nicht danach das Gefühl, am Höhepunkt gehen zu müssen?
Schmidt: Nein. Es gab keine Sekunde, in der ich gedacht habe, dass es nun Zeit ist zu wechseln. Es gab in der Vergangenheit die Möglichkeit, aber keine passende Konstellation. Ich musste nach den Spielen gegen Werder Bremen mit meinem Trainerteam sofort wieder für den FCH da sein, da der nächste Zweitliga-Start ganz schnell kam. Ich bin keiner, der träumt, seine Karriere nach vorn zu bringen. Das hier gebe ich nicht einfach auf.
Sie haben mal gesagt, Sie hätten in Heidenheim noch die Zeiten erlebt, als nach dem Training eine Kiste Bier in der Kabine stand. Denken Sie oft daran zurück?
Schmidt: Bevor ich Trainer wurde, war ich hier auch Spieler. Anfangs in der Verbandsliga. Da war das so mit der Kiste Bier. Ich habe es nicht vergessen. Wenn man so lange diese Aufgabe hat, darf man nie vergessen, wo man herkommt. Wie man es geschafft hat, von der 5. in die 2. Bundesliga zu kommen, an der 1. Liga zu schnuppern: Das ist einmalig. Kommen Sie am Freitag zu uns ins Stadion?
Ja, ich bin da.
Schmidt: Dann werden Sie sehen, dass sich der Kiosk, an dem sich die Mannschaft in Verbands- und Oberliga-Zeiten versammelt hat, nach wie vor im Stadion befindet. Beim späteren Ausbau der Voith-Arena wurde um den Kiosk gebaut. Wir brauchen keine Kiste Bier mehr, sollten aber den Weg, den wir gegangen sind, nicht vergessen. Das alles macht uns stolz, ist aber auch die Pflicht, alles zu tun, dass das so bleibt. Auch in Heidenheim wäre ein Abstieg ein brutaler Einschnitt. Den gilt es zu vermeiden.
Schalke hatte 14 Cheftrainer seit September 2007. Haben Sie nicht irgendwann gedacht: Warum rufen die mich nicht an?
Schmidt: (lacht) Das sagen eher die Menschen um mich herum, dass es nicht sein kann, dass Vereine, die zu Frank Schmidt passen würden, sich nicht melden. Ich habe, jetzt natürlich auch wieder durch die Verlängerung, schon den Stempel drauf: Der will und kann nur Heidenheim. Manchmal ärgert mich das, weil ich mir schon zutraue, auch etwas anderes zu machen. Es gab Anfragen, für mich war aber nie die Konstellation gegeben.
Aktuell sind Sie der dienstälteste Trainer im deutschen Profifußball. Den Weltrekord von Guy Roux, der über 36 Jahre Trainer des AJ Auxerre in Frankreich war, peilen Sie aber nicht an…
Schmidt: Nein. Ich habe nicht das Ziel, Rekorde als Trainer zu brechen. Ich lebe im Hier und Jetzt. Ich habe immer ein Ziel: die aktuelle Aufgabe zu lösen. Schaue ich zu weit nach vorn, ist die Gefahr groß, die Ziele aus den Augen zu verlieren.
Kommen wir zur Aktualität: Was denken Sie über diese Schalker Mannschaft?
Schmidt: Sie hat sich gefunden, hat nur ein Ziel. Da ist jede Menge Qualität und Effektivität. Trainer Dimitrios Grammozis kennt die Zweite Liga, er weiß genau, was nötig ist, um dort erfolgreich zu sein. Defensive Stabilität ist dafür zum Beispiel sehr wichtig – und sie erkennt man bei Schalke. Es ist jede Menge Intensität dabei, von draußen kommt sehr viel Emotionalität. Da kommt ein Bollwerk auf uns zu. Aber ich liebe Herausforderungen. Wir gehen nicht in dieses Spiel und sagen: Das ist unmöglich.