Gelsenkirchen. Dieter Schatzschneider (63) ist Rekord-Knipser der 2. Liga. Der Ex-Schalke- und HSV-Profi über den Start, das Aufstiegsrennen und vieles mehr.

Trotz seiner insgesamt vier Bundesliga-Spielzeiten beim Hamburger SV (1983/84), auf Schalke (1984 bis 1986) und in Hannover (1988/89): In Erinnerung geblieben ist Dieter Schatzschneider vor allem als bester Zweitliga-Torjäger aller Zeiten. 154-mal traf „Schatz“ in 201 Einsätzen für Hannover (132 Tore) und Fortuna Köln (22). Doch die vermeintliche „Bestmarke für die Ewigkeit“ könnte in der heute beginnenden Saison 2021/22 pulverisiert werden – von Schalkes Neuzugang Simon Terodde ...

Herr Schatzschneider, Hand aufs Herz: Welchem Ihrer Ex-Klubs drücken Sie beim heutigen Saisonauftakt die Daumen – Schalke oder dem HSV?

Dieter Schatzschneider Mein Herz ist fest vergeben, an meinen Heimatklub Hannover 96. Dennoch hege ich Sympathien für Schalke und Hamburg. Umso trauriger ist es, zu sehen, dass bei beiden Vereinen so viel kaputtgegangen ist. Da wie dort musste man schmerzlich erkennen, dass man mit Geld nicht alles erreichen kann. Nun ist die Kohle knapp, und man muss versuchen, mit den vorhandenen Mitteln ein funktionierendes Team zu formen. Das ist vielleicht der sympathischere Weg.

Schalke hat mit Simon Terodde den überragenden Zweitliga-Stürmer der vergangenen Jahre vom HSV losgeeist. Sollte der 33-Jährige in dieser Saison zwölfmal treffen, würde er mit Ihnen als Rekord-Knipser gleichziehen.

Den Terodde zu holen, noch dazu ablösefrei, war ein absolut genialer Schachzug von Schalke. Der Junge garantiert dir einfach Tore.

Folglich ist Ihre über 30 Jahre alte Bestmarke stark gefährdet.

Auch interessant

Ich bin wirklich sehr, sehr gerne Rekord-Torjäger der 2. Liga. Phasenweise dachte ich: Meine 154 Buden packt nie einer. Aber das hat man bei Gerd Müller und seiner 40-Tore-Saisonbestmarke in der Bundesliga auch gedacht. Bis Lewandowski kam. Vielleicht könnte der Terodde meinen Rekord zunächst einmal nur einstellen, nicht brechen. Aber daraus wird natürlich nichts, denn zwölf Saisontore übertrifft er locker. Von einem Klasse-Stürmer wie ihm erwarte ich mehr als 20 Dinger – wenn er die nicht macht, soll er bitte seinen Vertrag zurückgeben (lacht).

Würden Sie Terodde den Rekord gönnen?

Charakterlich macht er einen sehr positiven Eindruck. Er spielt äußerst mannschaftsdienlich, hat neben Toren auch viele Assists verbucht. Obendrein ist er ein waschechter Mittelstürmer, wie ihn jede Mannschaft aufbieten sollte. Diesen albernen Hype um die „falsche Neun“ hab ich sowieso nie verstanden.

Schafft Königsblau mit Terodde den sofortigen Wiederaufstieg?

Darauf ist die gesamte Kaderplanung auf Schalke ausgerichtet, auch mit den anderen routinierten Neuzugängen wie Latza, Bülter oder Kaminski. Neben Schalke sehe ich Bremen und Düsseldorf als heißeste Aufstiegsanwärter. Mit etwas Glück könnten auch Nürnberg oder Hannover oben mitmischen.

Er kommt immer gerne nach Schalke: Dieter Schatzschneider (rechts) beim Ehemaligen-Treffen in der Zeit vor Corona mit Hannes Bongartz (links) und Klaus Fische
Er kommt immer gerne nach Schalke: Dieter Schatzschneider (rechts) beim Ehemaligen-Treffen in der Zeit vor Corona mit Hannes Bongartz (links) und Klaus Fische © imago/Revierfoto | imago sportfotodienst

Und der HSV?

Wird Vierter, wie immer (lacht).

Sie kennen die 2. Liga aus Ihrer Zeit als Profi, aber auch als Scout von Hannover 96. Ist der Fußball hier wirklich fundamental anders als in der 1. Liga?

Von der Physis her ist das Niveau sehr ähnlich. Aber die fußballerischen Mittel sind ganz andere: viel Kampf, viel Laufbereitschaft, wenig Kombinationen von hinten heraus, dafür häufig lange Bälle. Ein gutes Beispiel ist Jahn Regensburg. Bei denen siehst du elf Mann, die pausenlos rennen und rackern. Und wenn der Trainer fünfmal wechselt, kommen fünf Neue, die noch mehr Gas geben. Schalke oder Bremen werden Zeit brauchen, um sich an diese Gangart zu gewöhnen. Aber viel Zeit bleibt dir nicht. Deshalb sage ich ganz deutlich: Wenn Schalke nur rumeiert, wird das nix mit dem Aufstieg.

Experten sprechen von der „stärksten 2. Liga aller Zeiten“.

Von der Tradition und von den Vereinsnamen her ist sie das ganz sicher. Aber sportlich? Das muss man sehen. Fakt ist: Wenn du oben mitspielen willst, ist Kampf allein nicht genug. Du musst gut Fußball spielen und dir auch gegen defensiv eingestellte Gegner deine Torchancen erarbeiten.

Braucht man dazu die sogenannten Unterschieds-Spieler?

Auch interessant

Hören Sie auf mit „Unterschieds-Spieler“! Was ist das überhaupt? Der Harit zum Beispiel ist ein hochbegabter Fußballer mit riesigen technischen Fähigkeiten, aber leider ein reiner Querläufer. Der rennt mit dem Ball am Fuß hundert mal von rechts nach links und von links nach rechts, dabei muss er das Ding in die Tiefe bringen – vors Tor. Da habe ich doch lieber einen, der 20 Prozent weniger Potenzial hat, aber immer 100-prozentig erfolgsorientiert ist.

Ihr Heimatklub Hannover und der HSV stecken schon seit zwei bzw. drei Jahren in der 2. Liga fest. Ein Teufelskreis?

Die Situation in Hannover hat mir reichlich Kummerspeck beschert: Ständig esse ich Süßigkeiten, um darüber hinweg zu kommen. Eines muss jedem klar sein, auch auf Schalke: Wenn du nicht den sofortigen Wiederaufstieg schaffst, musst du finanziell abspecken. Dann holst du ganz sicher keine „Unterschieds-Spieler“ mehr. Stattdessen musst du den mühsamen Weg des Neuaufbaus gehen.

Nicht leicht vermittelbar auf Schalke oder in Hamburg.

Die Situation in beiden Vereinen ist im Grunde recht ähnlich. Beide hatten zuletzt große Geldbeschaffer wie Tönnies oder Kühne im Hintergrund. Beide haben völlig überholte Strukturen mit viel zu großen Gremien. So kannst du einen Klub nicht effizient führen. Und: Bei beiden ist das Publikum gedanklich noch immer in der erfolgreichen Vergangenheit verhaftet. Beim HSV ist das sogar noch ein bisschen extremer.

Ihr verstorbener Freund Wolfram Wuttke, mit dem Sie in Hamburg zusammenspielten, sagte einst: „Im Ruhrpott rücken die Leute in der Kneipe zusammen, wenn alle Plätze belegt sind. In Hamburg legen sie demonstrativ ihre Jacke auf den freien Sitz neben sich.“

Da hatte der „Wutti“ recht. Die Hamburger sind eher hanseatisch distanziert. Im Pott sagen sie dir an der Theke: „Komm her, setz dich, du Blinder! Auch wenn du datt Tor nich’ triffs’, wir trinken jetz’ erstma’ ein Bier zusammen.“ Diese Menschen machen für mich das Ruhrgebiet und den FC Schalke aus. Deshalb komme ich auch so gerne zum alljährlichen blau-weißen Ehemaligen-Treffen am jeweils letzten Heim-Spieltag der Saison.

Auch interessant

Wird Königsblau im Mai 2022 den Aufstieg bejubeln?

Klares Ja! Schalke geht sofort wieder hoch.

Und wie endet das Auftaktspiel gegen den HSV?

Ich hoffe auf einen Schlagabtausch und viele Tore, sagen wir: 2:2.