Gelsenkirchen. Oliver Reck spricht über Schalkes Drama am 19. Mai 2001. Er will es nicht an Merk festmachen, aber: „In 99 von 100 Fällen ist das kein Rückpass.“

Natürlich, es ist die Dramatik der Ereignisse, die diesen Tag für Schalke so unvergessen macht. Aber wenn Olli Reck (56) über den 19. Mai 2001 spricht, dann geht es ihm vor allem um die Menschen, die mit Schalke 04 an diesem Tag so unermesslich gelitten haben. Olli Reck war der Torwart jener Schalker Mannschaft, die vor genau 20 Jahren beinahe Deutscher Meister geworden wäre. In der WAZ spricht er über die „Meister der Herzen“, auch über Leid und Tragik.

Herr Reck, viele Schalker denken an diesem Tag an Tränen und Trauer, an Ungerechtigkeit und an Markus Merk. Was ist Ihr erster Gedanke, wenn Sie an den 19. Mai 2001 denken?

Oliver Reck Ich denke zuerst an die vielen enttäuschten Zuschauer im Parkstadion. Und ich denke an Rudi Assauer, dem ich es so sehr gegönnt hätte, mit Schalke 04 Deutscher Meister zu werden. Das war ja sein Traum, sein Baby, dies einmal im Leben mit Schalke zu schaffen.

„Mit Schalke Meister werden: Dafür wurde ich belächelt“

Sie hatten eine besondere Beziehung zu Assauer: Er hat Sie aus Bremen nach Schalke geholt.

Ich hatte ja das Glück, dass ich mit Werder schon zweimal Deutscher Meister geworden war. Aber als ich 1998 nach Schalke gekommen bin, habe ich gleich bei meiner Vorstellung gesagt: Ich will auch mit Schalke 04 Meister werden – damals wurde ich dafür belächelt. Aber wir hatten mit Huub Stevens einen super Trainer und mit Rudi Assauer den besten Manager aller Zeiten.

Und die Mannschaft?

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Uns hatte keiner auf der Rechnung – wenn man so will, waren wir ein zusammengewürfelter Haufen mit Leuten wie Hajto und Böhme. Aber man vergisst dabei, dass das auch eine gute Mannschaft war mit guten Charakteren: Böhme, der vielleicht ein bisschen verrückt war, Asamoah, Hajto, Möller – alle waren echte Charaktere, und zusammen waren wir eine verschworene Truppe. Jeden Dienstag sind wir zusammen nach Buer ins Zutz gegangen, dort haben wir uns mit zwölf bis 15 Mann nach dem Training zum Essen getroffen. So etwas würde es heute nicht mehr geben.

Und dann kam der 19. Mai 2001, der letzte Spieltag der Saison mit all’ seiner Tragik...

Ich vergesse nicht die Wochen davor: Eigentlich haben wir es da verloren mit dem Unentschieden in Bochum und der Niederlage in Stuttgart. Da hätten wir es vorentscheiden können. Das letzte Spiel gegen Unterhaching haben wir ja gewonnen – das übersieht man oft.

„Heute würde das in 99 von 100 Fällen nicht als Rückpass gewertet“

Die Tragik kam durch das Spiel in Hamburg, auch durch die Entscheidungen von Markus Merk.

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Ich möchte das nicht an Markus Merk festmachen: Wir hätten es selbst in Bochum und Stuttgart entscheiden können. Klar ist für mich aber auch: Das, was damals in Hamburg als Rückpass gepfiffen wurde, würde heute in 99 von 100 Fällen nicht als Rückpass gewertet.

„Schobi hätte den Ball einfach nur auf die Tribüne knallen müssen“

Es gehört auch zur Tragik dieses Tages, dass beim HSV Mathias Schober im Tor stand: Ein Schalker Junge, der den Ball mit den Händen aufnahm: Wie beurteilen Sie das als ehemaliger Torwart?

Schobi hätte einfach nur den Ball auf die Tribüne knallen müssen – dann wären wir Meister gewesen. (lächelt) Und wenn du Schobi heute danach fragst, dann sagt er auch: „Warum habe ich das nicht einfach gemacht?“

Sie waren 20 Jahre Profi: War dieser 19. Mai 2001 der bitterste Tag Ihrer Karriere?

Ich habe viele bittere Tage erlebt, aber auch so viele wunderschöne. 2001 hätte ich es einfach an erster Stelle Rudi Assauer gegönnt. Er hat danach gesagt: Für diese Meisterschaft hätte man uns auf Schalke ein Denkmal gebaut – wahrscheinlich hatte er recht. Ich weiß nicht, wann Schalke da jemals wieder hinkommen kann. Wir hätten uns echt unsterblich gemacht.

Eine Woche später gewann Schalke gegen Union Berlin den DFB-Pokal – damals ein kleiner Trost?

Ich erinnere mich vor allem noch an unser letztes Training vor der Reise nach Berlin: Gefühlt waren damals am Donnerstag 10.000 oder 15.000 Menschen im Parkstadion, um uns zu verabschieden. Diese Anteilnahme war einmalig – so etwas bleibt für mich unvergessen.