Gelsenkirchen. Schalke 04 ist für Dimitrios Grammozis eine Herzenssache. Im Interview spricht der neue S04-Trainer über Tradition und Besuche im Parkstadion.
Dimitrios Grammozis wirkt voller Energie beim Video-Interview mit dieser Redaktion. Es ist das aufgeschlossene Wesen des 42-Jährigen, das ihn übers ganze Gesicht strahlen lässt. Nicht sein erstes Spiel als Schalke-Trainer. Dieses 0:0 gegen Mainz 05 ordnet er gemischt ein.
Herr Grammozis, Sie haben vor dem Spiel gesagt: Es gibt keine hängenden Köpfe auf Schalke. Gilt das immer noch?
Dimitrios Grammozis: Nach den Nackenschlägen der vergangenen Wochen haben wir versucht, den Jungs in kurzer Zeit einen Neustart zu vermitteln, und ich finde, dass wir das defensiv schon ganz gut hinbekommen haben. Wir wollen das Spiel nicht zu schön reden, fußballerisch haben wir viel Luft nach oben. Aber ich habe eine Mannschaft gesehen, die Leidenschaft und Charakter auf dem Platz gezeigt hat. Und das ist für mich eine ganz wichtige Basis, um sich Schritt für Schritt auch wieder fußballerisch zu verbessern.
Bei dem Job, den Sie angetreten haben, drängt sich der Eindruck auf: Sie müssen ein sehr risikofreudiger Mensch sein. Richtig?
Grammozis: Nicht unbedingt. (grinst) Schalke 04 ist auch für mich einfach kein normaler Fußballverein, sondern hier ist Tradition und eine riesige Fan-Gemeinde, die für diesen Verein lebt - diese Leidenschaft ist es, was mich reizt. Ich durfte schon als Spieler diese Tradition in meinen Vereinen, für die ich gespielt habe, spüren. Und deshalb war es ein sehr großer Wunsch von mir, irgendwann auch als Trainer in einem so großen Klub zu landen. Ich freue ich mich riesig, jetzt ein Teil dieses besonderen Vereins sein zu dürfen. Das empfinde ich als großes Privileg.
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Sie haben Schalke sogar als Herzensverein bezeichnet. War das nur eine Floskel, oder hat das mit Ihrer Herkunft Wuppertal zu tun - nur 50 Kilometer von der Arena entfernt?
Grammozis: Als Kind war ich tatsächlich sehr oft im Parkstadion, weil mein Cousin ein total fanatischer Schalker ist. Das Erste, was er gemacht hat, war mir ein Schalke-Trikot zu kaufen. Damals gab es noch keine festen Nummern, vorne stand nur ganz groß Schalke 04. So ging es bei mir früh in diese Richtung, wir haben uns gemeinsam die Spiele angeguckt, und man konnte schon von einer großen Sympathie reden. Natürlich schaut man dann später, wenn man Profi wird, mehr auf den Verein, für den man gerade spielt. Aber ein Auge von mir war bei mir immer schon nach auf Schalke gerichtet.
Dimitrios Grammozis: "Schalke ist eine andere Hausnummer" als der VfL Bochum
Haben Sie im Parkstadion in der Kurve gestanden?
Grammozis: Nein, dafür war ich auch zu klein. (lacht) Das war Ende der 1980-er Jahre.
Jetzt ist Schalke Ihre dritte Profi-Station im Ruhrgebiet nach Rot-Weiss Essen und dem VfL Bochum. Was zeichnet die Menschen im Revier aus?
Grammozis: Zu allererst diese Geradeheraus-Mentalität: Man weiß hier wirklich, wo man bei den Leuten dran ist. Ab und zu muss man sich auch einen Spruch anhören, aber das ist nicht böse gemeint. Außerdem ist man sehr hilfsbereit. Und so habe ich das in den ersten Tagen hier auch erfahren. Das passt zu meiner Lebenseinstellung.
Sie haben sehr lange beim VfL Bochum gearbeitet, jetzt wird es möglicherweise so sein, dass beide Mannschaften die Liga tauschen. Was kann Schalke vielleicht sogar vom Zweitligisten Bochum lernen?
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Grammozis: Die Grundeinstellung und die geleistete Arbeit sind in Bochum sehr gut. Ich denke aber, jeder Verein hat seine eigene Geschichte und Philosophie. Schalke ist von der Wucht und der Anzahl der Fans noch einmal eine andere Hausnummer. Da sind natürlich auch die Ansprüche ganz anders.
Schalke ist für Sie kein Tiki-Taka-Klub. Wofür soll das Team unter Ihnen stehen?
Dimitrios Grammozis: "Wir wollen attraktiv sein"
Grammozis: Der Tiki-Taka-Vergleich war auf die aktuelle Situation bezogen: Ich weiß natürlich, dass Schalke berühmt ist für seinen Kreisel, mit dem man früher die Abwehrreihen schwindelig gespielt hat. Im Moment ist es aber das Schalke 04, das sich zuerst über harte Arbeit definieren muss und sich hoffentlich wieder entwickelt. Wir wollen in Zukunft keine Mannschaft sein, die nur ackert und die Bälle rausschlägt. Wir wollen auch Torchancen kreieren und attraktiv sein für die Menschen, die irgendwann wieder ins Stadion kommen. Das ist unser Auftrag für die Zukunft.
War Ihre Aufstellung gegen Mainz schon ein Statement für die Zukunft? Mit jungen Spielern wie Thiaw, Hoppe, Bozdogan und Calhanoglu anstelle von Mascarell, Oczipka, Schöpf oder Stambouli?
Grammozis: Wir haben bewusst gesagt, dass wir einen neuen Weg gehen möchten. Schalke 04 hat eine der besten Jugendabteilungen überhaupt, dann wäre es für mich als Trainer doch fatal, wenn ich darauf nicht zurückgreifen würde. Und die Jungs haben sich ihren Einsatz auch verdient, den haben sie nicht von uns geschenkt bekommen. Dennoch müssen wir eine gute Mischung finden zwischen Zukunft und Gegenwart und schauen, dass wir die Qualität auf den Platz bringen, um das Spiel zu gewinnen. Darum geht es letztendlich.
In zwei Statistiken ist Schalke führend: Verletzungen und Krämpfe in der Schlussphase. Das muss Sie doch verrückt machen, wenn eine Viertelstunde vor Schluss die halbe Mannschaft umkippt.
Grammozis: Ein schönes Bild war das nicht, das kann ich sagen. Es war ein sehr intensives Spiel, und ich habe auch das Gefühl gehabt, dass großer psychischer Druck da war, weil die Jungs unbedingt gewinnen wollten. Die haben sich so verausgabt, da kam alles zusammen.
Müssen Sie auch bei Verletzungen und fehlender Fitness den Kopf für das hinhalten, was schon seit längerer Zeit auf Schalke schiefläuft?
Grammozis: Was in der Vergangenheit passiert ist, kann ich nicht beurteilen. Jeder hat seine eigenen Vorstellungen, wie er spielen lassen will – und setzt dort entsprechend im Training an. Das ist auch bei uns so. Es geht für uns darum, die Spieler auf ein gewisses Niveau zu bringen. Wir haben am Samstag im Training schon damit angefangen mit den Jungs, die weniger gespielt haben. Die haben sich gut verausgabt. (grinst)
Dimitrios Grammozis will "Jungs, die für Schalke brennen"
Also verstärktes Fitnesstraining?
Grammozis: Fitnesstraining gehört dazu. Man muss ja die Intensität des Spiels simulieren können. In der Bundesliga ist jedes Spiel hochintensiv.
Einen erfahrenen Trainer würde man fragen, ob Schalke der schwerste Job der Karriere ist. Bei Ihnen lautet die Frage: Haben Sie keine Angst, dass Sie sich hier die Karriere ruinieren?
Grammozis: Über so etwas denke ich gar nicht nach. Wenn ich von einer Sache überzeugt bin, dann schaue ich nicht, was passieren könnte, wenn es schlecht läuft, sondern ich sehe erstmal die Chancen. Wir sind hier angetreten, um mit den Jungs etwas zu bewegen, und die haben Lust darauf und geben Gas - am Ende werden wir dann schauen, wo wir landen.
Sie achten nur auf das Hier und Jetzt, wollen sich mit dem Sommer noch nicht beschäftigen. Aber eine Frage können wir Ihnen nicht ersparen: Welche Erwartungen haben Sie an den neuen Sportchef, den Schalke holen wird?
Grammozis: Ich hoffe, dass er mich mag. (lacht) Mein Ansprechpartner ist Peter Knäbel, mit ihm habe ich einen super Austausch. Die Gespräche mit ihm waren ein ganz wichtiger Grund, warum ich mich überhaupt für Schalke 04 entschieden habe. Darüber hinaus ist es jetzt kein guter Zeitpunkt, um über die Zukunft zu sprechen. Ich finde, wir sind es unseren Fans, allen Mitarbeitern und allen Menschen rund um den Club schuldig, Schalke 04 jetzt in jedem Spiel so gut wie möglich zu vertreten. Sie können mir wirklich glauben, dass ich noch nicht weiterdenke.
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Es wird nach dieser Saison unheimlich wichtig werden, eine Aufbruchsstimmung für das neue Jahr zu erzeugen. Wie wollen Sie das hinkriegen?
Grammozis: Zunächst einmal wollen wir den Fans in jedem Spiel zeigen, dass wir uns immer mehr an diese Art und Weise heranpirschen, die ich mir vorstelle. Damit sie das Gefühl haben, dass da etwas entsteht. Dazu wird es sehr, sehr wichtig sein, dass man Jungs verpflichtet, die für diesen Verein und für die Aufgabe Schalke 04 brennen.
Sie reden immer fast freundschaftlich von den “Jungs”. Dabei gilt die Schalker Kabine als schwierig. Ist es ein Vorteil, dass auch Sie als Profi mit allen Wassern gewaschen waren?
Grammozis: Ich kann sagen, dass ich schon so viel erlebt habe, dass mich eigentlich nichts mehr aus der Bahn werfen kann - weil ich einiges als Spieler selbst gemacht habe. (lacht) Wenn man die Tricks der Jungs kennt und auch die Art und Weise, wie sich eine Kabine entwickelt, ist das ganz hilfreich. Ich bin ein sehr offener und sehr direkter Typ. Das heißt, ich mag die Unterhaltung, auch mal kontrovers. Die Spieler dürfen auch gerne ihre Meinung sagen, wenn sie denken, dass ich falsch liege. Wichtig ist, dass wir am Ende rausgehen und die gleiche Sprache sprechen.
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Sind Sie für die Spieler “Dimi”, “Herr Grammozis” oder “Trainer”?
Grammozis: Ich bin “Trainer, du”.
Wenn Sie heute mit den Spielern sprechen: Thematisieren Sie dabei eigentlich noch die Chance auf den Klassenerhalt?
Grammozis: Die Jungs sind so lange mit diesen Themen konfrontiert worden: Was ist wenn? Wie viele Punkte reichen? Wie viele Spiele müssen wir noch gewinnen? Da wäre es jetzt kein gutes Zeichen von mir, auch noch in diese Kerbe zu hauen. So langweilig es klingt: Wir denken von Spiel zu Spiel.
Ihr Vorgänger Christian Gross hat gesagt, dass man die Wucht der Fans auch spürt, obwohl sie gar nicht da sind. Haben Sie die auch gespürt?
Grammozis: Ich möchte es mal so beschreiben: Wenn man Schalke einmal in einem vollen Stadion in einem heißen Spiel erlebt hat, dann spürt man diese Dinge wie Gesang, Atmosphäre und Verbindung immer weiter. Ich hatte am Freitag echt Gänsehaut, weil ich mir vorgestellt habe, wie es sein wird, wenn das Ding mal voll ist. Ich hoffe wirklich, dass das so schnell wie möglich der Fall ist, denn unsere Fans fehlen uns einfach unglaublich.