Essen. Sportvorstand Jochen Schneider war auf Schalke nicht mehr zu halten. Er scheiterte an der Verwaltung des Mangels. Ein Kommentar.
Vor ganz genau einem Jahr trafen wir uns zum Interview in seinem Büro in der Schalker Geschäftsstelle. Jochen Schneider saß an seinem Schreibtisch, an der Wand hinter ihm ein Bild, das er sehr mag. Es zeigt einen siegesgewiss grinsenden Rudi Assauer mit dem Uefa-Pokal über der Schulter und der Zigarre im Mundwinkel. Das Bild symbolisierte für den Sportvorstand, der dieses Amt im März 2019 als Nachfolger des entlassenen Christian Heidel übernommen hatte, zweierlei: Tradition und Ansporn.
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Mitte Februar 2020 wurde Corona hierzulande als umfassende Bedrohung noch unterschätzt. Und Jochen Schneider durfte noch damit rechnen, dass der FC Schalke 04 die Saison mit einem Europapokalplatz abschließen würde. Die Mannschaft, die eine starke Hinrunde gespielt hatte, hatte allerdings gerade dreimal nacheinander verloren, sie war in ein seltsames Leistungsloch gefallen. Niemand konnte ahnen, was sich daraus entwickeln würde. Eine saisonübergreifende, beispiellose Pleitenserie. Ein sportlicher Totalabsturz, begleitet von einer existenzgefährdenden finanziellen Krise in einer Pandemiezeit.
Machtvakuum nach Tönnies und Peters
2020 wurde Schalke 04 auf den Kopf gestellt. Der langjährige Finanzchef Peter Peters nahm auf Druck von Aufsichtsrats-Chef Clemens Tönnies seinen Hut, kurze Zeit später trat auch Tönnies selbst zurück. Auf Schalke entstand ein Machtvakuum. Es blieben: Alexander Jobst, der Marketingvorstand, und Jochen Schneider, der Sportvorstand.
Schneider, der unter der Voraussetzung geholt worden war, Schalke 04 fußballerisch wieder international aufzustellen, verwaltete plötzlich nur noch den Mangel. Er hätte gehen können, weil die Abmachungen andere waren. Aber er blieb. Auch, als die Bedingungen immer schwieriger wurden. Das ehrt ihn.
Millionen-Flops folgten weitere Fehlentscheidungen
Mit Kleingeld lässt sich auf dem Fußballmarkt nur wenig ausrichten. Jochen Schneider durfte keine Fehler mehr machen wie sein Vorgänger Christian Heidel, der Millionen-Flops zu verantworten hatte. Aber Schneider machte Fehler. Sein größter: In der Hoffnung, Schalke könnte sich eine Abfindung sparen, hielt er im Sommer an Trainer David Wagner fest. Der aber schleppte das Sorgenpaket der einen Saison mit in die andere. Nach der zweiten Niederlage am zweiten Spieltag folgte die Entlassung – mit fataler Verspätung.
Schneiders nächste Trainer-Entscheidung war wieder ein Reinfall: Manuel Baum hielt den Abwärtstrend nicht auf. Mit Kaderplaner Michael Reschke war Jochen Schneider vor allem wegen der Uneinigkeit im Fall Wagner längst überkreuz, auch Reschke musste gehen. Spieler wurden suspendiert und wieder begnadigt, im Winter wurde panikartig nachgebessert, doch die Niederlagenserie war längst zu lang geworden.
Aus dem Wind der Fan-Kritik ist ein Orkan geworden
Schalke 04 rast auf die Zweite Liga zu, und natürlich muss ein Sportvorstand dafür geradestehen. Jochen Schneider hatte selbst vorhergesagt, dass er im Falle eines Abstiegs nicht bleiben könne. Aus dem Wind der Kritik der Fans war längst ein Orkan geworden – die gemäßigten Stimmen klangen enttäuscht, die lauten wütend. Einigkeit bestand darin, dass es mit Schneider nicht mehr weitergehen konnte.
Jetzt hat der Aufsichtsrat gehandelt. Doch ein Nachfolger ist noch nicht da, und bis zur Klärung dieser offenen Frage soll Schneider weiterarbeiten. Auch die auf drei Köpfe verteilte Kaderplanung bleibt Stückwerk.
Probleme des Vereins sind nun keineswegs gelöst
In dem Interview vor einem Jahr stellte Jochen Schneider übrigens Borussia Mönchengladbach als Vorbild für Schalke hin. Warum? „Weil dort über einen langen Zeitraum intelligent, weitsichtig und nachhaltig gearbeitet wurde.“ Richtig erkannt. Es sollte also niemand glauben, mit der bevorstehenden Trennung von Jochen Schneider seien die Probleme des FC Schalke 04 gelöst.