Gelsenkirchen. Das Duell seiner Ex-Klubs Schalke 04 und VfB Stuttgart ist für Kevin Kuranyi „absolut entscheidend“. Doch er räumt Schalke wenig Chancen ein.
Gut zehn Jahre liegt Kevin Kuranyis Zeit auf Schalke bereits zurück. Doch der 38-Jährige (71 Treffer in 162 Bundesliga-Spielen für Königsblau) verfolgt das Geschehen in Gelsenkirchen noch immer ganz genau. Kuranyi sieht Probleme über Probleme beim S04, aber auch ein paar positive Entwicklungen, die ihm zumindest etwas Hoffnung machen. „Jochen Schneider“, sagt er im WAZ-Interview, „hat aktuell den mit Abstand schwierigsten Job der Bundesliga.“
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Kevin Kuranyi, beginnen wir mit der für viele wichtigsten Frage: Steigt Schalke ab?
Kevin Kuranyi: Puh, ich hoffe nicht. Ich wünsche mir wirklich, dass die Mannschaft sich bald fängt. Aber wenn sie sich weiter so präsentiert wie zuletzt, sieht es gar nicht gut aus. Seit mittlerweile sechs, sieben Monaten spielt Schalke katastrophal – ohne jeglichen Mut, ohne Selbstvertrauen und ohne den Willen, den man braucht, um da wieder herauszukommen.
Und wie steht’s mit der Qualität?
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Kuranyi: Vor einem halben Jahr hätte ich noch gesagt: Okay, das ist vielleicht eine Sache der Mentalität. Aber wenn eine Mannschaft so lange so schwach auftritt, dann steckt definitiv mehr dahinter, auch mangelnde Qualität. Für mich ist Schalke neben Mainz erster Abstiegskandidat. Leider.
Dabei scheint der Kader von den Namen her nicht so schlecht besetzt.
Kuranyi: Sicher, man weiß, dass ein Harit Qualität hat, dass ein Uth Qualität hat. Aber so wie der Kader zusammengestellt ist, hat er bislang keine funktionierende Mannschaft hervorgebracht. Vieles passt nicht zusammen. Du kannst noch so viele Topspieler haben: Qualität ist das, was dein Team gemeinsam auf dem Platz abliefert.
Wo genau liegen die Probleme?
Kuranyi: Für mich fehlt es an einer stabilen Mittelachse: Torwart, Abwehrchef, Sechser, Stürmer. Hier brauchst du zwei, besser drei Führungsspieler mit Mentalität und Ausstrahlung. Stattdessen gibt es vor allem Probleme: die zahlreichen Wechsel auf der Torwartposition beispielsweise, außerdem sind die Innenverteidiger zu langsam. Wenn ich das Tor von Leroy Sané im ersten Saisonspiel (0:8 gegen Bayern; die Redaktion) sehe, wie der da durch spaziert ... Das passiert sonst nicht mal im Jugendfußball. Dabei war gefühlt schon fünf Minuten vorher zu erkennen, was die Bayern vorhatten. Da musst du die Mitte zumachen. Aber Schalkes Abwehr war gedanklich und läuferisch nicht schnell genug.
An der Fitness dürfte es kaum liegen. Sie selbst haben zu Felix Magaths Zeiten auf Schalke unter „Schleifer“ Werner Leuthard trainiert.
Kuranyi: Das ist richtig. Überall, wo Leuthard gearbeitet hat, waren die Spieler körperlich auf einem Toplevel.
Und wie sieht es taktisch aus?
Kuranyi: Mit Manuel Baum hat Schalke in diesem Bereich eigentlich einen Topmann bekommen, das hat er in Augsburg unter Beweis gestellt, auch seine TV-Analysen waren stets sehr präzise. Aber Baum ist erst zwei, drei Wochen im Amt. Ich hoffe, dass die Mannschaft seine taktischen Ansätze annimmt, dann wird er sie definitiv besser machen.
Muss Schalke im Januar nochmal auf dem Transfermarkt aktiv werden?
Kuranyi: Vielleicht kann man einen Spieler verkaufen, um im Gegenzug ein, zwei neue Leute zu holen, die zu Schalke passen. Das wäre eine Hoffnung. Gelingt dies nicht, wird es sehr, sehr schwierig mit dem Klassenerhalt.
Sportvorstand Jochen Schneider ist nicht zu beneiden. Den Kader hat er in weiten Teilen so übernommen. Sein finanzieller Rahmen zur Neugestaltung ist bescheiden.
Kuranyi: Ich kenne Jochen Schneider aus gemeinsamen Zeiten in Stuttgart, schätze ihn sehr und halte ihn für einen absoluten Topmann. Aber jetzt ist er das Gesicht des Krisenklubs Schalke, obwohl er natürlich nicht allein die Schuld an der Situation trägt, sondern auch viele Probleme geerbt hat. Er hat den mit Abstand schwierigsten Job in der Bundesliga.
Um die Klasse zu halten, muss Schalke mindestens zwei, besser drei Konkurrenten hinter sich lassen. Welche Klubs sehen Sie in Reichweite?
Kuranyi: Mainz und Bielefeld werden wohl ebenfalls gegen den Abstieg spielen. Auch Köln muss sich fangen.
Und wie sieht es mit dem kommenden Gegner Stuttgart aus?
Kuranyi: Der VfB wird keine allzu großen Abstiegssorgen haben. Man sieht, dass diese Mannschaft von langer Hand für die 1. Liga zusammengestellt wurde und dass sie sich mit ihrem Umschaltspiel jetzt viel leichter tut als in der 2. Liga.
Sie selbst haben für Stuttgart und für Schalke gespielt, wem wünschen Sie am Freitag die Punkte?
Kuranyi: Vom Herzen her ist es eine 50:50-Entscheidung, wobei Schalke die Zähler dringender braucht als der VfB. Aber wenn der S04 eine Woche nach dem Derby keinen Riesenschritt nach vorne macht, wird Stuttgart gewinnen. Der VfB hat derzeit einfach mehr Qualität.
In der Woche darauf muss Schalke zum bisherigen Schlusslicht Mainz – ist das bereits ein Endspiel?
Kuranyi: Beide Spiele sind absolut entscheidend. Wenn Schalke gegen Stuttgart und Mainz nicht mindestens vier Punkte holt, wird es sehr, sehr finster.
Manuel Baum hob nach dem 0:3 im Derby die erst 19-jährigen Malick Thiaw und Can Bozdogan hervor. Können die Jungen die Wende bringen?
Kuranyi: In solchen Situationen hat es sich häufig bewährt, auf die Jugend zu setzen. Köln hat so in der vergangenen Saison den Turnaround geschafft. Ein 19-Jähriger geht mitunter viel unbekümmerter zu Werke, das allein kann im Abstiegskampf viel wert sein.
Wie eng verfolgen eigentlich Ihre früheren Schalker Kollegen wie Lincoln oder Marcelo Bordon das Schicksal der Königsblauen?
Kuranyi: Glauben Sie mir, wir nehmen alle großen Anteil daran. Nach jedem Spiel schreiben wir uns hin und her, diskutieren alle möglichen Szenen. Wir lieben Schalke, wir werden diesen Verein immer lieben.
Manch einer sagt, es fehle an ehemaligen S04-Profis in den Strukturen des Vereins. Dortmund hat Michael Zorc und Sebastian Kehl, Bayern hat Oliver Kahn und Hasan Salihamidzic.
Kuranyi: Mit der Verpflichtung von Naldo als Co-Trainer hat Jochen Schneider einen sehr guten Schritt in diese Richtung getan. Du brauchst Leute, die den Verein kennen, sich total mit ihm identifizieren.
Wären Sie ebenfalls bereit, auf Schalke Verantwortung zu übernehmen?
Kuranyi: Die Frage stellt sich zurzeit nicht.