Liverpool/Gelsenkirchen. Mit dem FC Liverpool beendete Joel Matip eine 30-jährige Durststrecke. Im Interview spricht er über Heimat, die Meisterfeier und Jürgen Klopp.

Joel Matip gibt sich im Gespräch wie auf dem Platz: ruhig und unaufgeregt. Selbst wenn für ihn jüngst die Welt Kopf stand. Doch auch wenige Tage nach dem Gewinn der englischen Fußball-Meisterschaft mit dem FC Liverpool ist von Aufregung keine Spur beim 28 Jahre alten Innenverteidiger.

Der Ex-Schalker2016 wechselte er an die Anfield Road – fehlt wegen einer Fußverletzung bis Saisonende; umso lieber berichtet Matip von der Bedeutung der Meisterschaft, den Besonderheiten seines Trainers Jürgen Klopp und seine öffentliche Wahrnehmung.

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Herr Matip, was ist eigentlich Ihr Lieblingslied von Herbert Grönemeyer?

Joel Matip: Bochum. Ein Lied, das für mich ein Stück Heimat bedeutet.

Denn Grönemeyer besingt Ihre Geburtsstadt. Wie definieren Sie Heimat?

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Matip: Heimat können für mich sowohl Orte als auch Menschen sein. Örtlich ist Heimat für mich das Ruhrgebiet, die Region, in der ich zu Hause bin. Aber auch meine Familie und Freunde vermitteln mir ein Heimatgefühl, egal, wo ich bin.

Seit 2016 leben Sie in Liverpool. Fühlen Sie sich auch dort heimisch?

Matip: Auf jeden Fall. Ich bin zusammen mit meiner Freundin hier, wir wohnen in der Stadt und fühlen uns wirklich wohl, sind glücklich. Nach der Karriere geht es aber zurück ins Ruhrgebiet.

Nach 30 Jahren ohne Meisterschaft gewann der FC Liverpool nun wieder die Liga – und Sie sind mittendrin. Was bedeutet dieser Titel für den Verein?

Matip: Auf diesen Titel haben die Stadt, der Verein und die Fans extrem sehnsüchtig gewartet. Den Titel nach einer so langen Zeit nach Liverpool zu holen, ist etwas wirklich Besonderes. Durch Corona ist die ganze Situation natürlich ein bisschen speziell, aber für die Leute und den ganzen Verein ist die Meisterschaft sogar wichtiger als ein Champions-League-Titel. Bei keinem anderen Klub hätte dieser Erfolg einen solchen Stellenwert. Hier ist Liverpool besonders.

Joel Matip (r.) feiert den Champions-League-Titel mit Xherdan Shaqiri.
Joel Matip (r.) feiert den Champions-League-Titel mit Xherdan Shaqiri. © getty Images

Wie haben Sie die Reaktionen der Fans trotz der Corona-Beschränkungen vernommen?

Matip: Die ganze Stadt ist voller Flaggen, extrem viele Menschen tragen in der Öffentlichkeit unser rotes Trikot. Das macht uns Spieler stolz. Unser Erfolg ist allein dadurch allgegenwärtig. In Zeiten von Corona herrscht aber leider eine Distanz zu den Fans, sodass es eine sehr merkwürdige Meisterfeier war – oder wie man sie auch immer nennen will.

Joel Matip vom FC Liverpool: "Die Sehnsucht auf Schalke ist gigantisch"

Liverpool hat 30 Jahre gewartet, Ihr Ex-Klub Schalke 04 wartet nun schon 62 Jahre auf den Titel. Glauben Sie, dieser Titel mit den Reds wäre vergleichbar mit einer Schalker Meisterschaft?

Matip: (lacht) Die Sehnsucht, die sich auf Schalke mittlerweile entwickelt hat, ist gigantisch. Mit Liverpool haben wir in den vergangenen Jahren aber auch international Duftmarken gesetzt, daher ist die Dimension eine andere. Trotzdem ist die Sehnsucht der Fans nach diesem einen Titel bei beiden Klubs vergleichbar. Bei Liverpool hatte sich diese Sehnsucht aber zuletzt auf Fans aus der ganzen Welt ausgeweitet. Denn auch in Asien oder in den USA haben wir unfassbar viele Fans. Bei unseren Reisen dorthin haben wir derart viele Menschen im Liverpool-Trikot gesehen, dass es uns zeitweise vorkam, als seien wir in England.

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Durch den Sieg von Chelsea gegen Manchester City war Ihnen der Titel schon sieben Spieltage vor Saisonende nicht mehr zu nehmen. Sie haben das Spiel als Mannschaft zusammen geschaut. Wie haben Sie diesen Abend erlebt?

Matip: Es war merkwürdig, Chelsea die Daumen zu drücken. Gerade in der Schlussphase stieg die Spannung, und es kam immer mehr Unruhe auf. Als der Titel plötzlich zum Greifen nah war, war ich aufgeregter, als hätte ich selbst auf dem Platz gestanden. (lacht) Trotzdem wäre es für uns alle schöner gewesen, die Meisterschaft an der Anfield Road mit unseren Fans zu feiern. Unabhängig von diesen Umständen und den Corona-Beschränkungen hatten wir aber einen gemeinsamen Moment, den wir alle mit Sicherheit nie vergessen werden.

Ist der Titel durch die Corona-Pandemie für Sie als Mannschaft weniger wert?

Matip: Es ist leider weniger emotional, weil die Feier mit den Fans fehlte. Nach dem gewonnen Finale der Champions League war die Welt in Liverpool verrückt, die Leute sind durchgedreht. Im Anschluss gab es eine Parade mit Korso durch die Stadt, es waren so unglaublich viele Menschen dort und haben uns gefeiert. Das war ein Erlebnis, welches in dieser Form für immer einzigartig bleiben wird.

Liverpool-Legende Steven Gerrard hat jüngst gesagt, man sollte Jürgen Klopp eine Statue bauen und ihm damit ein Denkmal für die Ewigkeit setzen. Würden Sie beim Bau helfen?

Trainer Jürgen Klopp (l) herzt seinen Innenverteidiger FC Liverpool. Beide feierten mit dem FC Liverpool die Meisterschaft.
Trainer Jürgen Klopp (l) herzt seinen Innenverteidiger FC Liverpool. Beide feierten mit dem FC Liverpool die Meisterschaft. © getty Images

Matip: Ich bin der Letzte, der Steven Gerrard widersprechen würde. (lacht) Wenn jemand Liverpool kennt, dann er. Er weiß, wovon er redet.

Joel Matip vom FC Liverpool: "Klopps Mannschaften gehen für ihn durchs Feuer"

Für viele gilt Klopp als der beste Trainer der Welt. Was macht ihn so besonders?

Matip: Er hat ein super Team und eine tolle Spielidee, die jeder einzelne Spieler versucht, zu verinnerlichen. Seine intensive Art des Fußballs, dem Gegner keinen Raum zum Atmen zu geben, ist besonders. Er verstellt sich nicht und bleibt seiner Linie treu. Der Erfolg gibt ihm recht.

Es scheint, als erreiche Klopp die Spieler mehr als die meisten anderen Trainer.

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Matip: Das stimmt. Ich weiß nicht, wie er es macht. Das bleibt sein Geheimnis. Fakt ist aber, dass seine Mannschaften für ihn durchs Feuer gehen. Er schafft es, eine ganz besondere Atmosphäre im Team zu erzeugen und klarzumachen, dass man nur Erfolg haben kann, wenn man sich dem großen Ganzen unterordnet. Diese Mentalität hat er in die Köpfe der Spieler, der Fans und des ganzen Vereins eingepflanzt und damit eine große Einheit geschaffen. Er ist ein außergewöhnlicher Trainer, der weltweit seinesgleichen sucht.

Zwischen Ihnen als Ex-Schalker und Klopp als Ex-Borusse gab es regelmäßig Sticheleien, wie Sie zuletzt bei 11Freunde verraten haben. Wie viele Sprüche mussten Sie sich während der Schalker Krise in den vergangenen Monaten anhören?

Matip: Zuletzt hat sich Jürgen da zurückgehalten, weil sein guter Kumpel David Wagner Trainer auf Schalke ist. Ich glaube, deswegen verkneift er sich den einen oder anderen Spruch. (lacht)

Unter Klopp waren Sie meist gesetzt, medial wird dennoch bis heute kaum über Sie gesprochen. Warum?

War auf Schalke lange der Dirigent in der Verteidigung: Joel Matip.
War auf Schalke lange der Dirigent in der Verteidigung: Joel Matip. © firo

Matip: Ich freue mich, positiv bewertet zu werden, doch breche auch nicht zusammen, wenn mir die Leute nicht applaudieren. Jeden Tag versuche ich mein Bestes zu geben, in der Regel wird das auch von meinen Mitspielern und Trainern gewürdigt. Ich mache mein Selbstbild aber nicht von der Anerkennung anderer abhängig. Auch ich will natürlich lieber gelobt als kritisiert werden, aber Lob ist für mich nicht das Wichtigste. Generell bin ich über wenig Medienpräsenz nicht unglücklich. Ich brauche meinen Namen nicht jeden Tag in der Zeitung zu lesen. Das würde mich nicht glücklicher machen. Ich werde in der Öffentlichkeit zwar weniger beachtet als einige meiner Teamkollegen, doch dafür ist mein Leben vielleicht etwas entspannter. Es hat alles seine Vor- und Nachteile.

Passend dazu heißt es, dass Sie es nicht gern hören, wenn man von Ihnen als Star spricht.

Matip: (lacht) Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist mir eine große Ehre, beim FC Liverpool zu spielen, und ich weiß es wertzuschätzen, dass mir regelmäßig mehrere Millionen Menschen zuschauen. Für mich ist es auch immer noch besonders, in der Stadt erkannt zu werden und Kinder allein durch meine Anwesenheit zum Strahlen zu bringen und glücklich zu machen. Das weiß ich sehr zu schätzen. Trotzdem bin ich niemand, den das Blitzlichtgewitter anzieht.

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Was sind für Sie Stars?

Matip: Wenn man den Fußballstar definieren müsste, würde ich wahrscheinlich schon zu der Kategorie zählen. Trotzdem würde ich niemals sagen, ich bin ein Star. Das wäre nicht ich und würde mir komisch vorkommen.

Joel Matip schließt Zukunft beim FC Schalke 04 nicht aus

Viele Ihrer Profikollegen definieren sich über Statussymbole und stellen das teilweise auch öffentlich zur Schau. Von Ihnen kennt man so etwas nicht. Was ist für Sie Luxus?

Matip: Luxus ist für mich, das machen zu können, was ich will. Ich spiele Fußball, weil ich es will und liebe – nicht weil ich muss. Ich bin in der glücklichen Lage, keinen Beruf ausüben zu müssen, der mir keinen Spaß macht, nur um meine Existenz zu sichern. Das weiß ich enorm zu schätzen. Diese Freiheit zu haben, ist der größte Luxus für mich.

Dass Sie sich keine Sorgen um Ihre fußballerische Zukunft machen müssen, liegt auch daran, dass Ihr Vertrag beim FC Liverpool noch bis ins Jahr 2024 läuft. Können Sie sich vorstellen, noch einmal für einen anderen Klub zu spielen?

Matip: Im Fußball sind vier Jahre eine lange Zeit. Derart weit nach vorn zu schauen, ist in unserer Branche fast unmöglich. Ich versuche mich nur auf naheliegende Dinge zu konzentrieren. Aktuell darauf, rechtzeitig zur Vorbereitung auf die kommende Saison wieder fit zu sein.

Nach Ihrer Karriere wird es Sie aber zurück ins Ruhrgebiet ziehen. Welche Rolle spielt eine Rückkehr auf Schalke in Ihren Gedanken – ob als Profi oder nach der Karriere?

Matip: Ich fühle mich Schalke verbunden, dieser Verein wird den Rest meines Lebens ein Teil von mir bleiben. Aktuell bin ich aber sehr glücklich in Liverpool. Doch wer weiß, was passiert: Sag niemals nie.