Gelsenkirchen. Jochen Schneider, Sportvorstand beim FC Schalke, bleibt trotz Rückschlägen gelassen. Ziel bleibt mittelfristig der Europapokal. Ein Interview.
Über Mangel an Arbeit kann sich Jochen Schneider nicht beklagen. Die Saison ist in einer spannenden Phase, die nächste Spielzeit aber will schon geplant werden. Gerade kommen zwei Spielerberater aus dem Büro des Sportvorstandes des Fußball-Bundesligisten FC Schalke 04, danach steht unser Interview an. Jochen Schneider gibt offen Auskunft – aber worum es in dem Gespräch vorher ging, das verschweigt der 49-Jährige lächelnd.
Am Sonntag spielt Schalke in Mainz. Vor fast genau einem Jahr hat dieses Spiel eine Zäsur für den Verein bedeutet. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie gehört haben, dass Christian Heidel bei Schalke 04 aufhört?
Jochen Schneider: Ich saß auf dem Sofa, als ich das Spiel gesehen habe – und Schalke war den Mainzern haushoch unterlegen.
Sie haben nicht gedacht: Das könnte spannend für mich sein?
Schneider: Nein. In der Folge gab es dann aber die Kontaktaufnahme.
Jetzt ist knapp ein Jahr vergangen seit dem Mainz-Spiel, elf Monate seit Ihrem Amtsantritt. Was haben Sie umsetzen können von dem, was Sie sich vorgenommen haben?
Schneider: Ich konnte mir nach den zehn Wochen Abstiegskampf in der vergangenen Saison ein besseres Bild davon machen, was gut läuft, was weniger gut läuft, wo wir ansetzen müssen, wo wir Veränderungen herbeiführen müssen. Ich bin zufrieden damit, wie wir uns in dieser Saison präsentieren. Natürlich verstehe ich, wenn eine gewisse Unzufriedenheit da ist, wenn wir gegen Paderborn unentschieden spielen oder ein sehr taktisch geprägtes Spiel wie bei Hertha BSC nicht für uns entscheiden können. Aber das ist mir zu kurzfristig gedacht. Es geht um eine nachhaltige Entwicklung, und die ist bei uns gegeben. Aber selbstverständlich sind wir nach wie vor dabei, uns in vielen Bereichen noch besser aufzustellen.
Schalke hat drei Bundesligaspiele in Serie nicht gewonnen. Sehen Sie die Gefahr, dass eine Delle entstehen könnte? Sie haben einmal davon gesprochen, dass sich Dinge auch verselbstständigen können.
Schneider: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Die Art und Weise, wie hier zusammengearbeitet wird, geht über das hinaus, was nur die nächsten zwei, drei, vier Ergebnisse anbelangt. Es muss hier niemand unruhig werden, denn wir sind auf dem richtigen Weg.
Vor der Saison hätte man gesagt: Wenn Schalke Achter wird, kann man zufrieden sein. Jetzt kann man sich aber doch vornehmen, die Europa League zu erreichen.
Schneider: Es ist keiner hier, der sagt, dass wir nicht bereit sind, international zu spielen. Wir haben vor dieser Saison deshalb keine Tabellenplatzierung als Ziel ausgegeben, weil es nach dieser verkorksten Saison 2018/2019 zunächst um Grundsätzlicheres ging. Aber jeder Schalker Fan kann beruhigt sein, denn wir haben selbstverständlich ambitionierte Ziele. Bei der Größe und der Ausrichtung unseres Vereins ist es unser Anspruch, dass wir uns mittelfristig regelmäßig international qualifizieren.
Finden Sie die aktuelle Erwartungshaltung zu hoch.
Schneider: Nein. Insbesondere die Fans haben wie schon im Abstiegskampf im Frühjahr 2019 das beste Gespür. Wenn aber Sky das 1:1 gegen Paderborn so bewertet: Oh, da hat sich Schalke aus dem Meisterschaftsrennen verabschiedet, dann sage ich: in Mathematik sehr gut aufgepasst, aber eine wenig realistische Einschätzung unserer aktuellen Möglichkeiten. Ich bin deshalb auch am Sonntagmorgen nicht mit Depressionen aufgewacht. Wenn der Nächste sagen sollte, dass sich Schalke aus dem Champions-League-Rennen verabschiedet, dann betrachten wir diese bislang gute Saison zu negativ. Dafür gibt es aber keinen Grund. Wir haben bislang 24 Pflichtspiele gespielt – und es war nur eins dabei, über das ich sage: Das war gar nichts. Das war das 0:5 in München.
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Marketingvorstand Alexander Jobst hat im Gespräch mit dieser Zeitung gesagt: Man sollte in fünf Jahren dreimal europäisch spielen, um grundsätzliche Diskussionen im Verein zu vermeiden. Setzt Sie das unter Druck, wenn Schalke Europa nun zum zweiten Mal nacheinander verpassen sollte?
Schneider: Ich sehe mich beziehungsweise uns alle in der Tat in der Pflicht. Aber ich setze mich nicht zu sehr unter Druck, weil wir wissen, was es braucht, um dorthin zu kommen, und weil wir sehen, wie die Konkurrenten aufgestellt sind. Es sind viele neue Player hinzukommen. RB Leipzig wird in zehn Jahren achtmal Champions League, zweimal Europa League spielen. Der BVB neunmal Champions League, einmal Europa League. Die Bayern zehnmal Champions League, nie Europa League. Dann sprechen wir noch über den vierten Platz. Und Mönchengladbach hat sich in den vergangenen zehn Jahren unter Max Eberl grandios entwickelt.
Mönchengladbach ist also für Schalke der Maßstab.
Schneider: Exakt. Weil dort über einen langen Zeitraum intelligent, weitsichtig und nachhaltig gearbeitet wurde. Aber auch Leverkusen macht das seit 20 Jahren einfach gut. Es gibt darüber hinaus Wolfsburg und Hoffenheim mit ihren guten wirtschaftlichen Möglichkeiten. Fredi Bobic hat Frankfurt auf ein neues Niveau gehoben, Hertha BSC viele Millionen Euro. Freiburg arbeitet ohne Druck, was Christian Streich, Jochen Saier und Klemens Hartenbach machen, ist traumhaft. Die können aus einer Situation der Stärke, der Ruhe, der Gelassenheit agieren. Dazu kommt immer ein Verein, der reinsticht, das kann Augsburg sein, aber auch der VfB Stuttgart oder der Hamburger SV nach einem Aufstieg. Der Kampf um die drei Plätze nach den drei da oben ist sehr intensiv. Deshalb ergreifen wir all diese Maßnahmen, haben wir in David Wagner einen Trainer, der mutig seine Ideen umsetzt, nicht klagt, sondern Herausforderungen entschlossen angeht. Deshalb haben wir in Michael Reschke einen der allerbesten Kaderplaner Europas zu uns geholt: Weil es natürlich unser Ziel ist, möglichst oft international zu spielen. Aber es ist nicht gottgegeben, dass wir es immer schaffen werden.
Ruhe und Gelassenheit trifft auf Schalke nie zu – oder haben Sie das anders erlebt?
Schneider: Ich finde schon, dass wir Ruhe und Gelassenheit reinbekommen haben, aber zu Schalke gehört auch diese besondere Form der Emotionalität. Und das ist auch gut so.
In der Ära Felix Magath war das erste Jahr ebenfalls ruhig, unter Christian Heidel waren es sogar zwei Jahre. Danach war es wieder turbulent.
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Schneider: Das ist die Konsequenz aus ausbleibenden Ergebnissen. Wir müssen es durch kluge Entscheidungen schaffen, uns nachhaltig so aufzustellen, dass wir eine möglichst hohe Wahrscheinlichkeit auf Erfolg haben – beginnend mit der Scouting-Abteilung. Beginnend mit der Frage, welche Mittel wir unserer Knappenschmiede zur Verfügung stellen. Oder wie das Umfeld um unsere Lizenzmannschaft aussieht.
Ein Kernpunkt in der Kritik der Leute, die sich aktuell sorgen, ist, dass Schalke zu abhängig ist von zu wenigen richtig guten Spielern wie Suat Serdar, Benito Raman und Amine Harit.
Schneider: Nein, wir haben auch noch andere Spieler, die Spiele entscheiden können. Daniel Caligiuri beispielsweise hat das Pokalspiel gegen Hertha maßgeblich umgebogen. Michael Gregoritsch hat gegen Mönchengladbach ein Tor erzielt, eins vorbereitet. Klar ist aber auch, dass sich jeder Verein etwas schwerer tut, wenn gleichzeitig zwei, drei absolute Leistungsträger nicht zur Verfügung stehen.
Serdar hat im Interview im Winter mit dieser Zeitung gesagt: Wenn Schalke jetzt auf mich zukäme, wäre ich bereit für eine Vertragsverlängerung.
Schneider: Suat hat eine besondere Qualität. Wir haben über das Zitat gesprochen, weil es ein Beleg dafür ist, dass er sich wohlfühlt, dass er sieht, dass er sich bei uns weiterentwickeln kann und, dass er sich mit Schalke 04 identifiziert. Ich hoffe, dass wir ihn möglichst lange hierbehalten können.
Gibt es eine Entwicklung in den Vertragsgesprächen?
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Schneider: Prinzipiell sage ich zu diesen Themen in der Öffentlichkeit nichts, weil dies dem FC Schalke 04 nicht weiterhilft. Und allein das ist mein Bestreben.
Die Verträge von Daniel Caligiuri und Benjamin Stambouli enden. Ist es kompliziert, mit verdienten Spielern zu verhandeln?
Schneider: Finde ich nicht, wenn man in aller Offenheit und Transparenz miteinander umgeht. Max Eberl hat neulich einen ganz klugen Satz gesagt: Es gibt keine Verlängerungen aus Dankbarkeit. Die Leistung ist immer das entscheidende Kriterium. Daniel ist auch in schwierigen Phasen vorangegangen. Deswegen hoffen wir, dass er hierbleiben wird.
Ist Stambouli ein ähnlicher Fall?
Schneider: Benjamin Stambouli hat bis zu seiner Verletzung überragend gespielt. Er ist ein Leader in der Kabine und darüber hinaus ein Spieler, der sich auch intensiv um die jüngeren Spieler in unserer Mannschaft kümmert.
Juan Miranda ist vom FC Barcelona ausgeliehen. Warum funktioniert er bisher nicht?
Schneider: Doch, ich finde schon, dass Juan funktioniert. Er hat seine Zeit gebraucht. Er ist a) ganz jung, b) spielen wir hier in Deutschland einen anderen Fußball als in Spanien und c) kommt er vom FC Barcelona, der, ob bei den Profis oder in der Jugend, immer extrem viel Ballbesitz hat. Die Verantwortlichen aus Barcelona sind mit der bisherigen Entwicklung zufrieden. Ihnen ist klar, dass er sich hier durchsetzen muss, wenn er ein Spieler für Barcelona werden soll. Deshalb ist die Leihe ja auch auf zwei Jahre angelegt. Jonjoe Kenny hatte es da sicherlich leichter, weil er durch den FC Everton einen anderen Fußball gewohnt war, der dem deutschen Fußball sicherlich näher ist als der spanische.
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Kenny ist ebenfalls ausgeliehen. Werden Sie ihn fest verpflichten können?
Schneider: Wir sind mit den Verantwortlichen des FC Everton in einem sehr guten und vertrauensvollen Austausch und sind so verblieben, dass wir uns am Saisonende unterhalten werden, um zu schauen: Wie ist die Situation bei Everton, wie ist die des Spielers und wie die des FC Schalke 04.
Wir haben Februar, die Planungen für die kommende Saison laufen. Gibt es Positionen, für die Sie besonders suchen?
Schneider: Ja, die haben wir definiert und so wird bei uns gescoutet. Das hängt natürlich aber auch davon ab, wer von unseren Spielern verlängern wird und wer nicht.
Werden Sie Leistungsträger im Sommer abgeben?
Schneider: Nein. Wir wollen etwas aufbauen – und du wirst nicht besser, wenn du deine besten Spieler verkaufst.
Aber keiner kann verhindern, dass vielleicht Wahnsinnssummen geboten werden.
Schneider: Nein, das kann in der Tat niemand. Aber dann müssen wir abwägen: Wie intensiv ist der Wunsch des Spielers zu gehen? Wie hoch ist die finanzielle Entschädigung? Können wir das Geld überhaupt wieder adäquat einsetzen? Welchen Spieler können wir für uns gewinnen?
Noch ein Ausblick auf den Pokal: Freuen Sie sich, dass Sie im Finale nicht auf die Bayern treffen können?
Schneider: (lacht) Ich habe mit Stuttgart schon einmal ein Pokalfinale in Berlin gegen die Bayern verloren. Das war nicht schön. Von daher ist es doch besser, wenn man im Viertelfinale zu Hause gegen die Bayern spielt und dann gewinnt.