Gelsenkirchen. Als Schalker Spieler erlangte Friedel Rausch Berühmtheit durch einen Hundebiss. Als Trainer führte er die Knappen 1977 um ein Haar zum Titel.
Nach dem Schlusspfiff kannte der Jubel keine Grenzen mehr an jenem 9. Oktober 1976. Wie von der Tarantel gestochen rannte Friedel Rausch († 2017) durch die endlosen Weiten des Münchner Olympiastadions und herzte seine Schützlinge. Einige Spieler umarmte Schalkes Chefcoach gleich mehrmals – egal: Schließlich gewinnt man nicht alle Tage mit 7:0 beim großen FCB. „Die Bayern in Grund und Boden gespielt“, titelte die WAZ nach dem epochalen Erfolg durch Treffer von Klaus Fischer (4), Erwin Kremers, Manni Dubski und Rüdiger Abramczik. S04-Präsident Günter Siebert befand gar: „Wir haben die Alpen verschoben!“
Ein gutes halbes Jahr zuvor hatte der frühere S04-Profi Rausch, bis dato Jugend- und Co-Trainer, eine völlig verunsicherte Schalker Bundesliga-Mannschaft übernommen. Vorgänger Max Merkel („Das Schönste an Gelsenkirchen ist die Autobahn nach München“) hatte mit seiner selbstherrlichen Art alle und jeden im Verein gegen sich aufgebracht. Der humorvolle und sympathische Rausch kam da gerade recht, denn er war quasi der Gegenentwurf zum ewig grantelnden Wiener. Im März 1976 trat er Merkels Nachfolge an – die perfekte Wahl, wie Rüdiger Abramczik (damals 20) bis heute meint: „Friedel war das komplette Gegenteil von Merkel. Zudem kannte er fast alle von uns, er wusste, wie wir ticken und war ein absoluter Erfolgstyp. Außerdem wollte er immer offensiv spielen – und bei uns hatte er genau die richtigen Leute dafür!“
Rüdiger Abramczik: „Der Friedel hat jedem Selbstvertrauen gegeben“
Spätestens zu Beginn der Saison 1976/77 spürte jeder bei den Königsblauen, dass mit Rausch ein neuer, frischer Wind durch das Parkstadion wehte. „Er spielte früher einen temperamentvollen linken Verteidiger mit viel Zug nach vorne. Und genauso war er auch als Mensch“, sagte Schalkes damaliger Vorstopper Rolf Rüssmann († 2009) einmal über Friedel Rausch. Mit dieser mitreißenden Art schweißte der Coach herausragende Einzelkönner wie Rüssmann, Bongartz, Abramczik, Fischer und die Kremers-Zwillinge zu einem Team zusammen, das die pure Freude am Fußball ausstrahlte. „Der Friedel hat jedem Selbstvertrauen gegeben und immer gesagt: Mach, dribbel, unternimm was!“, erinnert sich Abramczik.
Das 7:0 bei den Münchner Bayern war gewissermaßen sinnbildlich für die legendäre Spielzeit 1976/77, an deren Ende Schalke den Meistertitel nur hauchdünn verpassen sollte: Die Leichtigkeit und Spielfreude, mit der die Rausch-Truppe an guten Tagen ihre Partien gewann, lässt viele Fans bis heute schwärmen. „In unserem Dreier-Mittelfeld hatten wir mit Aki Lütkebohmert meist nur einen einzigen Defensiven“, erinnert sich Abramczik. „Davor agierten fünf offensive Spieler, schon daran erkannte man unsere grundsätzliche Ausrichtung.“ Vor allem auswärts ging dieser Hurra-Fußball auch schon mal nach hinten los. Sechs ihrer acht Saisonpleiten kassierten die Schalker auf fremden Plätzen.
0:1 am 28. Spieltag gegen Saarbrücken
Den Titel aber habe man wohl zu Hause vergeigt, ahnt Abramczik, und zwar am 28. Spieltag, beim 0:1 gegen Saarbrücken: „Da haben wir hinten ein saudummes Tor kassiert, und vorne haben wir alles getroffen, nur nicht in die Maschen.“ Nach diesem Ausrutscher betrug der Rückstand auf Primus Gladbach (nach der alten Zwei-Punkte-Regel) stolze fünf Zähler. Doch Rausch glaubte noch immer an das Unmögliche – und mit ihm seine Spieler: Fünf der letzten sechs Ligaspiele entschied Schalke für sich, den Auftakt machte ein furioses 7:1 in Karlsruhe (Tore: Fischer 3, Rüssmann 2, Abramczik, Hannes Bongartz). Am Saisonende hatte man als Vizemeister zwar 19 Tore mehr erzielt als Meister Gladbach, doch ein einziger mickriger Punkt fehlte, weil die „Fohlen“ am letzten Spieltag ein 2:2 bei den Bayern über die Zeit brachten. Schalke siegte zeitgleich mit 4:2 gegen Dortmund.
„Man muss den Zuschauern immer ein Spektakel bieten“ – so lautete das Credo des Friedel Rausch, der 1969 in einem Revierderby beim BVB bundesweite Berühmtheit erlangt hatte: Der wild gewordene Schäferhund eines Dortmunder Ordners attackierte den Schalker auf dem Rasen des Stadions Rote Erde. Das Foto, auf dem Rausch mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammensackt, während sich „Rex“ in sein Hinterteil verbeißt, ist ein Stück Zeitgeschichte. Später kommentierte das Opfer den Vorfall auf seine höchst eigene Art: „Hätte der Hund mich vorne erwischt, hätte er sich wohl alle Zähne ausgebissen ...“
Keine zwei Jahre Schalker Chefcoach
Doch trotz seiner heldenhaften Historie als Spieler, trotz seiner Meriten als Jugend- und Co-Trainer und trotz der Vizemeisterschaft 1977 hielt sich Rausch keine zwei Jahre als Chefcoach bei S04. Ein 0:3 in Frankfurt am 17. Dezember 1977 war seine letzte Bundesliga-Partie auf der Bank der Knappen. „Der Friedel hatte sich im Sommer zuvor wohl ein bisschen mit Präsident Günter Siebert verkracht, dabei ging es um die Transferpolitik. Und als es dann nicht mehr ganz so rund lief, musste er eben gehen“, bedauert Abramczik. Auf Schalke übernahm Uli Maslo, und es sollte bis zur Saison 2000/01 dauern, ehe der Klub wieder ernsthaft um die Deutsche Meisterschaft mitspielte.
Friedel Rausch aber wurde nach seiner Zeit in Gelsenkirchen zum Titelsammler: 1980 gewann er mit Frankfurt den UEFA Cup, 1989 wurde er Schweizer Meister mit dem FC Luzern, 1992 Pokalsieger. Bei der ausgelassenen Meisterfeier mit den Eidgenossen rief Rausch in die Menge: „Wahnsinn, so eine Stimmung kenne ich sonst nur aus Schalke!“ Und das, obwohl er bei S04 als Spieler wie als Trainer ohne Titel geblieben war. Am 18. November 2017 starb Friedel Rausch 77-jährig in seiner Schweizer Wahlheimat Horw.