Moskau. Benedikt Höwedes war eine Institution auf Schalke. Vor dem Spiel mit Lokomotive Moskau gegen Leverkusen erzählt er von seinem neuen Leben.

Benedikt Höwedes hat sich eingelebt. Mit 31 lässt sich der Junge aus Haltern, der viele Jahre für den FC Schalke 04 spielte und 2014 Weltmeister wurde, ganz auf die Weltstadt Moskau ein. Es ist eine spannende neue Welt für ihn, und Benedikt Höwedes war eine Institution beim FC Schalke 04. Seit 2018 spielt er für Lokomotive Moskau.

Vor dem Champions-League-Spiel gegen Leverkusen erzählt er von seinem neuen Leben in einer anderen Welt. Sie ist auch sportlich attraktiv. Denn mit Lokomotive Moskau ist der Abwehrspieler in der Champions League am Ball – auch an diesem Dienstag gegen Bayer Leverkusen (18.55 Uhr/DAZN).

Benedikt Höwedes, wie verständigen Sie sich als Deutscher auf einem russischen Fußballplatz?

Benedikt Höwedes: Ohne Probleme. Ich habe die Wörter gelernt, die ich brauche, um als Mittelverteidiger meine Mitspieler zu dirigieren.

Und nach dem Schlusspfiff?

Da habe ich auf jeden Fall Übersetzungsbedarf, noch mehr als während meiner Zeit bei Juventus Turin. Leider lernt man Russisch ja nicht wie Italienisch in Deutschland beim Abendessen, weil man zum Italiener geht (lacht).

Geografisch ist Moskau viel größer als Gelsenkirchen oder Turin. Sie leben im Stadtzentrum, 20 Kilometer Luftlinie von der Trainingsbasis entfernt. Wie kommen Sie dahin?

Ehrlicherweise mit einem Fahrer, da man in Moskau zu jeder Tag- und Nachtzeit im Stau steht und ich die Zeit dann lieber mit Lesen oder der Vorbereitung auf das Training verbringe. Zum Training benötigt man, weil man morgens gegen den Strom fährt, meist nur knapp 40 Minuten, zurück mehr als das Doppelte, wenn man in eine der Rush Hours gerät.

Und im Stadtzentrum sind Sie mit dem Lastenfahrrad unterwegs?

Das Lastenfahrrad habe ich in Haltern am See gelassen, da macht es mehr Sinn für uns. In Moskau fahre ich in der Regel Metro oder Bus. Ich habe die Metro direkt vor der Haustür, sie funktioniert großartig. Ich staune immer wieder, wie schön sie ist. Die Stationen sind quasi Kunstmuseen.

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Das Leben in Moskau gefällt Ihnen?

Ich sehe es auch als Chance, Land und Leute kennenzulernen. Statt vor dem Fernseher, sitze ich lieber in der Metro, schau mir die Stadt an. Es gibt hier alles, was man möchte, Museen, Parks, historische Gebäude. Ich probiere gerne neue Restaurants aus oder erkunde Künstlerviertel.

Haben Sie schon Moskauer kennengelernt? Oder verkehren Sie vor allem mit Ihren Mitspielern?

Ich verbringe gerne Zeit mit Leuten aus der Mannschaft, mit unseren spanischen Physiotherapeuten bin ich inzwischen gut befreundet. Aber die meisten Bekannten habe ich außerhalb des Fußballs. Als ich hier ankam, habe ich nach einer Woche ein Yogazentrum besucht, das man mir empfohlen hatte. Da lernte ich direkt Leute kennen, durch sie wieder neue Leute. Das hat mir sehr geholfen, in dieser Stadt anzukommen. Auch, weil meine Frau in den ersten Wochen noch schwanger war und wir entschieden hatten, dass der Sohn in unserem bekannten Umfeld statt in einer fremden Stadt zur Welt kommen sollte.

Sie sind sehr gut informiert, was in Deutschland passiert. Sie beteiligen sich auf Facebook und mit Ihrer Internetkolumne an deutschen Diskussionen.

Ich habe leider nur wenige Möglichkeiten, nach Deutschland zu reisen. Nur im Urlaub, oder wenn ich mal mehrere Tage frei habe. Aber ich lese online sehr viel Zeitung, höre Podcasts darüber, was in Deutschland los ist, tausche mich mit meiner Familie und mit Freunden sehr viel aus.

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Sie sind Veganer. Mit dem Koch bei Lokomotive haben Sie sich auf einen entsprechenden Speiseplan geeinigt. Was sagen andere Russen dazu?

Viele in Russland wissen noch gar nicht, was pflanzliche Ernährung genau ist, sie sind zuerst mal verdutzt. Ich bekomme die üblichen Ratschläge, ich sollte doch endlich ein Stück Fleisch essen, bräuchte Kraft und Proteine. Aber da steht man drüber, wenn man weiß, was man essen muss, um gesund und leistungsfähig zu bleiben. Und der Erfolg gibt mir recht, ich bin deutlich weniger verletzungsanfällig als vorher.

Auch andere Probleme, die Sie bewegen, Umweltschutz oder Klimawandel, werden hier belächelt.

In der Tat sind die Themen hier noch nicht richtig angekommen, jedenfalls nicht bei der breiten Bevölkerung. Umweltschutz muss auch von der Politik vorgelebt werden, und das geschieht hier zu wenig bis gar nicht. So werden viele Probleme nicht richtig angepackt. In den Supermärkten kriegt man eine Orange in einer Plastiktüte, die dann in einer anderen Plastiktüte verpackt wird. In den ersten Tagen in Moskau bin ich mit 50 Plastiktüten heimgekommen. Dann habe ich mir wiederverwertbare Einkaufstüten besorgt. Und die Russen sehen mich mit großen Augen an: He, warum willst du jetzt keine Plastiktüte?

So kennen ihn die Schalke-Fans: Trotz Platzwunde geht es für Höwedes auf dem Platz weiter.
So kennen ihn die Schalke-Fans: Trotz Platzwunde geht es für Höwedes auf dem Platz weiter. © dpa

Was machen Sie mit Ihrem Müll?

Trennen nützt nichts, dann kommt doch ein Müllauto vorbei, und alles landet wieder in einem Container. Ich kann mich bemühen, keine Plastiktüten zu kaufen, weitestgehend öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Jeder kann seinen Beitrag leisten, und sei er noch so klein.

In Russland werden auch sexuelle Minderheiten belächelt. Toleranz gegenüber Schwulen ist nicht angesagt.

Russland ist bei einzelnen Themen leider noch nicht auf dem westeuropäischen Niveau oder auf Augenhöhe mit dem deutschen Grundgesetz. Es ist merkwürdig, wenn man ein Musikvideo guckt, zwei Frauen sieht, die sich küssen, und das dann mit einem Balken zensiert wird. Ich bin froh, dass wir in Deutschland bei den Themen weiter sind und ich Bekannten hier vor Ort erklären kann, warum das bei uns anders ist.

Haben Sie das Gefühl, hier in einer Diktatur zu leben? Im Alltag benehmen sich die Moskauer ja nicht anders als die meisten Europäer.

Ich glaube auch, dass man im Alltag gar nicht mitbekommt, wie hier Politik gemacht wird und was die Politik einfordert. Das erfährt man, wenn man lokale und internationale Nachrichten liest und die Meldungen zu einem Thema vergleicht. Das tägliche Leben beeinflusst das aber überhaupt nicht.

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Sind Sie in Moskau glücklich?

Tatsächlich habe ich mich hier gut eingelebt. Aber es ist schwierig, dass meine Familie nicht die ganze Zeit bei mir ist, da wir mit der Mannschaft viel unterwegs sind. Ich bin ein totaler Familienmensch, zu Hause ist für mich, wo meine Familie ist.

Macht der Leistungssport Ihnen noch immer Spaß?

Natürlich, auch jetzt das zweite Jahr nacheinander mit Lokomotive in der Champions League zu spielen. Wir haben großartige Lose mit Juve, Atletico Madrid und auch Leverkusen gehabt, messen uns mit den größten Mannschaften Europas. Und wir sind in der russischen Liga erfolgreich, wurden vergangene Saison Pokal- und Supercup-Sieger und Vizemeister, sind auch dieses Jahr gut in der Tabelle dabei. Sportlich macht das natürlich Spaß.

Sie waren bei Schalke 04 mehr als nur ein Spieler, sondern jemand, der auch den Verein verkörpert hat. Ist Schalke auch jetzt noch für Sie eine andere Dimension? Oder fühlen Sie sich bei Lokomotive, wo Sie ebenfalls sehr beliebt sind, genauso wohl?

Als ich vor kurzem in der Champions League zu Juventus Turin zurückkehrte, erlebte ich unwahrscheinlich viel Wertschätzung, von Fans, Mitarbeitern und Spielern. Das hat mich sehr berührt. Obwohl ich da nur ein Jahr gewesen bin, mochten die mich sehr, glaube ich, als Typen und als Spieler. Diese Wertschätzung bekomme ich auch bei Lokomotive. Aber Schalke bleibt immer etwas ganz Besonderes, nicht nur, weil ich so viele Jahre dort verbracht habe. Als ich auf Schalke war, das war noch etwas ganz anderes.