Gelsenkirchen. Timo Hildebrand über Schalkes aktuelle Probleme, den neuen Sportvorstand Jochen Schneider und die brutale Situation für Trainer Domenico Tedesco.
Timo Hildebrand (39) verfolgt die Entwicklung bei seinem Ex-Klub Schalke 04, für den er zwischen 2011 und 2014 insgesamt 58 Pflichtspiele absolvierte, noch mit großem Interesse. „Schalke ist nie langweilig. Das war zu meiner Zeit schon so. Und das ist auch heute noch so“, sagt der ehemalige Nationaltorwart mit einem Augenzwinkern. Im Interview mit dieser Zeitung verrät Hildebrand, warum er dem neuen Sportvorstand Jochen Schneider viel zutraut, welche Chance er für Trainer Domenico Tedesco noch sieht und was aus seiner Sicht beim Malocherklub schiefgelaufen ist.
Herr Hildebrand, überrascht es Sie, dass der amtierende Vizemeister Schalke 04 nur noch vier Punkte vor dem Relegationsplatz steht?
Timo Hildebrand: Ja, das ist für mich schon eine Überraschung. Dass man in einer Saison mal die eine oder andere Delle bekommt, ist normal. Aber dass der Tabellenzweite des Vorjahres jetzt im Abstiegskampf steckt, ist schon ungewöhnlich.
Wie ist die sportliche Talfahrt zu begründen?
Hildebrand: Ich denke, dass es die Summe der Dinge, die bei Schalke falsch gelaufen sind, ausmacht. Vielleicht hat das Grundgerüst insgesamt nicht so gepasst, dazu kam der Torwartwechsel von Ralf Fährmann zu Alexander Nübel. Wenn du als Trainer mitten in der Saison deinen Kapitän aus dem Team nimmst, ist das schwierig. Dazu hat Schalke in meinen Augen die Abgänge von Leon Goretzka und Max Meyer unterschätzt. Die beiden waren wichtig für die Mannschaft. Dazu wurde im Winter auch noch Naldo abgegeben, dessen Wort ebenfalls Gewicht hatte. Zuvor hat mit Benedikt Höwedes ein weiterer großer Spieler den Verein verlassen. Da kam einiges zusammen.
Bei Schalke haben sich im Laufe der Saison verschiedene Lager, die sich nicht wirklich grün sind, gebildet. Wie wichtig ist eine intakte Chemie innerhalb einer Mannschaft?
Hildebrand: Enorm wichtig. Ich glaube, dass wir zu meiner Zeit auf Schalke einen guten Teamgeist hatten. Wir haben als Mannschaft zusammengehalten. Dadurch holst du schon eine Menge rein. Aktuell scheint es ja, was man aus der Ferne so mitbekommt, anders zu sein. Ohne jemandem zu nahe treten zu wollen: Aber wenn du mehr als zwei, drei Spieler aus einer Region hast, dann besteht immer die Gefahr, dass sich Grüppchen bilden. Es muss zwischenmenschlich einfach passen. Wenn das nicht der Fall ist, wird es schwierig, das Schiff auf Kurs zu halten.
Mitten in der Spielzeit ist Manager Christian Heidel zurückgetreten und Jochen Schneider als neuer Sportvorstand geholt worden. Trainer Domenico Tedesco steht auf der Kippe. Haben Sie so eine Situation als Spieler schon mal erlebt?
Hildebrand: Ja, unter anderem in Valencia. Da hatte ich in eineinhalb Jahren drei verschiedene Trainer und einen neuen Sportdirektor. Das ist für einen Spieler nie ganz einfach, weil du ja nicht weißt, wie der neue Trainer tickt und wie er mit dir plant. Du fängst im Grunde bei Null an. Das muss aber nicht unbedingt negativ sein, sondern kann auch einen Ruck auslösen, weil neue Energien freigesetzt werden.
Haben Sie Heidels Rückzug bei Schalke als Flucht empfunden?
Hildebrand: Ich dachte, Tedesco und Heidel würden eine funktionierende Einheit bilden, die über Jahre Bestand hat. Entscheidend für Heidels Rücktritt war der Vorschlag von Aufsichtsratschef Clemens Tönnies, noch jemanden neben Heidel zu installieren. Christian Heidel wollte das nicht. Er war konsequent, Ich finde es legitim, dass er erst seine Schlüsse und dann schließlich die Reißleine gezogen hat.
Trainer Domenico Tedesco hat für das Spiel am Freitag bei Werder Bremen eine Jobgarantie erhalten. Was danach passiert, ist offen. Können Sie sich in seine Lage hineinversetzen?
Hildebrand: Es ist nicht einfach, wenn man um seinen Job spielt. Domenico Tedesco ist noch ein junger Trainer. In seiner ersten Saison haben fast alle Dinge, die er angepackt hat, geklappt. Vielleicht hat er in dieser Spielzeit nicht konsequent genug gegengesteuert und die Situation insgesamt unterschätzt. Dazu zählt eben auch, den Kapitän aus dem Tor zu nehmen. Ich bin aber sicher, dass er aus den letzten Monaten viel gelernt hat. Ich traue ihm eine kurzzeitige Wende bei Schalke noch zu. Aber es geht nicht um ihn als Person, sondern um den Verein. Ich bin gespannt, wie es über die Saison bei Schalke weiterläuft.
Sie kennen den neuen S04-Sportvorstand Jochen Schneider aus gemeinsamer Zeit beim VfB Stuttgart, wo Sie 2007 Deutscher Meister wurden. Kann Schneider Schalke helfen?
Hildebrand: Ja. Er ist ein sehr professioneller Teamplayer, ein cooler Typ. Er ist sehr menschlich, geht auf die Leute ein, aber Jochen Schneider arbeitet am liebsten im Hintergrund. Sein Anspruch ist es, in erster Linie ans Team zu denken, nicht an sich. Er ist nicht der Mann, der im Vordergrund und im Rampenlicht stehen muss. Ich glaube, dass er noch von vielen unterschätzt wird. Jochen Schneider hat ein gutes Netzwerk und ist ein ausgeprägter Fußball-Kenner.
In der Bundesliga geht der Trend zu Ex-Profis, die ins Sport-Management der Klubs aufrücken. Wäre das möglicherweise auch etwas für Sie?
Hildebrand: Ich bin im Sportbusiness-Management tätig, insofern ist das nicht auszuschließen, dass ich bei einem Verein mal in einer solchen Funktion einsteige. Mit Simon Rolfes, der bei Bayer 04 Leverkusen tätig ist, oder Sebastian Kehl bei Borussia Dortmund gibt es junge Leute, die ihr Wissen nach Beendigung ihrer aktiven Laufbahn im Management einbringen. So etwas könnte ich mir auch vorstellen.