Gelsenkirchen. 33 Verletzungen gab es beim FC Schalke 04 seit Juli. Experte Wolfgang Potthast sieht im Interview auch im Stressfaktor einen Erklärungsansatz.

Vizemeister Schalke 04 zahlt in dieser Saison einen hohen Tribut für die Dreifach-Belastung in der Meisterschaft, Champions League und im DFB-Pokal. Vom Trainingsstart im vergangenen Juli bis Ende Januar wurden insgesamt 33 Verletzungen bei den Königsblauen registriert. Steven Skrzybski holte sich beim 2:2 in Berlin seinen zweiten Muskelfaserriss in dieser Spielzeit. Im gleichen Spiel erwischte es Benjamin Stambouli (Jochbeinfraktur) und Alessandro Schöpf (Außenbandriss und Kapselverletzung). Das Duo fällt bis zum Frühjahr aus.

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Von Christoph Winkel und Thomas Tartemann

“Drei solcher Verletzungen in einem Spiel sind schon viel”, sagt Wolfgang Potthast, Professor für Biomechanik an der Deutschen Sporthochschule Köln. Der Experte sieht das Problem allerdings nicht exklusiv bei Schalke 04. “Die Schalker werden nicht der einzige Verein in Deutschland sein, der eine hohe Ausfallzahl an Spielern hat. Wissenschaftlich werden solche Daten, die sehr aufschlussreich und hilfreich sein können, bei uns leider nicht erhoben. Dafür müsste Geld in die Hand genommen werden, um das anzustoßen”, so Potthast.

Mehr Verletzungen bei Fußballern im Winter

Eine vor wenigen Wochen in Großbritannien durchgeführte Studie der Leeds-Beckett-Universität untersuchte die Ausfallzeiten von 240 englischen Profis. Ergebnis: Im Laufe einer kompletten Spielzeit wurden bei den 240 Fußballern insgesamt 470 Verletzungen registriert. Durchschnittlich fiel jeder Profi, der in der Studie erfasst wurde, fast zweimal pro Spielzeit aus.

“Aus der Untersuchung in England geht auch hervor, dass es in den Wintermonaten eine höhere Anzahl an Verletzungen gibt”, sagt Wolfgang Potthast. Das würde zum aktuellen Schalke-Dilemma passen. Gerade bei einer Verletzung wie der von Stambouli, der sich bei einem Luftkampf mit Herthas Arne Maier das Jochbein brach, gibt es allerdings kein Allheilmittel. Potthast: “Man kann Spielern nicht sagen, dass sie nicht zum Kopfball gehen sollen.”

Bei der Verletzung von Skrzybski, der sich in der Endphase bei einem Laufduell einen Muskelfaserriss zuzog, sieht Potthast durchaus einen Erklärungsansatz. “Im Trend findet man solche Verletzungen eher im letzten Spieldrittel, wenn Fußballer ermüden und Situationen in Zweikämpfen vielleicht falsch einschätzen.”

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"Bei Schalke stehen die Spieler unter Stress"

Dass neben Skrzybski auch Yevhen Konoplyanka, Guido Burgstaller, Mark Uth, Suat Serdar, Omar Mascarell, Sascha Riether und zweimal Amine Harit wegen Muskelfaserrissen ausfielen, findet Wolfgang Potthast zwar “in der Summe viel”, sieht aber eine mögliche Erklärung in der hohen Intensität. “Wenn die Anzahl der vorrangig eingesetzten Spieler klein ist, die Wettkampfbelastung aber hoch ist, dann nehmen die Verletzungen zu. Bei Schalke kommt hinzu, dass die Spieler unter Stress stehen, weil es sportlich nicht nach Wunsch gelaufen ist. Mit Stress regeneriert man schlechter und ist dadurch verletzungsanfälliger.”

Potthast nennt ein vergleichbares Beispiel: “Als der 1. FC Köln in der Europa League gespielt hat und auch der Dreifach-Belastung ausgesetzt war, gab es dort auch eine höhere Anzahl an Verletzungen.” Potthast sieht durchaus Lösungsansätze, aus dem Teufelskreis auszubrechen. “Man muss Leistungsträger auch mal rausnehmen und schonen. Das geht allerdings nur, wenn der Verein das mitträgt. Da müssen Trainer und Trainerteam die Rückendeckung von oben haben.”

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Experte Wolfgang Potthast warnt vor dem Trend

Bei internationalen Topklubs ist die Handhabung einfacher. “Es gibt Klubs, die sich effektive, effiziente Kader halten, in denen jeder einzelne Spieler problemlos in der Champions League auflaufen kann. Da sitzen Stars wie Messi oder Ronaldo auch mal auf der Bank. Das können sich aber die wenigsten Vereine erlauben. Wenn der Trend so weitergeht, wird es immer mehr verletzte Spieler geben”, warnt Wolfgang Potthast.

Ein möglicher Weg aus dem Teufelskreis ist das Fördern und Stärken der eigenen Jugend. “Die TSG Hoffenheim ist ein Beispiel. Sie investieren viel in die Ausbildung, holen die Talente dann nach und nach in die Lizenzmannschaft. So kann man als kleiner Verein gegensteuern. Allerdings muss man auch in der Jugend darauf achten, dass die Prävention gut ist. Ein guter Jugendspieler, der fit und gesund ist, kann auf lange Sicht viel bringen”, ist Wolfgang Potthast überzeugt.