Gelsenkirchen. . Olaf Thon spricht über die Misere beim FC Schalke und Rudi Assauers Krisenmanagement. Markus Weinzierl und Christian Heidel traut er die Wende zu.
Olaf Thon geht der Absturz auf den letzten Tabellenplatz an die Nieren. „Ich leide mit, aber ich kann auch nichts machen“, sagt der Weltmeister von 1990, der in seiner erfolgreichen Karriere einige Durststrecken erlebte. Thon weiß genau, an welchen Stellschrauben die Schalker Verantwortlichen jetzt drehen müssen. Der 50-Jährige traut auch Cheftrainer Markus Weinzierl und Sportvorstand Christian Heidel die Wende zu.
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Herr Thon, haben Sie so einen Negativstrudel, in dem die Schalker Mannschaft aktuell steckt, selbst als Spieler mitgemacht?
Olaf Thon: Ich bin mit Schalke 04 aus der Bundesliga abgestiegen. Mit dem FC Bayern bin ich in einer Saison mal Zehnter geworden. Da war die Kacke am Dampfen. Du spielst in solchen Situationen nicht das, was du kannst.
Woran liegt das?
Thon: Die Freude fehlt. Dazu gibt es eine Verkrampfung, die dir etwa zehn bis 15 Prozent Leistung nimmt. Dann ist ein Gegner wie Hoffenheim am letzten Sonntag plötzlich gleichstark.
Kennen Sie ein Patentrezept, um aus dem Sumpf zu kommen?
Thon: So eine Situation ist nicht einfach, aber sie gehört dazu. Man ist auch dafür Fußballer geworden, um sich dem Negativlauf zu stellen. Ich war bestimmt zehn bis 20 Mal in solchen Lagen. Irgendwann stößt du den Bock um. Dann macht ein Spieler plötzlich das entscheidende Tor, oder ein anderer wie Torwart Ralf Fährmann rettet in einer entscheidenden Situation. Jetzt sind bei Schalke alle gefordert.
Wenn es in der Kabine laut wird
- Die Spieler von Eintracht Frankfurt machten große Augen, als Trainer Klaus Toppmöller 1993 plötzlich mit einem gewaltigen Steinadler in der Kabine stand. „Ihr müsst den Gegner packen wie der Adler seine Beute“, sagte er seiner Mannschaft in Anlehnung an das Wappentier des Vereins. Um Spieler zu motivieren, aufzuwecken oder die Stimmung im Verein herumzureißen, haben auch andere Trainer in der Geschichte der Bundesliga viel Kreativität gezeigt.
- Unvergessen bleibt der Scherbenlauf, mit dem Christoph Daum im Sommer 1999 den Spielern von Bayer Leverkusen helfen wollte, gedankliche Kräfte freizusetzen. Während er über die zerbrochenen Weinflaschen lief, musste jeder Spieler seinen Namen sagen und laut rufen: „Ich gehe in eigener Verantwortung über das Glas, um mein Ziel zu erreichen.“
- Als die Bundesliga in jener Saison auf die Zielgerade ging, klebte Daum 40 Eintausend-Mark-Scheine an die Kabinentür, um der Mannschaft die ausgehandelte Meisterprämie von 40 000 Mark pro Spieler greifbar zu machen.
- Wenn es in so einer Umkleidekabine laut wird, muss das nicht immer daran liegen, dass der Trainer seine Spieler anschreit. 2002 zündete Ralf Rangnick vor dem Gastspiel von Aufsteiger Hannover 96 in Leverkusen einen Silvesterböller, um das Team wachzurütteln.
- Und wenn gar nichts mehr geht, kann man seine Spieler ja noch in der Öffentlichkeit als Affen beschimpfen. So wie Huub Stevens 2015 bei seiner Rettungsmission beim VfB Stuttgart.
- Zu drastischen Mitteln griff Felix Magath, als er 2011 den VfL Wolfsburg vor dem Abstieg retten sollte. Nach einer 0:3-Klatsche bat er die Spieler zum Waldlauf. Dabei leerte er die Trinkflaschen größtenteils und sagte: „Mehr habt ihr nach der Leistung nicht verdient.“
Der frühere Schalke-Manager Rudi Assauer hat einmal eine Thermoskanne durch die Kabine gefeuert. Was würde er jetzt tun?
Thon: Assauer war gar nicht so schlimm. Nach außen hat er oft mal gebölkt, aber nach innen hat er ganz selten mal böse Worte benutzt. Ich kann mich an ein Champions-League-Spiel mit Schalke in Spanien erinnern. Da gab es eine Brandrede von Rudi Assauer. Aber insgesamt ist er sparsam damit umgegangen. Ähnliches sehe ich jetzt bei Christian Heidel.
Schalkes Sportvorstand hat nach dem 1:2 in Hoffenheim die Einstellung einiger Spieler deutlich kritisiert. Für Sie nachvollziehbar?
Thon: Christian Heidel hat gesagt, dass Schalke ein Malocher-Klub ist. Da muss gefightet werden. Ich finde, dass diese Kritik zurecht kommt. Man muss jetzt irgendetwas tun, um die Wende herbeizuführen. Ich finde das, was gemacht wird, alles okay. Es hieß zwar lange, man müsste Geduld haben. Aber jetzt müssen auch Zeichen kommen.
Was halten Sie von Psychotricks, die Trainer anwenden, um den Knoten zu durchschlagen?
Thon: Solche Effekte kann man machen. Ich kann mich an Christoph Daum erinnern, der 1000-Mark-Scheine, als es sie noch gab, an die Kabinenwand heftete. Oder dass man etwas aufgehängt hat, was in der Zeitung stand. Was Schalkes Trainer Markus Weinzierl macht, weiß ich nicht. Er wird sich aber etwas einfallen lassen. Du musst jetzt versuchen, die Spieler psychologisch zu packen. Ich sehe aber noch eine andere Herausforderung.
Welche?
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Thon: Markus Weinzierl muss die richtigen Leute finden. Du brauchst Spieler wie Benedikt Höwedes, die vorangehen. Er bringt Willensstärke und Zweikampfstärke ein, hat beim Spiel in Hoffenheim fast alles richtig gemacht. An Benedikt Höwedes, Ralf Fährmann, Naldo oder Klaas-Jan Huntelaar muss sich die Mannschaft aufrichten. Nach sieben Pflichtspielen ist es jetzt an der Zeit, eine Mannschaft zu finden, die auch die nächsten Partien bestreitet. Du musst jetzt Automatismen reinbringen. Das wird Markus Weinzierl versuchen zu tun.