Oberhausen. Ein Spektakel vor 11000 Zuschauern: Am Ende gab es glänzende Augen und bitterernste Mienen. Rot-Weiß Oberhausen führte im Derby gegen den Lokalrivalen aus Essen zwischenzeitlich in Unterzahl mit 4:2 und musste sich am Ende dennoch mit einem Unentschieden zufrieden geben.
Wer vier Tore in einem Spiel kassiert, kann im Regelfall nicht gewinnen. Wer vier Tore schießt, sollte hingegen normal gewinnen. So gesehen wirkt das 4:4 (2:2) von RWO im Derby bei Rot-Weiss Essen wie eine logische Punkteteilung. Genau das ist sie aus Oberhausener Sicht aber nicht. RWO hatte die bessere Spielanlage, führte ständig, erzielte in der 70. Minute bereits in Unterzahl die 4:2-Führung und ging doch nur mit einem Punkt aus der Partie. Die erfahrenen RWO-Spieler verließen den Platz mit bitterernster Miene, die jüngeren hatten nach diesem Spektakel vor 11000 Zuschauern glänzende Augen. RWO aber wird diesen einen Punkt letzten Endes sehr teuer bezahlen.
Denn die spielentscheidende Szene geschah wohl in der 69. Minute. Da sprang Benjamin Baier Patrick Bauder im Mittelfeld, der Ball war längst weg, von hinten in die Beine. Dieses grobe Foul wurde nur mit Gelb geahndet, Bauders Revanchefoul hingegen regelkonform mit Rot. Bauder dürfte sich nach diesem harten Foul zudem eine wahrscheinlich schwere Knieverletzung zugezogen haben. RWO musste die letzten Minuten in Unterzahl bestehen, immerhin bei 3:2-Führung.
Tag der offenen Viererketten
Die kam verdient zustande: Die Elf von Andreas Zimmermann war von Beginn an gut im Rennen, setzte die Essener früh mit Pressing unter Druck. Das sollte sich auszahlen. Dominik Reinert und David Jansen spielten mit der linken Essener Abwehrseite Jojo Jansen passte dann scharf in den Strafraum und dort erwischte Patrick Schikowski am Elfmeterpunkt die Kugel und drückte ein (6.). Rot-Weiß-Keeper Patrick Kühn zeichnete sich bei einem Kopfball von Lucas Arenz erstmals aus (22.), doch drei Minuten später war er machtlos. Mit einem simplen Einwurf ließ RWE über links drei RWO-Defensivkräfte ergreifend einfach stehen, Marcel Platzek startete in den Sechzehner durch und überwand Kühn mit einem harten Schuss ins lange Eck. Sechs von acht Saisontoren hatten die Essener bisher nach Einwürfen über Tim Hermes erzielt. Die Rot-Weißen hatten dies im Training geübt und abgearbeitet, im Spiel jedoch erst nach diesem Tor.
Es sollte der Tag der offenen Viererketten werden. Nur drei Minuten später schloss Jansen eine starke Kombination über Schikowski und Bauder über links zur erneuten Gästeführung ab. Aber es sollte auch der Tag der Glücksschüsse werden.Benjamin Baier setzte einen Freistoß aus 25 Metern genau über die Mauer in den Winkel (38.). Kühn war machtlos. Robert Fleßers hatte den Freistoß zuvor verursacht, als er zu spät am Mann war und halten musste.
RWO-Torwart Kühn zeichnete sich aus
Nach dem Wechsel eröffneten beide Teams mit verheerenden Fehlpässen die zweite Runde. Doch weder Schikowski noch Platzek auf der anderen Seite konnten diesen Sekundenschlaf der Abwehrreihennutzen.In dieser Phase war es ein offener Schlagabtausch, gewürzt mit den üblichen Derbyverschärfungen. Wobei die Gäste nach wie vor besser strukturiert waren. Eine dieser durchdachten Offensivaktionen nutzte Alex Scheelen, als er eine Rückgabe des überragenden Jansen vor dem Strafraum aufnahm, zielte und mit der Seite überlegt aus 18 Metern einschob. Fleßers half mit kleiner Richtungsänderung,das Tor dürfte Scheelen gutgeschrieben werden (62.). Damit hatte RWO wieder Oberwasser, doch dann gab es besagte Rot-Szene und die Partie bekam einen noch schärferen Grundton. Doch wieder schien Rot-Weiß das besser nutzen zu können, verarbeitete Bauders Ausfall schnell und schaffte sogar das 4:2. Jansen drückte einen Freistoß von Weigelt aus dem linken Halbfeld mit dem Kopf aus zehn Metern ein (69.).
Die Entscheidung? Mitnichten, denn es war eben auch der Tag der Glücksschüsse. Erneut Baier traf per Freistoß aus 25 Metern, eine exakte Kopie seines Treffers aus der ersten Hälfte, diesmal in die Torwartecke (70.). Doch Kühn dürfte auch hier kaum eine Chance gehabt haben, so perfekt saß der Ball.
Das läutete die Essener Schlussoffensive ein, in der sich Kühn mehrmals auszeichnete. Keine Chance hatte er allerdings, als zunächst der ansonsten bärenstarke Herzenbruch zu kurz klärte und Haas die anschließende Flanke auf den langen Pfosten nicht kompromisslos entschärfte. Hinter ihm lauerte Arenz, das war das 4:4 (85.)
Die Stimmen zum Spiel:
RWO-Trainer Andreas Zimmermann: Nur 11000 Zuschauer? Dieses Spiel hätte mehr verdient gehabt. Ich kann mich nicht erinnern, mal 4:2 geführt zu haben und das dann noch so wie heute aus der Hand gegeben zu haben. Trotzdem ein großes Kompliment an meine Mannschaft. Wir haben den Fußball gespielt, den wir zeigen wollten. Drei Gegentore aus Standards sind hingegen sehr ärgerlich. Andererseits ist es toll, in Unterzahl hier einen Punkt geholt zu haben. Wir haben am Ende standgehalten. Trotzdem ist unser Start jetzt nur als mittelprächtig zu bewerten. Wir hatten die Chance auf einen wirklich richtig dicken Dreier, der uns weit nach vorn gebracht hätte und deswegen ist das unterm Strich ärgerlich. Ich bin sicher, dass wir mit elf Spielern gewonnen hätten. Wir müssen jetzt erst einmal schauen, was Patrick Bauder für eine Verletzung hat.
RWE-Trainer Marc Fascher: Wir hatten uns viel vorgenommen und wollten unbedingt den ersten Heimsieg. Nach sechs Minuten war das alles über den Haufen geworfen. Da haben wir schlecht verteidigt und überhaupt haben wir gegen David Jansen insgesamt ganz schlecht verteidigt. Der hat in diesem Spiel wirklich zu großem Kino eingeladen. Wir trainieren Freistöße bis zum Abwinken, deswegen war das kein Zufall. Der erneute Rückstand nach dem 1:1 war bitter, doch wir haben dann bis zur Pause Moral bewiesen. Kurz nach der Halbzeit war der einzige Zeitpunkt des Spiels, wo ich dachte, dass wir gewinnen könnten. Doch wir haben unsere Riesenmöglichkeit nicht zielstrebig genutzt, das hätte unser 3:2 sein müssen. Stattdessen kassieren wir das 2:3 und nach der Roten Karte auch noch das 2:4. Doch wir haben uns einfach nicht kleinkriegen lassen und nehmen daher das 4:4 gern mit. Für die Zuschauer war es Spektakel pur, für uns als Trainer allerdings ein Alptraum.
RWO-Torwart Philipp Kühn: Das war Superfußball, das Ergebnis für uns vielleicht nicht so. Aber wir sind jedes Mal in Führung gegangen und dann haben uns drei Standards wieder eingefangen. Der erste Freistoß war super über die Mauer gezirkelt, auch beim zweiten hatte ich keine Chance. Dafür habe ich ein paar andere Dinger entschärft.
RWO-Kapitän Benjamin Weigelt: Gefühlt ist das wie eine Niederlage. Wir hatten das Spiel im Griff, führten 4:2 und werden dann von Standards erwischt.
RWO-Verteidiger Felix Herzenbruch: Unser Plan war, die zunächst kommen zu lassen und kompakt zu stehen. Das ist uns sehr gut gelungen. RWE durfte ruhig Ballbesitz haben, wir hatten die Kontrolle. Bei den Freistößen hat der Schütze bestimmt sein Glück für die nächsten drei Jahre aufgebraucht.
RWO-Außen Dominik Reinert: Wir haben uns in Unterzahl auch nach dem 4:2 oder auch nach dem 4:3 das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen. Wir hatten weiter die Kontrolle, wir haben weiter Fußball gespielt. Bei elf gegen elf hätten wir das über die Zeit gebracht und so bin ich jetzt erst einmal enttäuscht. Wir hatten das Ding in der Hand.
RWO-Sechser Robert Fleßers: Wir haben dreimal geführt und nicht gewonnen, da ist es doch klar, dass ich damit nicht zufrieden sein kann. Wir hatten im Mittelfeld meist alles im Griff. Es war ein hartes Stück Arbeit, aber wir hatten die Sache im Griff.
RWO-Sechser Alex Scheelen: 4:4 hört sich zunächst mal toll an, entspricht aber nicht dem Spielverlauf. Es hätten drei Punkte sein müssen. Wenn man nach 75 Minuten 4:2 führt, muss man das auch nach Hause schaukeln. Bei den Einwürfen haben wir uns nicht clever angestellt. Wir wussten um diese Essener Stärke, haben im Training dran gearbeitet, aberdann doch nicht aufgepasst. Kämpferisch haben wir alles gegeben. Das war ein Fußballspiel, über das wir noch in ein paar Jahren sprechen werden. Dafür spielt man schließlich Fußball, auch wenn es nicht zum Dreier gereicht hat. Bei meinem Tor war Robert Fleßers noch mit einem Fuß dran, er kann es gern zur Hälfte haben.