Essen. Meistertrainer Otto Rehhagel spricht über seine Essener Wurzeln, die Misere bei Rot-Weiss Essen und bei den Essener Sportstätten.
Der Chef kennt den prominenten Gast natürlich persönlich. „Seit dreißig Jahren", wie Egon Overbeck erzählt, als er Otto Rehhagel in seinem Traditionscafe an der Kettwiger Straße begrüßt. Damit liegt der Senior-Chef in der Liste der Essener Rehhagel-Kenner jedoch allenfalls im Mittelfeld. Viele ältere Fußballfans kennen „Otto", wie ihn alle nur rufen, schon seit jenen Tagen, als der „eiserne Verteidiger" Anfang der 60-er Jahre noch für Rot-Weiss Essen in der Oberliga kickte. Inzwischen fühlt sich Rehhagel, der im Schatten der Zeche Helene aufgewachsen ist und als Trainer eine beispiellose Karriere machte, als Weltbürger. In Athen ist er - seit er Griechenland sensationell zum Europameister machte - gar Ehrenbürger. In Essen, wo er in Heisingen seit acht Jahren wieder seinen festen Wohnsitz hat, fühlt er sich immer noch wohl, hat aber an seiner Heimatstadt auch einiges auszusetzen, wie er im Gespräch mit der WAZ verrät.
Herr Rehhagel, beruflich haben Sie die längste Zeit,14 Jahre, in Bremen verbracht. Sie haben viele Städte kennengelernt . Was hat Sie bewogen, nach Essen zurückzukehren?
Rehhagel: Meine Wurzeln. Wir haben hier unsere Bekannten und Freunde. Und die Lage ist geradezu perfekt. Innerhalb von einer halben Stunde bin ich auf dem Düsseldorfer Flughafen, ich kann in einer Stunde mit dem Auto sportlich und kulturell alles erreichen. Das hast du nirgends. Für mich ist Essen samt Umgebung ein Ort der kurzen Wege. Außerdem habe ich sehr gute Beziehungen zu Dortmund, Schalke und Bochum.
Bei Rot-Weiss werden Sie - angesichts des Absturzes in die vierte Liga - zwangsläufig seltener anrufen. Was sagen Sie zur traurigen Entwicklung Ihres früheren Klubs?
Rehhagel: Ganz einfach: Denen fehlt das Geld. Du kannst nur eine gute Mannschaft aufbauen, wenn du Geld hast.
Viele bringen den Niedergang mit dem schlechten Rahmenbedingen - sprich: Stadion - in Verbindung. Sie auch?
Rehhagel: Sehen Sie, wir sind 2010 Kulturhauptstadt Europas. Und für die Kultur wird, und das ist auch sehr wichtig, viel getan und viel Geld ausgegeben. Aber ich sage in aller Deutlichkeit Vergesst bitte nicht die Kultur des kleinen Mannes!
Dies aus dem Munde eines Mannes, der sich längst auch als Theater- und Opernfreund geoutet hat.
Rehhagel: Natürlich, ich gehe hier gerne in die Philarmonie oder auch ins Aalto-Theater. Alles schön und gut. Aber die Kultur ist manches Mal auch ein elitärer Kreis. Man müsste mal die Besucherzahlen mit denen vergleichen, die der Sport in Jugend- und Amateurmannschaften bewegt
Die Kultur in Essen wird zum großen Teil von Privatsponsoren finanziert. Vermissen Sie eine vergleichbare Unterstützung für den Sport, speziell den Fußball?
Rehhagel: Ganz klar: Ja. Hier sind doch so viele Weltfirmen ansässig. Baut den Leuten doch ein Stadion! Warum haben wir denn kein Stadion im Gegensatz zu Duisburg oder Mönchengladbach - das gibt's doch gar nicht. Im Sportstättenbau liegen wir in Essen um Jahrzehnte zurück. Alle anderen sind mit der Zeit gegangen, nur wir sind stehengeblieben.
Die Misere von Rot-Weiss allein auf das marode Stadion zurückzuführen, greift aber doch wohl zu kurz, oder?
Rehhagel: Natürlich hat auch der Verein Fehler gemacht. Seit 40 Jahren. Die waren 1953 Pokalsieger und 1955 deutscher Meister. Mit Spielern wie Rahn und Islacker. Und dann hatten sie noch einmal eine Chance, als sie Lippens, Hrubesch, Burgsmüller, Mill hatten. Seitdem rennen sie hinter der Musik her. Die hatten nie Leute, die es geschafft haben, Verbindung zu den Türmen herzustellen.
Könnte es Sie irgendwann reizen, Ihre Erfahrung bei Rot-Weiss einzubringen?
Rehhagel: Ich mache grundsätzlich nur Dinge, von denen ich weiß, dass eine Chance besteht. Sonst hat es gar keinen Zweck. Ich muss dann schon begeistert werden. Wenn ich zweifle, dann geht das nicht. Ich habe immer davon gelebt, dass ich die Leute überzeugt habe.
Das klingt nicht nach einem kategorischen Nein.
Rehhagel: Stimmt. So weit will ich nicht gehen. Ich will ja solange etwas tun, wie es geht. Aber es muss - wie gesagt - eine Chance geben.