Der Gymnasiallehrer Vincent Wagner ließ sich für drei Jahre beurlauben und versucht sein Glück im Kraichgau. Fußballlehrer-Lizenz ist in Planung.

Nicht etwa gegen 11 Uhr oder so um 12 herum, nein: 10.40 Uhr soll es sein. Die Interview-Anfrage wird von Vincent Wagner präzise beantwortet. Ansonsten keine Chance, er sei den ganzen Tag unterwegs. Der ehemalige Trainer von Rot-Weiss Essen mit dem gewissen Kult-Status steckt noch mitten im Spielbetrieb und hat zu tun.

Im Sommer dieses Jahres hatte Wagner Rot-Weiss, „seinen Verein“ verlassen, um in der Regionalliga Südwest bei der U23 der TSG Hoffenheim anzuheuern. Und anders als in der Dritten Liga, die gerade in der WM-Pause steckt, wird dort noch gekickt. Hoffenheim II empfängt am Samstag den Tabellendritten Kickers Offenbach, das wird spannend, denn die Kraichgauer stehen auf Rang sechs - mit zwei Spielen weniger – ebenfalls gut da. Na ja, man kennt es ja: Da wo der „Vince“ auftaucht, ist der Erfolg nicht weit.

Bei RWE hat er ein Jahr lang die U19 in der Bundesliga trainiert. Unter seiner Regie erreichte der Nachwuchs auf Rang sechs die beste Bundesliga-Platzierung der Vereinsgeschichte. Seine Jungs brachten die Großen der Szene Schalke 04, VfL Bochum oder den BVB ins Schwitzen und krönten ihre überragende Saison mit dem Finalsieg im Niederrhein-Pokal.

Als die Erste der Rot-Weissen zwei Spieltage vor Regionalliga-Ende Chefcoach Christian Neidhart freistellte, weil man den Aufstieg gefährdet sah, wurde Wagner als Assistent von Sportdirektor Jörn Nowak mit ins Boot geholt. Das Ende ist bekannt.

Assistent in der zweiten Liga beim VfL Bochum

Natürlich stellte sich auch nach dieser Episode die Frage, ob sich der 36-Jährige einen professionellen Trainerposten vorstellen könne. Schließlich war er ja kurzzeitig schon mal Assistent in der zweiten Bundesliga beim VfL Bochum. Könne er, dazu müsste aber alles passen, meinte der Gymnasiallehrer für Geschichte und Sport, als die Verhandlungen mit der TSG noch geheim waren: „Es müsste schon ein außergewöhnliches Paket sein. Schließlich bin ich Essener durch und durch.“

15 Jahre hat er in der Nähe der Hafenstraße gewohnt, war als junger Nobody vom Verbandsligisten Eintracht Schwerin gekommen und ist seither mit dem Verein verbandelt, auch wenn er nicht immer direkt dort zu tun hatte. „Wir haben uns in Essen super wohl gefühlt.“ Er, seine Frau und später auch die Töchter.

Gerne auch mal im Dialog mit dem Schiedsrichter: Vincent Wagner während seiner aktiven Zeit bei Rot-Weiss Essen.
Gerne auch mal im Dialog mit dem Schiedsrichter: Vincent Wagner während seiner aktiven Zeit bei Rot-Weiss Essen. © WAZ FotoPool | Michael Gohl

Dann aber kam das Angebot, bei dem auch sein ehemaliger Cheftrainer beim VfL Bochum, Jens Rasiejewski, eine Rolle gespielt hat. Der leitet die Hoffenheimer Nachwuchs-Akademie und weiß, wie Wagner über Fußball denkt, kennt dessen Einstellung und die offensive Spielphilosophie. Ein Typ, und manchmal auch speziell. Mit schulterlangen Haaren erschien er bei den Vertragsgesprächen. „Ich hatte wirklich überlegt, ob ich sie abschneiden soll, mir dann aber gedacht, wenn sie mich wollen, nehmen sie dich wie du bist.“

Intensiv und leidenschaftlich war die Zeit bei RWE

Dieser Job ist außergewöhnlich. „Und es waren zuletzt schon knackige Wochen in Essen“, erzählt Wagner, lange hätte er das wohl in der Form wohl nicht mehr gemacht. Familie, Lehrer, Trainer – er malochte am Anschlag, genauso wie er es auf dem Rasen fordert. Aber wenn’s Spaß macht, vergisst man leicht mal die Belastung. Intensiv und leidenschaftlich war die Zeit bei RWE, und man habe den Eindruck gehabt, als würden seine Spieler mit jedem Tag besser. Das ist das Ziel. Aktiv und immer vorwärts, „verwalten ist nicht mein Fall“.

Vincent Wagner hat sich für drei Jahre beurlauben lassen und kann relativ gelassen in die Zukunft blicken. Dabei habe er nie gelernt, Trainerleben und privat zu trennen. Seine Frau wusste natürlich, worauf sie sich mit ihm einließ. Wagner schmunzelt: „Nach einem Urlaub hat sie mir mal gesagt, Kompliment, diesmal hast du dich nur 50 Prozent der Zeit um Fußball gekümmert.“

Erster Chefposten im Seniorenbereich

Es ist sein erster Chefposten im Erwachsenbereich, aber auch in Hoffenheim arbeitet er mit einer Ausbildungsmannschaft, was ihm als Pädagoge durchaus zugute kommen sollte. Aber Wagner schüttelt den Kopf. „Auch mit 28 und 30 solltest du die Einstellung mitbringen, dass du noch besser werden willst.“

Wagner betrachtet den Job in Hoffenheim als Privileg. Es ist die Talentschmiede eines ambitionierten Erstligisten, das Potenzial riesig. U-Nationalspieler gehören wie selbstverständlich dazu, im NLZ an der Seumannstraße sind sie eine Rarität. Joshua Quarshie ist so eine Perle, aber er folgte Wagner in den Kraichgau und hat sogar schon seine ersten Minuten in der Bundesliga gesammelt. „Hier kommt die Qualität aus jeder Pore.“

Die Infrastruktur sei optimal und was fürs Auge, die Kabinen sind in einem sanierten Nebengebäude eines historischen Schlosses untergebracht. Und jedes Mal auf dem Weg zum Training müssen die Talente an den Plätzen der Profis vorbei. „Dann können sie täglich sehen, wo sie mal hinwollen. Das ist hier allerhöchstes Niveau.“

Familie Wagner nahm die Umstellung in Kauf

Dafür hat die Familie Wagner die Umstellung in Kauf genommen, was für alle nicht immer ganz einfach ist. Vor allem die älteste Tochter (13) muss sich an die schulischen Anforderungen gewöhnen. „Sie hat ein bisschen zu knacken gehabt, aber sie macht das gut.“ Die Wagners haben sich in Wiesloch eingelebt, haben schnell Anschluss gefunden, auch wenn diese Kleinstadt mit gut 25.000 Einwohnern nicht mit Essen zu vergleichen ist. „Das ist ein bisschen wie Borbeck.“

Mit einem Rucksack voller Ideen ist Vincent Wagner nach Hoffenheim gezogen. „Und ich lerne auch als Trainer jeden Tag dazu.“ Die Zeiten haben sich geändert, die Haare sind wieder kurz geschnitten. Er könne sich durchaus vorstellen, die Fußballlehrer-Lizenz zu erwerben. „Wenn ich die Aufnahmekriterien erfülle, werde ich mich bewerben. Wenn man seine Hausaufgaben macht, fleißig ist und einen guten Job macht, dann kommen die Dinge ganz automatisch.“

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