Essen. Der RWE-Linksverteidiger wurde 2021 als Ersatz für Ikone Kevin Grund geholt. Nach langer Verletzungspause will er nun endlich durchstarten.
Er war einer der Letzten, der nach dem Testspiel gegen den SV Meppen (1:2) in die Kabine kam. Vielleicht hatte Michel Niemeyer ja noch einmal ein Weilchen auf dem Stadionrasen innegehalten und den Moment genossen. So lange, so unendlich lange hatte er darauf hingearbeitet: Da können schon 45 Minuten Fußball die Erfüllung sein. Nach einem halben Jahr Zwangspause ist der linke Außenverteidiger zum ersten Mal im Trikot von Rot-Weiss Essen aufgelaufen. Er war nicht weiter aufgefallen. Egal. „Das heute war unheimlich wichtig für mich“, sagt er noch im Vorbeigehen.
Endlich wieder spielen. Michel Niemeyer hat eine schwierige Zeit hinter sich. Er ist in zweifacher Hinsicht ein Neuzugang bei RWE, wenn man so will. Als er Ende Juni 2021 an der Hafenstraße präsentiert wurde, kannte ihn vermutlich kaum ein Rot-Weiss-Fan. Wehen-Wiesbaden ist nun mal doch eher Provinz, auch wenn der 26-Jährige dort in den letzten beiden Spielzeiten in der 2. und 3. Liga unterwegs war. Was der Neue wirklich kann, das ist vielen an der Hafenstraße bis heute ein Rätsel.
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Rot-Weiss Essen hält große Stücke auf Neuzugang Niemeyer
Dabei wurde Niemeyer als Leistungsträger verpflicht, was nicht wundert angesichts der sportlichen Vita. Und wer die RWE-Ikone Kevin Grund, die zu dieser Saison zum ambitionierten Oberligisten 1. FC Bocholt gewechselt war, ersetzen soll, der sollte schon was drauf haben. „Durch seine Erfahrung und seine Ruhe am Ball wird er unserer Defensive große Stabilität verleihen“, sagte RWE-Trainer Christian Neidhart damals. „Wir sind fest davon überzeugt, dass er mit seinem Tempo und seiner Spielstärke ein echter Gewinn für uns ist“, ergänzte Sportdirektor Jörn Nowak.
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Doch Niemeyer geisterte an neuer Wirkungsstätte wie ein Phantom durch die ersten Monate. Kann er trainieren, nein, kann er nicht. Einige Male hatte er es versucht, doch immer wieder piesackten ihn Schmerzen in der Kniekehle. Eine exakte Diagnose gab’s jedoch nicht.
Bis der Fußballer schließlich ganz rausgenommen wurde. Schnitt: Arthroskopie im Oktober, die ein Sehnenproblem am Außenmeniskus ergab. Nach der OP galt es nun, ganz von vorn anzufangen und im neuen Jahr durchzustarten. „Wenn er gesund bleibt, bekommen wir in der Rückrunde einen starken Spieler hinzu“, sagt Trainer Christian Neidhart. Und das ganz ohne weiteren Transfer.
Verteidiger ist erleichtert nach schwieriger Zeit
„Ich war noch nie so lange verletzt. Das ist alles sehr bitter, sehr unglücklich gelaufen“, sagt Michel Niemeyer. „Aber jetzt bin ich gesund. Ich habe absolut keine Probleme mehr an der Stelle und bin zuversichtlich, dass ich mehr und mehr reinkomme und fit werde. Klar, man hat in der ersten Woche schwere Beine. Aber bin sehr, sehr glücklich, endlich trainieren und in den nächsten Wochen hoffentlich auch wieder spielen zu können.“
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Der junge Mann ist erleichtert, man hört es und kann es verstehen. Gerade er, eher Kopfmensch als unbeschwerte Frohnatur, kam ab und an ins Grübeln. „Das war definitiv schwierig. Ich habe versucht, in der Woche mindestens einmal hierher zu kommen, um beim Training zuzuschauen und in der Kabine zu sein. Bei den Spielen war ich sowieso immer dabei. Aber es ist schon ein Unterschied, wenn du nicht täglich mit in der Kabine sitzt, sondern nur dein eigenes Ding in der Reha machen musst.“ Es fühlte sich stets an, als wäre er noch nicht richtig angekommen. „Aber dabei zu sein, ist für mich ganz wichtig, dass du auch innerhalb der Mannschaft ein gutes Gefühl hast.“
Test in Sprockhövel
Rot-Weiss Essen bestreitet an diesem Donnerstag ein Testspiel beim Westfalen-Oberligisten TSG Sprockhövel (10.30 Uhr, im Baumhof). Bis zu 750 Zuschauer sind unter Einhaltung der 2G-Regeln erlaubt; Eintritt kostet 5 Euro.
Fraglich bei RWE sind heute Michel Niemeyer (Adduktoren) und Erolind Krasniqi (Prellung). David Sauerland kommt nur für einen Kurzeinsatz in Frage, Sascha Voelcke trainiert derzeit individuell und fällt aus.
Auch privat geht es dem Fußball-Profi jetzt besser
Es war eine quälend lange Abstinenz. „Ich bin sehr oft genervt herumgelaufen. Ich hatte Schmerzen und konnte nicht das auf den Platz bringen, was ich kann“, erinnert sich Michel Niemeyer. Und er sei dann wohl privat auch etwas anstrengend, was seine Verlobte sicher bestätigen könne, fügt er schmunzelnd hinzu. „Ich hatte gar keine Lust, etwas zu unternehmen oder mit jemandem zu reden. Ich bin einfach froh, dass 2021 vorbei ist.“
Die Situation hat sich für ihn um 180 Grad gedreht. „Auch die Jungs merken, dass ich jetzt ein ganz anderer Typ bin - entspannter, glücklicher.“ Der Aufwind erfasste ihn bald nach der OP im Oktober. „Da habe ich gemerkt, wie es nach und nach besser wurde und ich das Knie belasten konnte. Da bekommst du wieder Lust, zu arbeiten und Vollgas zu geben.“ Und selbst die Reha könne dann Spaß machen. Im Dezember hatte Niemeyer erstmals wieder einen Ball am Fuß. Und dann war der Start in die Vorbereitung der erlösende Moment: „Ich durfte wieder in Kabine einziehen, habe die Sachen aus der Reha angeschleppt und den Spind eingeräumt. Es macht unfassbar Spaß, wieder auf dem Platz zu stehen und bis zum letzten Meter Vollgas zu geben.“
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Es ist noch ein weiter Weg zurück ins Team
Michel Niemeyer weiß genau, dass ihm noch ein weiter Weg bevorsteht. Er muss den Anschluss erst noch finden, sich herankämpfen. Leicht wird das nicht, erst recht nicht in einem so hochklassigen Kader, wie ihn RWE aufbietet. Und da ist ja auch noch sein interner Konkurrent Felix Bastians, den die Rot-Weissen zur Sicherheit geholt haben, weil Niemeyers Rückkehr so ungewiss war. Der bundesligaerfahrene Routinier eroberte sich den Platz in der Startelf umgehend und macht auf der linken Abwehrseite einen starken Job.
Für Niemeyer hat der nächste Kampf begonnen, praktisch aus der zweiten Reihe heraus. Er wird weiterhin Geduld haben müssen, auch wenn es ihm jetzt etwas leichter fallen dürfte. Schließlich hat er jetzt wieder eine Perspektive.
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