Duisburg. . Trainer Torsten Lieberknecht steht mit dem MSV Duisburg an der Drittliga-Tabellenspitze. Im Interview spricht er über Motivation, Meinungen und Musik.

Torsten Lieberknecht ist Plattensammler und spielt selbst Gitarre. Derzeit gibt der Trainer auch mit dem MSV Duisburg in der 3. Liga den Ton an. Sechs Monate nach dem Abstieg ist sein Team Tabellenführer. Dementsprechend gelöst spricht der 46-Jährige vor dem Spiel am Montag (19 Uhr) gegen Viktoria Köln über den Aufschwung der Zebras, Fußballbegeisterung in seiner Familie und Leidenschaft für Musik.

Herr Lieberknecht, wie gefällt Ihnen als Musikfan die älteste Stadionhymne Deutschlands, der Zebratwist?
Torsten Lieberknecht: Die Hymne hat mir schon immer gut gefallen. Auch bereits früher, wenn ich als Gäste-Trainer in die Schauinsland-Reisen-Arena gekommen bin oder als Spieler im alten Wedaustadion war.

Der Song läuft ja in dieser Saison recht häufig, weil Ihre Mannschaft in der Arena erfolgreich spielt und recht viele Tore erzielt. Woran liegt es, dass ihr Team wieder heimstark ist?
Lieberknecht: Es war für uns eine Herangehensweise in der Vorbereitung, dass wir gerade zu Hause eine Macht werden wollten. Wir wollen Offensivfußball bieten und die Leute mit ins Boot holen. Sie freuen sich, ins Stadion zu gehen. Dem wollen wir gerecht werden. Die Jungs setzen die Spielidee gut um. Wir sind bislang die beste Heimmannschaft, haben immer getroffen und in zwölf von 15 Spielen sogar mindestens zwei Tore erzielt.

Im Sommer hat der MSV einen großen Kaderumbruch vollzogen. Welchen Eindruck haben Sie vom Teamgefüge?
Lieberknecht: Für Sportdirektor Ivo Grlic und mich war klar: Wir wollten Spieler, für die es etwas Besonderes ist, für den MSV zu spielen und sich mit dem, was diesen Klub so besonders macht, zu identifizieren. Und wir haben diese Spieler gefunden, die mit glänzenden Augen hierher zu einem Traditionsverein gekommen sind. Die Truppe hat in der Vorbereitung eine Teamfähigkeit entwickelt. Das Grundnaturell, diese Begeisterung mitzubringen, ist bei der Mannschaft sehr ausgeprägt. Das ist auch ein Grund, warum die Leute wieder einen Bezug zum Team haben. In der letzten Saison war das leider viel zu selten gegeben.

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Welche Spieler halten die Mannschaft als Sozialkonstrukt zusammen?
Lieberknecht: Aus der letztjährigen Mannschaft haben wir von den jungen Spielern Lukas Daschner, Ahmet Engin, Jonas Brendieck, Migi Schmeling und Vincent Gembalies gehalten. Von den erfahrenen sind Moritz Stoppelkamp und Tim Albutat dabei geblieben. Sie haben das Team mitgeprägt, denn sie konnten aus Erfahrung berichten, was es heißt, für den MSV zu spielen. Zudem entwickeln sich natürlich auch Spieler wie Leo Weinkauf, die trotz ihres jungen Alters sehr geerdet durch die Welt gehen. Dazu kommt ein Marvin Compper, der mit seiner Ausstrahlung, seiner Erfahrung und seinem Können Vorbild ist. Diese Jungs tragen das Konstrukt.

Stoppelkamp ist der herausragende Spieler im Kader. Was hat ihn so stark gemacht?
Lieberknecht: Vor allem sein Antrieb, sich zum MSV zu bekennen und in der Vorbereitung voranzugehen. Aber dann auch die Entscheidung, ihn fähig zu sehen, als Kapitän die Mannschaft zu führen. Er hat zudem körperlich sehr viel investiert, um sich in eine Top-Verfassung zu bringen. Er weiß, dass er viel besser Fußball spielen kann als in der vergangenen Saison. Ich glaube daran, dass es ein Karma gibt. Wenn du dich professionell zeigst, bekommst du auch die Belohnung dafür – und umgekehrt die Quittung.

Auch Daschner sticht heraus. Wie sehen Sie seine Leistungen?
Lieberknecht: Er hat unbestritten fußballerische Fähigkeiten, taucht zwar in einem Spiel auch mal ab, hat aber dann etwas, was viele andere nicht haben: nämlich den Riecher, im entscheidenden Moment da zu sein und ein Tor zu schießen. Es war aber immer mein Bestreben, ihn physisch stärker zu machen. Die Bereitschaft, auch diese – in Anführungszeichen − unnützen Wege für ein Team auf einer so offensiven Position zu machen, war bei ihm nicht so ausgeprägt. Er ist immer noch dabei, sich das anzueignen.

Vor der Saison hat der Verein das Ziel ausgegeben, oben mitspielen zu wollen. Gilt das auch noch jetzt als Tabellenerster?
Lieberknecht: Ich weiß, dass Braunschweig, Ingolstadt, Kaiserslautern mit seinem Investor und Halle in dieser Saison weitaus mehr als der MSV in die Hand genommen haben. Mit unserem großen Umbruch ist es sehr ambitioniert und sportlich zu sagen, dass wir oben mitspielen und zu diesen Mannschaften gehören wollen. Mindestens zehn Teams sind dazu in der Lage. Unser Weg vom ersten Trainingstag, an dem wir mit gerade mal acht Spielern auf dem Platz gestanden haben, bis hierhin war hart. Was hier gerade stattfindet, ist nicht alltäglich – und es wird ein langer, harter Weg bleiben.

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Auch die Personalsituation ist nicht alltäglich, denn es gab und gibt noch etliche Ausfälle. Trotzdem punktet die Mannschaft.
Lieberknecht: Jeder Spieler hatte die Antennen von Anfang an so gespitzt, dass er wusste, dass seine Chance kommt. Und die hat er dann auch genutzt. So war es zum Beispiel bei Leroy Mickels. Oder bei Lukas Boeder, der eigentlich für die Sechser-Position vorgesehen ist, nun aber seine Größe in der Innenverteidigung gezeigt hat. Die Spieler haben das nötige Können. Sie sind fokussiert und präsentieren sich gut.

Wollen Sie im Winter noch Spieler verpflichten?
Lieberknecht: Ivo und ich gehen sehr offen durch den Transferdschungel. Ich glaube schon, dass man mit einem Mosaikstein den Kader noch einmal aufwerten kann. Aber zunächst einmal haben wir das Vertrauen, dass die Jungs, die da sind, ihren Job machen werden.

Worauf legen Sie viel Wert, wenn Sie mit der Mannschaft arbeiten? Gibt es Regeln oder Verbote?
Lieberknecht: Es ist ein Geben und Nehmen bei mir. Die Spieler wissen, dass bei mir der Trainingsplatz heilig ist, dass es ein Feld ist, auf dem sie sich konzentrieren sollen. Es gibt keine Regeln, die ich unbedingt schriftlich festhalten muss. Es gibt aber seitens der Mannschaft einen Katalog, wie man sich zu verhalten hat. Dass Handys nicht beim Essen benutzt werden, ist für mich selbstverständlich. Ich weise dann vielleicht darauf hin, dass man darauf achten soll. Und ich bin kein Fan von Spielern, die mit Rollkoffern zum Stadion kommen. Eine normale Sporttasche reicht auch (lacht).

Gibt es eine Diskussionskultur in der Mannschaft?
Lieberknecht: Ja, die ist sehr ausgeprägt. Vor dem Spiel in Braunschweig zum Beispiel haben die Jungs noch eine Stunde nach dem Essen miteinander gesprochen. Da war selbst ich schon auf heißen Kohlen. Als Trainer wollte ich allerdings nicht als erster aufstehen (lacht). Aber das spricht für eine Kultur der Mannschaft, dass die Spieler nicht nur sehr gerne zusammenarbeiten, sondern auch sehr gerne miteinander zu tun haben und sich austauschen. Da geht es nicht nur um alltägliche Dinge, sondern da steht auch der Fußball im Fokus. Die Jungs diskutieren gerne, und sie tun das auf einem ordentlichen Niveau.

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Diskutieren Sie auch im Trainerteam, wenn es um die Aufstellung geht?
Lieberknecht: Es ist ein Prozess, den ich die ganze Woche begleite. Dabei hole ich mir Informationen, wie die anderen das sehen. Dafür habe ich einen Trainerstab und auch Ivo Grlic, mit dem ich mich unterhalte. Sie bringen vielleicht eine andere Sichtweise mit hinein. Das ist wichtig. Ich bin nicht verbohrt und nehme alle ernst.

Sie waren zehn Jahre Trainer in Braunschweig. Ist das für Sie ein Ziel in Duisburg?
Lieberknecht: Wenn das so sein soll, habe ich nichts dagegen. Ich bin kein Reisender oder in mir Getriebener. Ich bin jemand, der einen Klub mit Haut und Haaren aufsaugt und versucht, dort das Beste rauszuholen. Ich möchte für Kontinuität stehen. Dieser Verein hat mich fixiert und gestochen, zusammen mit meiner Frau, das ist mir viel wert. Auch wenn ich mit Sicherheit weiß, dass ich eine Erstliga-Mannschaft trainieren kann. Ich scheue mich vor nichts, bin völlig angstfrei. Der MSV ist ein Klub, für den ich gerne stehe und arbeite.

Was muss stimmen, damit ein Trainer lange bei einem Verein arbeiten kann?
Lieberknecht: Man muss erfolgreich sein! Das war in Braunschweig so. Bis auf die Erstliga- und Zweitliga-Abstiegssaison waren wir immer im Aufstiegskampf dabei. Dann musst du offen und vertrauensvoll zu deinen Leuten sein. Und du musst als Trainer wissen, dass es das Wort Abnutzung gibt. Dann stellt sich die Frage: Lässt du diese Abnutzung zu, indem du immer so bist wie du bist? Oder bist du jemand, der auch dagegen ankämpft? Das geht, indem ich probiere, mich zu verändern. Nicht in meiner Authentizität, aber vielleicht in meiner Art, die Mannschaft zu führen.

Wie viel Zeit nimmt ein Trainerjob heute in Anspruch?
Lieberknecht: Es ist ein Job, der nie ruht. Wenn ich zu Hause bin, geht die Tür zwar zu, aber ich bin dann auch in einer fußballverrückten Familie drin und diskutiere auch da (lacht). Es gibt wenige Pausen. Eine Pause kannst du dir nehmen, wenn du mal ein gescheites Konzert besuchst und vielleicht mal drei Stunden in eine andere Welt rausgeholt wirst. Ansonsten ist es ein Full-Time-Job. Jupp Heynckes hat mich immer sehr begeistert. Natürlich sprechen immer alle von Leuten wie Jürgen Klopp oder Pep Guardiola, aber Heynckes hat in den vielen Jahren die ganzen Facetten der Spielergenerationen mitbekommen. Wenn man da mal ein Interview gelesen hat, sitzt er auch zuhause am Frühstückstisch und seine Frau tritt ihn auch gegen das Schienbein und fragt: ‚An was denkst du denn jetzt schon wieder?‘ Da wird man auch ertappt. Es gibt es wenige Momente, in denen du nicht daran denkst.

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Ist England Ihr Traum?
Lieberknecht: Durchaus ist England ein Traum.

Aber das ist noch weit weg?
Lieberknecht: Ich habe jetzt den Traum, hier etwas Ähnliches erreichen zu können wie in Braunschweig. Ich merke, dass die Leute danach lechzen. Und trotzdem ist es ein ewiger Kampf. Hier in diesem fußballverrückten Ballungsgebiet ist es natürlich noch schwieriger. Dass die Leute sagen, dass sie wieder gerne ins Stadion gehen, ist das größte Kompliment, was du als Trainer bekommen kannst, weil du etwas vermittelst. Es gibt die jungen Fans, aber auch die 80-jährige Oma, die schon jahrzehntelang hierhin geht und dann sagt: ‚Das ist echt toll.‘ Das freut mich am meisten.

Bei ihrem ersten Aufstieg mit Braunschweig bekamen Sie von einem Gönner eine Gitarre geschenkt, beim zweiten kam ein Verstärker hinzu. Wo soll sich MSV-Präsident Ingo Wald schon mal umschauen? Fehlt Ihnen noch was im Equipment?
Lieberknecht: Eine gespielte Gitarre von Bruce Springsteen wäre gut. Die ist ähnlich schwierig zu bekommen wie einen Aufstieg zu schaffen (lacht).