Mönchengladbach. Borussia Mönchengladbach thront an der Tabellenspitze. Christoph Kramer will die um sich greifende Euphorie keinesfalls bremsen.
Christoph Kramer würde später gerne mal Kriminalpsychologe werden. Dem Gladbacher Erfolgsgeheimnis ist der Fußball-Weltmeister von 2014 aber noch nicht so richtig auf der Spur. „Ich gucke fast jeden Tag auf die Tabelle und denke: Sieht geil aus! Freut mich“, sagte der Mittelfeldspieler im SID-Interview. Aber woher kommt's? „Vom Kader her können wir uns streiten, ob wir den viert- oder achtbesten der Bundesliga haben. Irgendwo da gehören wir hin. Alles andere ist dann eine krasse Überraschung.“
Insofern hat Borussia Mönchengladbach bisher genau das getan: krass überrascht. Nach elf Spieltagen thront die Fohlen-Elf an der Spitze, mit vier Punkten Vorsprung auf den ersten Verfolger, was laut Kramer schon „unfassbar gut ist“. Nach der Länderspielpause, in der die Stadt alles ein wenig hat sacken lassen, geht es am Samstag (15.30 Uhr/Sky) bei Union Berlin weiter.
Borussen wollen auf dem Teppich bleiben
Kramer sieht auch keinerlei Anlass, die allgegenwärtige Euphorie zu bremsen. Im Gegenteil. „Die Fans sollen träumen! Sie sollen Schalen ausschneiden. Die Euphorie kann tragen, das gehört dazu im Sport, das ist doch was Schönes.“ Die Borussen selbst hingegen sollen unbedingt auf dem Teppich bleiben - das geht so weit, dass Christoph Kramer irgendwann um Verzeihung bittet: „Ich sage ein bisschen häufig “realistisch'.
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Selbstverständlich kennt der 28-Jährige alle Indizien. Die Zugänge beispielsweise haben fast allesamt eingeschlagen, und der neue Trainer Marco Rose scheint der fehlende Mosaikstein gewesen zu sein.
Kramer schwärmt von Gladbach-Trainer Rose
„Menschlich ist er herausragend“, berichtet Kramer, „wie er das bisher hinbekommen hat mit unserem Kader, mit jedem Einzelnen, das ist vielleicht das, was man am meisten unterschätzt. Das ist menschlich herausragend gut.“ Taktisch läuft es auch: mit „Energie, Leidenschaft, Hingabe und Wucht“. Alles soll auch ein bisschen Entertainment sein.
Hinzu kommt eine Zutat, die ein Sportler erst dann schätzt, wenn sie fehlt: Ruhe. Bei Borussia Dortmund wechselt die Stimmung zweimal pro Woche, beim FC Bayern hat es gebrannt, auf Schalke war die vergangene Saison chaotisch. In Gladbach: nichts davon. „Man hebt hier nicht ab im Erfolgsfall, man wirft im Fall einer Niederlagenserie nicht alles um. Die Wellenbewegungen, dass heute alles cool und morgen katastrophal und übermorgen wieder cool ist, darf man nicht mitmachen“, betont Kramer. Das gelingt.
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Trikot aus dem WM-Finale 2014 im Museum
Er selbst ist dabei ein Fixpunkt. Intelligent, reflektiert, Kramer hat einiges erlebt. Wer in das neue Borussia-Museum geht, direkt am Stadion, der kann beim Audio-Guide Kramers Stimme wählen, „wahrscheinlich, weil sie angenehm ist“, und dann das Trikot aus dem WM-Finale bewundern. Damit die Mannschaft von 2019 dereinst in Gänze verewigt wird, muss sie ihren Lauf fortsetzen.
Kramer aber will sich zu keiner Prognose hinreißen lassen. Da ist es wieder, das Wort 'realistisch'. „Es passiert so viel in so kurzer Zeit“, sagt er und blickt über seine Schulter ins Stadion, „jetzt kann man schon wieder Adventskalender kaufen. Man muss sich im Fußball ganz krass alles immer wieder erarbeiten.“
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So auch die Karriere nach der Profikarriere. Vielleicht ist er in 15 Jahren wirklich Profiler, denn „das ist total faszinierend“. Vielleicht aber auch Trainer, da wechselt seine Meinung momentan „gefühlt alle zwei Wochen“. Ganz vielleicht ist Christoph Kramer 2034 aber auch noch etwas völlig anderes: seit 14 Jahren deutscher Meister 2020. Es kann so schnell gehen. (sid)