Köln. ARD-Experte Thomas Broich seziert den Fußball. Hier verrät er, welche Teams und Trainer ihn derzeit am meisten beeindrucken.
Thomas Broich ist zurück im Fußballgeschäft. Nachdem der ehemalige Mittelfeldspieler von Köln und Mönchengladbach seine Karriere bei Brisbane Roar in Australien mit vielen Titeln und Ehrungen 2017 beendet hatte, zog es den 38-Jährigen wieder nach Deutschland. Seit 2018 arbeitet er als Experte: für die ARD-Sportschau, aber auch in einem eigenen Blog. Leidenschaftlich analysiert er den Fußball, Zahlen und Daten sind ihm wichtig. In seiner Wahlheimat Köln erklärt er, wie moderne Trainerarbeit aussieht.
Sie haben mit Jerome Polenz, Ihrem früheren Mitspieler in Brisbane, den Fußball-Blog zonal.ly ins Leben gerufen. Warum ist Ihnen das wichtig?
Thomas Broich: In erster Linie wollen wir allen fußballbegeisterten Menschen einen tieferen Einblick in die Fußballwelt ermöglichen. Dafür analysieren wir Spiele und schauen nach Spielsituationen, die sich wiederholen und durch Statistiken ausgedrückt werden können. Der Ansatz ist nicht, nach Fehlern zu schauen, sondern Muster zu erkennen.
Wie stellen Sie das genau an?
Wenn uns Situationen auffallen, die sich wiederholen und die sich mit Daten abgleichen lassen, bereiten wir sie grafisch auf. Dabei arbeiten wir viel mit der Taktiktafel. Im Schema sieht man viel besser, welche Abwehrreihen überspielt werden und wo Räume eigentlich entstehen. Uns geht es darum, Prinzipien zu erklären und Szenen zu finden, in denen dieses Prinzip eine Rolle spielt. Im modernen Fußball gibt es in der Bundesliga spätestens seit Guardiola und aktuell mit Bosz, Nagelsmann, Kohfeldt und Favre so viel Know-How und spektakuläre Spielweisen. Wir versuchen diese Trainer-Denke ein wenig zu sezieren und verständlich zu machen.
Nehmen wir Leverkusen und Dortmund, den früheren BVB-Trainer Bosz und den derzeitigen BVB-Trainer Favre. Welche unterschiedlichen Ansätze stellen Sie fest?
Ein riesiger Unterschied ist, dass Dortmund auch gerne auf Konter spielt. Die Leverkusener möchten erst mal nicht kontern. Die wollen vor allem Ballbesitz und Fußball in der gegnerischen Hälfte spielen. Defensiv agieren sie oft mit einer Viererkette gegen den Ball. Aber wenn sie in Ballbesitz kommen, verschiebt sich die Formation ein wenig. Dadurch werden die Abstände eng und das Zentrum wird gut besetzt. So entwickelt Leverkusen seine Dominanz. Ein ganz anderer Ansatz als bei Favre.
Wie machen es die Dortmunder?
Die Dortmunder spielen mit den Außenverteidigern im Spielaufbau viel defensiver. Die haben noch so richtige Flügelspieler, die ganz oft an der Seitenlinie kleben. Dadurch entsteht ein riesiger Raum für Marco Reus, der auf seiner Zehner-Position öfter den Abschluss sucht, als den Ball in die Spitze zu spielen. Wie viele Tore macht der BVB denn, weil Sancho sich durchsetzt und den Rückpass spielt? Uns geht es darum zu zeigen, wie solche Situationen entstehen.
Auf Ihrer Homepage verweisen Sie auf den „Money-Ball“-Ansatz. Was besagt er und wie findet er Einzug im Fußball?
Beim Money Ball geht es darum, mithilfe neuester Technologien und moderner Datenerfassung jede Aktion auf dem Spielfeld auch statistisch zu erfassen. Wir sind im Fußball leider noch nicht ganz so weit wie im Baseball, Football oder Basketball, wo sich Spielsituationen öfter wiederholen. Da wurde das ganze Spiel durch die Daten revolutioniert. Im Baseball wurden Spieler beispielsweise plötzlich ganz anders gescoutet, weil es nicht mehr darum ging, wer den spektakulärsten Hit hat, sondern welcher Spieler statistisch gesehen effizient ist. Da wollen wir im Fußball auch hin. Momentan ist der Fußball leider noch einen Tick zu komplex, um Aussagen treffen zu können, die unser Spiel jetzt brachial verändern würden.
Welche Aussagen lassen sich denn jetzt schon anhand von Statistiken treffen?
Wir können etwa sagen, von wo ein Tor vorbereitet wurde. Ergibt eine Flanke aus einer gewissen Position mehr Sinn? Da schaust du auf die Daten und siehst: Wenn du fast von der Eckfahne aus flankst – dass der Ball irgendeinen Abnehmer findet, die Chance geht gegen Null. Daraus kannst du bestimmte Zonen ableiten, so dass du sagst: In den Bereich wollen wir gar nicht rein, weil es sich statistisch gesehen nicht lohnt.
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Stehen Spielzüge, die aufgrund von Datenerhebung entwickelt werden, im Kontrast zum Instinktfußballer?
Nein, das muss sich nicht ausschließen. So einem Max Kruse brauchst du gewisse Dinge nicht beizubringen, weil er es einfach kann. Aber wenn du einem anderen sagst, guck mal, was der Max macht und warum er es macht, vielleicht hast du dann eine Chance, ihn dahin zu bringen, dass er es irgendwann auch intuitiv macht. Das, was wir als Instinkt oder Intuition bezeichnen, ist ja bloß richtiges Verhalten, ohne dass man sich dessen immer bewusst ist. Den Jungs, die diesen Instinkt nicht besitzen, kannst du das aber beibringen.
Sie meinen, dass Instinkt erlernbar ist?
Das meine nicht ich, das ist wissenschaftlich erwiesen. Es gibt so was wie Genialität, Instinkt oder Intuition nur zu einem gewissen Grad. Leute haben das, aber im Grunde ist es ein erlerntes Verhalten. Ein Schachspieler schaut auf das Brett und erfasst binnen Sekunden die Situation. Ist das so, weil er so geboren wurde, oder weil er es so oft gemacht hat, dass er in der Lage ist, die Muster dahinter zu verstehen? Intuition ist aus wissenschaftlicher Sicht im Grunde Mustererkennung. Und darum geht es. Da setzt die Trainerarbeit an.
Können Sie das an einem aktuellen Spieler festmachen?
Kai Havertz ist so ein Spieler, der instinktiv oft etwas richtig Gutes macht. Der bewegt sich super zwischen den Linien, oft im Rücken der Sechser, nimmt den Ball an und dreht sich im Grunde mit dem ersten Kontakt um 180 Grad. Das kann man im Training lernen, aber irgendwann machst du das auch, ohne darüber nachzudenken.
Welches Trainer-Know-How finden Sie momentan am spannendsten?
Was Nagelsmann in Leipzig macht, das ist schon echt super. Was bei denen absolut raus sticht, ist die Box-Besetzung. Mit wie viel Mann die in torgefährlichen Situationen auftauchen, das ist der Wahnsinn. Das war in Hoffenheim schon so.
Zur neuen Saison sind einige Vereine mit neuen Trainern und Spielphilosophien gestartet. Wer hat den Umbruch Ihrer Meinung nach gemeistert?
Aktuell ist ein super Beispiel Marco Rose. Gladbach war ja jahrelang dafür bekannt, unheimlich viel Ballbesitz zu haben, sehr geduldig zu spielen, den Ball immer hin und her zu schieben und die Lücke zu finden. Jetzt kommt auf einmal einer, der viel direkter, viel vertikaler spielen lässt. Rafael und Stindl waren ja immer die Jungs, die am Schwimmen waren: Keine richtigen Neuner, immer wieder tief kommend, die ihre Räume finden und das Spiel selber aufziehen. Jetzt hast du auf einmal Jungs wie Embolo, Thuram und Plea vorne drin, die körperliche Präsenz haben. Das Spiel geht nun viel mehr durchs Zentrum. Diesen Wechsel der Spielweisen hat Rose mit Gladbach überragend hinbekommen. Es fehlt vielleicht noch ein bisschen Konstanz.