Düsseldorf. . Nationaltorhüterin Nadine Angerer ist Weltfußballerin, spielt in den USA und in Australien, mit Cristiano Ronaldo hat sie schon ein Schwätzchen gehalten. Nun ist ihr Buch “Im richtigen Moment“ erschienen.

Frau Angerer, kurz vor dem EM-Finale 2013, so beschreiben Sie es gleich zu Anfang Ihres Buches, setzten Sie sich allein in ein Café im schwedischen Växjö und beobachteten die Stadt. Wie wichtig sind Ihnen solche stillen Momente?

Nadine Angerer: Sehr wichtig. Ich habe zwar auch Ausdauer beim Feiern nach einem Sieg, aber ich brauche viel Zeit für mich. Es gibt Menschen, die können Erlebnisse sofort verarbeiten und reflektieren. Das kann ich nicht. Dafür ziehe ich mich ganz bewusst zurück.

Nadine Angerer ist noch nicht müde

In Portland kommen im Schnitt 17 000 Zuschauer zu einem Spiel der Frauen. Was muss sich in Deutschland ändern?

Die Fanbase in Portland ist weltweit einmalig. In Deutschland finde ich es wichtig, dass alle Bundesligaspielerinnen, die Möglichkeit bekämen, nur halbtags zu arbeiten. Da hängt ja ein ganzer Rattenschwanz dran. Je weniger du arbeitest, umso mehr Zeit hast du zum Trainieren, umso besser wird das gesamte Spiel.

Umso attraktiver ist es zum Zuschauen?

Genau. Auch sollten einige Positionen im Verein mit bezahlten Mitarbeitern besetzt werden. So kann man mehr Professionalität in die Struktur bringen. Ich habe noch nie in so einem professionellen Verein gespielt wie in Portland. Wolfsburg und Potsdam sind vielleicht noch ähnlich gut aufgestellt.

Nach allem, was Sie erlebt, gesehen und erreicht haben: Was kann noch kommen?

Ich habe überhaupt keine Motivationsprobleme. Man kann es natürlich so sehen: Ich bin müde, ich habe schon alles erreicht. Oder eben so: Das war so geil, ich will wieder gewinnen. Ich weiß, wie schön es ist Titel zu gewinnen und warum sollten es nicht noch mehr werden?

Später hielten Sie im EM-Finale zwei Elfmeter, Deutschland wurde Europameister. Wie viel Glück gehört zu einem gehaltenen Elfer?

Angerer: (lacht) Na, viel. Ich bin aber überzeugt, dass Erfolg immer viele Faktoren hat.

Nämlich?

Angerer: Man braucht Durchhaltevermögen, Fleiß, Talent und letztendlich, das entsteht daraus, das nötige Glück. Wenn man etwas mit Leidenschaft macht, wird man belohnt, kann erfolgreich sein. Das muss nicht immer gradlinig sein. Erfolgreich kann man auch über Umwege sein.

In Ihrem Leben scheint Glück trotzdem immer eine große Rolle gespielt zu haben.

Angerer: Ich habe immer sehr, sehr hart gearbeitet, aber ich brauche meine Freiräume. Die habe ich als Kindskopf dementsprechend ausgelebt, das war ein Reifeprozess. Beim Schreiben des Buches haben wir uns oft gefragt, wie ich eigentlich Profi werden konnte. Da gehörte schon Glück zu. Aber ich beschreibe auch, dass ich immer vorbereitet war, wenn das Glück vorbeikam. Man bekommt es nicht einfach so, man verdient es sich.

"Cristiano Ronaldo ist ein cooler Typ, kein Macho oder so" 

Neben den Titeln mit Ihren Mannschaften feierten Sie 2013 einen persönlichen Erfolg: Sie wurden zur Weltfußballerin des Jahres gewählt. Bei den Männern war es Cristiano Ronaldo. Worüber unterhalten sich die beiden besten Fußballer der Welt?

Angerer: Na, über Fußball.

Und wie ist der Weltstar im Gespräch?

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Angerer: Ein cooler Typ, kein Macho oder so. Er hat ein spannendes Leben. Aber ich höre auch einem Obdachlosen gerne zu. Sein Leben finde ich genauso spannend. Inspiration kann von überall kommen.

Die haben Sie schon auf vielen Orten der Welt gesucht. Zuletzt haben Sie in Australien und den USA gespielt. Ist Fußball am anderen Ende der Welt ein anderer?

Angerer: Der Fußball ist definitiv anders. Aber auch mein Leben ist anders. Deshalb habe ich das ja auch gemacht. Klar, man geht auf eine sportliche Reise, aber ich brauche anderen Input, neue Motivation. Die Herausforderung, mich selber auf eine Reise zu begeben. Wenn man in einem Land lebt wie Australien, wo Laissez-faire gelebt wird, da lernt man noch anders zu reflektieren.

Was sind die größten Unterschiede zu einem Leben in Deutschland?

Angerer: Seit meiner Zeit in Australien lebe ich viel mehr im Hier und Jetzt. Wir sind in Deutschland geprägt, ständig in die Zukunft zu schauen. Australier kennen das nicht. Wenn die freitags ihren Job verlieren, gehen sie zunächst davon aus, dass sie montags wieder einen haben. Sie haben einfach dieses positive Gen, optimistisch zu denken. Ich glaube, ich war noch nie so ausgeglichen in meinem Leben wie im Moment. Sportlich und privat.

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Weil die Leute so locker und das Meer zum Surfen so nah ist?

Angerer: Oh Gott, ich gehe da ganz bestimmt nicht Surfen. Viel zu viele Haie...

Schlägt sich die Art zu Denken auch in der Arbeit nieder?

Angerer: Ich glaube, da habe ich den Australiern noch was beigebracht. (lacht) Trotzdem habe ich dort hart gearbeitet, auch mit den Männern von Brisbane Roar mittrainiert.

Angerer fühlt sich im schrägen Portland wohl und will endlich nach Brasilien 

Und wie war dann der Wechsel nach Amerika?

Angerer: Das ist nochmal eine andere Welt. Da geht es vom Aufwärmen bis zum Spiel nur um Wettkampf. Sechs Wochen Vorbereitung waren sechs Wochen Willensschulung. Danach geht es nur ums Siegen und Verlieren. Ich finde das schon geil, aber es ist auch anstrengend.

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Sie suchen sich also das Beste aus allen Welten zusammen?

Angerer: Genau. Natürlich habe ich meine Meinung, aber die ist nicht in Stein gemeißelt. Wenn man offen ist, trifft von so wahnsinnig tolle Leute, die einen inspirieren.

Zum Beispiel?

Angerer: In Portland hat mich ein alter Opa gefragt: „Du bist doch die neue Torhüterin aus Deutschland, darf ich dir was zeigen?“ Dann hat er mich zu einem Baum mitgenommen und gesagt: „Ist der nicht schön?“ Da steht man da, nimmt plötzlich einen Baum total wahr und denkt: Ja, schöner Baum. Und: Wow, was für ein cooler Typ. Aber so ist das in Portland, das Motto ist „keep portland weird“ – einfach schräg. Ich glaube, ich passe sehr gut dahin.

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Klingt nicht, als würden Sie mit 36 Jahren schon ans Aufhören denken?

Angerer: Nein, Lust und Leidenschaft sind noch da. Wichtig ist auch, dass mein Körper funktioniert. Das tut er. Also gibt es keinen Grund aufzuhören. Fußballprofi zu sein, ist mein Traumberuf. Genauso freue ich mich auf das Leben, was danach mal kommt.

Sie sind mit dem Rucksack durch Südafrika, mit dem VW-Bus durch Schweden und mit der Nationalmannschaft um die halbe Welt gereist. Gibt es einen Ort, der Ihnen noch fehlt?

Angerer: Ich könnte mir vorstellen, einmal in Asien zu spielen. Deutschland eher weniger, da kenne ich nach zwölf Jahren Bundesliga ja jede Raststätte. Südamerika fehlt mir allerdings komplett. Ich war noch nie in Brasilien.

Als Fußballerin haben sie noch nie Brasilien gesehen?

Angerer: Geht eigentlich gar nicht, oder? Vielleicht klappt es ja zu Olympia...