Essen. . Fußball-Nationaltorhüterin Nadine Angerer erzählt im Interview über ihr Leben in Australien, ihre USA-Pläne und die mögliche Wahl zur Weltfußballerin des Jahres.

Nadine Angerer verbringt Silvester am anderen Ende der Welt. Die deutsche Nationaltorhüterin spielt seit September für Brisbane Roar und bestreitet bereits am vierten Januar ihr nächstes Punktspiel in der australischen W-League. Der Freigeist unter der Latte genießt ein Auslandsabenteuer, das gerade ihre unkonventionelle Karriereplanung krönt. Die 35-jährige EM-Heldin reist erst wieder nach Europa, wenn am 13. Januar in Zürich die Weltfußballerin gekürt wird. „Natze“ sieht diesem Termin so locker entgegen wie sie gerade lebt.

Sie haben die Weihnachtstage in ihrer australischen Wahlheimat verbracht. Wie hat man sich das mitten im Sommer vorzustellen?

Nadine Angerer: Ich hatte am 22. Dezember noch ein Spiel gegen Sydney, dann geht es am 4. Januar weiter. Deshalb hätte es keinen Sinn gemacht, heimzufliegen. Weihnachtsgefühle kamen eher nicht auf, weil es knallheiß ist. Natürlich war alles geschmückt, aber in Flipflops wirkte das auf mich paradox. An der Gold Coast standen die Weihnachtsmänner in kurzen Hosen auf dem Surfbrett, so bin ich auch im Bikini über den Weihnachtsmarkt gegangen.

Verbringen Sie den Jahreswechsel ganz allein?

Angerer: Nein, zu Silvester kommt meine Mutter – und die bleibt auch einen ganzen Monat.

Was werden Sie ihr sagen? Was werden Sie ihr zeigen?

Angerer: Dass es mit total gut geht. Das ist keine Floskel. Der Verein ist super, das Leben ist toll. Ich habe einen magischen Ort südlich von Brisbane entdeckt. Byron Bay, fast ein Dorf, da fahre ich gelegentlich hin. Hier stehen keine Hochhäuser wie an der Gold Coast, wo es teilweise wie in Miami ausschaut. Da leben viele Künstler, einige Alt-Hippies – ein total nettes Flair. Und super Strände gibt es natürlich auch.

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Wie nutzen Sie die? Waren Sie schon Tauchen?

Angerer: Das ist so eine Sache. Seit ich hier bin, hat es an der Ostküste zwei Hai-Angriffe gegeben. Ich bin da echt ein Schisser. Wale und Delfine habe ich schon gesehen, ein Hai muss nicht unbedingt sein.

Sie haben beim letzten Heimatbesuch gesagt, Sie erlebten jeden Tag etwas Neues. . . .

Angerer: Ich wusste nach zwei Wochen, dass es das Richtige für mich ist. Ich bin immer noch jeden Tag beeindruckt. In meinem Verein herrscht eine absolute Professionalität und totale Aufmerksamkeit. Man ist enorm vorausschauend.

Zum Beispiel?

Angerer: Wir müssen zum Beispiel vor jedem Training unseren Urin mitbringen, damit kontrolliert werden kann, ob wir dehydriert sind. Dann wird bestimmt, wie viel man nachtrinken muss. Ich hatte ja deswegen einen Muskelfaserriss…

Wirklich?

Angerer: Ja. Wegen der leichten Brise, die hier immer weht, merkt man oft nicht, dass man permanent schwitzt. Mit Thomas Broich (Anm. d. Red.: ehemaliger Gladbacher, der seit 2010 für Brisbane Roar spielt) trainiere ich ja manchmal zusammen, und er hat gleich beim ersten Kaffeetrinken gesagt: ‚Natze, trink‘ genug!‘ Hätte ich mal auf ihn gehört. Diese Lektion habe ich hinter mir. Jetzt weiß ich auch, warum jeder eine Wasserflasche mit sich herumschleppt.

Sind Sie sportlich zufrieden?

Angerer: Das erste Heimspiel mit mir haben wir 0:3 verloren, da war auch ich nicht gut. Dann kam in der zweiten Partie die Verletzung, zuletzt lief es aber besser. Wir sind vorne mit dabei, die ersten vier Teams kommen in die Playoffs. Die Liga ist nicht mit der Frauen-Bundesliga zu vergleichen, aber das ist bestimmt keine Operettenliga. Mir bringt das Training viel, zumal ich noch regelmäßig bei den ‚boys‘ mitmache – der Coach der Männer war früher bei den Frauen, daher gibt das keine Probleme. Ich habe nicht das Gefühl, dass dieses Engagement für mich ein Rückschritt ist.

Wie viele Zuschauer kommen in der australischen W-League?

Angerer: Ich habe eigentlich damit gerechnet, dass hier kaum einer kommt. Meine Mitspielerinnen wiederum dachten, ich hätte in Deutschland immer vor 10.000, 15.000 Zuschauern gespielt, weil sie das von der Frauen-WM 2011 so kannten. Beim ersten Spiel waren rund 1200 Leute da, beim zweiten ähnlich viele. Und es gab eine landesweite Liveübertragung. Wir haben leider nur kein festes Stadion, in dem wir spielen.

Die Saison in Australien läuft nur bis Februar. Verraten Sie, wo das Engagement in der US-amerikanischen Profiliga NWSL Sie hinführt?

Angerer: Ich darf es immer noch nicht sagen, weil der Vertrag nicht unterschrieben und es noch nicht ganz sicher ist. Aber mein neuer Verein wird es im Januar bekanntgeben. Es wird lustig – so viel kann ich verraten.

Erwägen Sie, vielleicht später ganz nach Australien überzusiedeln?

Angerer: Ich habe darüber echt mal nachgedacht, aber es ist einfach zu weit weg von allem. Klar, man kann hier schnell nach Bali oder auf die Fidschi-Inseln fliegen, aber ich hänge doch zu sehr an der Kultur in Europa. Man ist hier irgendwie doch am Arsch der Welt.

Am 13. Januar werden beim Weltfußballverband in Zürich die besten Fußballer und Fußballerinnen der Welt gekürt. Kommen Sie?

Angerer: Ja, aber ich werde versuchen, die Tage weiter in der australischen Zeit zu leben. Ich war eigentlich hin- und hergerissen, fand es dann aber cool, dass der Verein sofort gesagt hat, ich solle da hinfliegen.

Was würde Ihnen bedeuten, zur Weltfußballerin gewählt zu werden?

Angerer: Ich fahre völlig neutral hin. Mit mir stehe Marta und Abby Wambach zur Wahl, für mich ist das schwer einzuschätzen. Ich würde mich riesig freuen, aber ich wäre auch nicht enttäuscht, wenn es nicht so kommt. Zumal die Kriterien ja nicht klar sind, an denen unsere Leistung festgemacht wird. Und wie will man eigentlich eine Torhüterin und eine Torjägerin vergleichen?

Wann tritt denn Nadine Angerer wieder in der deutschen Nationalmannschaft auf?

Angerer: Im März beim Algarve-Cup bin ich dabei! Die australische Liga geht nur bis zum 9. Februar, dann gibt es Halbfinale und Finale, das findet am 23. Februar statt. Damit ist hier die Saison beendet. Und im April geht die Saison in den USA los. Da passt der Algarve-Cup also genau rein.