Essen. Das Aus der DFB-Elf im EM-Halbfinale wirft Fragen auf. Der Bundestrainer hat Fehler gemacht. Aber ist deshalb der ganze Weg falsch? Brauchen wir wieder den ur-deutschen Führungsspieler? Löw hat keine Wahl. Er muss jetzt den WM-Titel holen. Das ist reichlich viel verlangt. Ein Kommentar.
Es sind, so haben es alle betont, nur geringfügige Sachen, die fehlen. Winzigkeiten, Marginalien, mikroskopisch kleine Dinge – aber der Effekt ist stets riesengroß: das Scheitern der DFB-Elf im entscheidenden Moment.
Ist der Titelgewinn die einzig gültige Messlatte?
Der akute Schmerz der Niederlage gegen Italien wird rasch vergehen, dahinter aber zieht schon die Fragenwolke auf: Ist diese Mannschaft zwar hoch ambitioniert, hoch talentiert, gar übergroß im Potenzial, aber am Ende dann doch zu klein, um wirklich Großes zu erreichen? Handelt es sich bei dieser Mannschaft, womöglich gar bei diesem Joachim Löw um den Herrn Tur Tur des Fußballs, einen Scheinriesen, der immer kleiner wird, je näher man ihm kommt?
Deutschland hat jetzt diese Debatte, von der vor zwei Jahren, ach was, vor zwei Wochen, noch niemand etwas hören wollte. Die Frage, ob schöner, attraktiver Fußball der Maßstab sein kann – oder ob der Gewinn eines Titels nicht die einzig gültige Messlatte ist.
WM-Titel 2014 um zu bestehen
Will Deutschland den Fußball Marke Löw oder doch lieber Sammer-Fußball? Der DFB-Sportdirektor blieb unsichtbar in der Nacht von Warschau, doch sein Geist begleitet das Team. Der Europameister von 1996, der Feuerkopf, der Freund des Führungsspielers und Verfechter der bedingungslosen Erfolgsgier, hat oft gemahnt: vor der nationalen Besoffenheit über den neuen Charme der DFB-Elf, vor dem „Projekt Nationalelf“ als Chiffre für ein weltoffenes, multikulturelles Land, vor dem kreativ-verspielten Fußball als Symbol neuer deutscher Leichtigkeit – Sammer kitzelt den ur-teutonischen Reflex: Sieg um jeden Preis.
Joachim Löw hat diese Debatte provoziert, er muss sie nun aushalten. Um sie als Sieger zu bestehen, bleibt nur eine Chance: der WM-Titel 2014 in Brasilien. Das klingt unfair. Und das ist es auch.