Essen. Eine Mannschaftsaufstellung, die dem Gegner Italien signalisierte „Wir haben Schiss“ hat Joachim Löw nach dem EM-Aus unter Erklärungsdruck gebracht. Noch aber ist der Kredit, den sich der Bundestrainer über Jahre verdient hat, nicht aufgebraucht. Ein Kommentar.
Es wäre vergleichsweise einfach gewesen. Ein einziger Satz – „Diese Niederlage nehme ich auf meine Kappe“ – hätte genügt, um auch den schärfsten Kritikern Respekt abzunötigen. Anders als Mats Hummels, der gleich nach dem Abpfiff nicht um seinen Anteil herum redete, benötigte Joachim Löw jedoch den Abstand eines Tages, um „Verantwortung“ für das 1:2 gegen Italien zu übernehmen. Immerhin. Auch wenn nicht auszuschließen ist, dass ihn dazu erst der DFB-Präsident, ein ausgebuffter Medien-Profi, ermuntern musste. Noch am Abend zuvor hatte der Bundestrainer das, was unweigerlich auf ihn zukommen würde, mit dem Hinweis auf das „gute Turnier“ seiner Mannschaft zu relativieren versucht.
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Sicher, Löw hat Recht mit seinem Appell, es dürfe nun nicht gleich alles hinterfragt werden. Nicht alles, wohlgemerkt. Aber doch wohl das eine oder andere. Zumal sich selten ein Ergebnis so direkt an einem Coach festmachen lässt wie dieses.
Warum ist der Bundestrainer von seinem bis dato konsequent durchgehaltenen Prinzip abgewichen, „das eigene Spiel auf den Platz zu bringen“ und sich „nicht zu sehr am Gegner zu orientieren“, womit er den Italienern ein eindeutiges „Wir-haben-Schiss“-Signal gab? Wieso vermittelte in einer Mannschaft, die doch vorgeblich „ein großes Herz gezeigt“ hat, am Ende allein Manuel Neuer den Eindruck totalen Engagements? Sind die Auswirkungen des Champions-League-Traumas der Bayern in einer von (zu vielen?) Münchner Spielern dominierten Mannschaft womöglich doch unterschätzt worden? Oder lag es schlicht und einfach an der Tagesform?
Festhalten an formschwachen Spielern wirkte sich fatal aus
Auf die Gefahr hin, der Besserwisserei bezichtigt zu werden – es stand an dieser Stelle nach dem Auftaktsieg über Portugal: „Als die Löw-Elf während ihrer makellosen EM-Qualifikation nahtlos an ihre begeisternden WM-Auftritte anknüpfte, schien der erste Titelgewinn seit 1996 reine Formsache zu sein. Nur scheinen einige vergessen zu haben, dass diese Einschätzung wortwörtlich zu nehmen ist – als Form-Sache."
So fatal sich auch das Festhalten an formschwachen Spielern (Schweinsteiger, Podolski) auswirkte, es ändert nichts daran, dass Joachim Löw den deutschen Fußball – anfangs gemeinsam mit Jürgen Klinsmann – auf einen viel versprechenden Weg gebracht hat, der den Fans über Jahre mitreißenden Fußball beschert hat. Dieser muss nach dem ersten richtigen Rückschlag, so ernüchternd er auch war, längst nicht zu Ende sein. Noch dürfte eine Mehrheit dem Bundestrainer zutrauen, die richtigen Schlüsse für die WM 2014 zu ziehen.