Warschau. . Der nicht anerkannte Treffer der Ukraine gegen England dürfte die Einführung neuer Techniken beschleunigen. Auch Fifa-Chef Joseph Blatter hat seinen Widerstand aufgegeben – im Gegensatz zu Michel Platini.

Es sind seltsame Szenen, die sich da Morgen für Morgen im kleinen Agrykola Stadium in Warschau abspielen. Als seien sie das 17. Team dieser EM, treffen sich hier die Schiedsrichter zur gemeinsamen Übungseinheit. Angeleitet von Fitnesstrainern arbeiten sie an ihrer Physis, üben Abseitsentscheidungen, und manchmal steht eine Sondereinheit für die „zusätzlichen Schiedsrichterassistenten“, auf dem Programm. So wie am gestrigen Mittwoch, als die so genannten Torrichter kurz hinter der Line geklärte Schüsse bewerten mussten.

Szenen also wie jene aus dem Spiel Ukraine - England, die Oleg Blochin zur Weißglut getrieben hat. „Sie haben uns ein Tor gestohlen“, hatte der ukrainische Trainer getobt, „die Schiedsrichter sind schuld, das war ein ganz klares Tor!“ Und Pierluigi Collina, der bei dieser EM für die Unparteiischen zuständige Uefa-Funktionär bestätigte diese Einschätzung. Dem Torrichter in Donezk war ein fataler Fehler passiert, er hatte nicht erkannt, dass der Ball im Tor gewesen war. Die Empörung in der Ukraine ist so groß wie verständlich.

Collina hielt dennoch eine lange Lobrede auf das Uefa-Experiment mit den zusätzlichen Assistenten, das seit drei Jahren in der Champions League, seit zwei Spielzeiten in der Europa League und nun auch bei der Euro läuft. „In rund tausend Spielen hatten wir nur diesen einen Fehler“, so der frühere Weltklasse-Referee. Doch diese eine Szene könnte das Ende des Versuchs bedeuten. Denn der Weltverband Fifa ist – gegen den Uefa-Willen – kurz davor, eine Überwachung der Torlinie mit technischen Hilfsmitteln einzuführen.

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Und der fatale Fehler von der EM stärkt den Fifa-Präsidenten Joseph Blatter in seinen Plänen. „Nach dem Spiel von gestern Abend ist Torlinientechnik nicht mehr nur eine Möglichkeit, sondern eine Notwendigkeit“, twitterte Blatter am gestrigen Mittwoch , es war eine Botschaft mit schadenfrohem Unterton. Dabei hielt auch Blatter technische Hilfsmittel viele Jahre für ein Werk des Teufels, erst seit der fatalen Fehlentscheidung aus dem Spiel der Engländer gegen Deutschland während der WM 2010 versucht der Fifa-Präsident, sich mit dem Votum für die Technik als Reformer zu profilieren.

Michel Platini, der bis Dienstag dachte, mit seinen Torrichtern die bessere Lösung zu haben, weiß das natürlich. Vor einigen Tagen sagte der Uefa-Präsident, Blatter werde „die Technologie einführen, aber ich glaube, das ist ein großer Fehler, denn es wird erst der Anfang sein“. Platini fürchtet, dass bald auch Fouls oder Abseitsentscheidungen technisch aufgelöst werden.

Entscheidung am 5. Juli

Doch das ist schwer nachvollziehbar, das International Football Association Board (IFAB), das über jede Regeländerung entscheidet, ist eine durch und durch konservative Institution. Die Befürworter der Torlinientechnologie haben zehn Jahre lang vergeblich versucht, ihre Innovation durchzubringen. Noch im März 2010 hatte das IFAB entschieden, dass die Torlinientechnik nie eingeführt werde. Diese Entscheidung sei endgültig, hieß es, alle weiteren Forschungen wurden beendet. Vertreter aus England und Schottland hatten damals für den Chip im Ball votiert, Blatter und seine Fifa waren genau wie Platini strikt dagegen.

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Dann kam die WM 2010 und statt nach Uefa-Vorbild Torrichter einzuführen, ließ der Weltverband die Torlinientechnologien von insgesamt acht Unternehmen begutachten. Zwei Techniken überstanden diese erste Testphase: das kamerabasierte Hawk-Eye, das seit Jahren im Tennis eingesetzt wird, und ein Chip-im-Ball namens „GoalRef“, das vom Fraunhofer-Institut in Erlangen entwickelt wurde.

Am 5. Juli trifft sich das IFAB nun in Zürich, dann wird abgestimmt, welche Technik eingeführt wird, der Weg zum Einsatz auch in der Bundesliga wäre frei. Zumindest wenn eines der beiden Systeme störungsfrei funktioniert. Gemunkelt wird, dass die Hawk-Eye-Technik bessere Chancen habe, weil das Unternehmen vor einiger Zeit von Sony, einem der wichtigsten Fifa-Sponsoren übernommen wurde. Allerdings bleibt bei der Überwachung der Torlinie mit Kamera immer die Gefahr, dass der Ball im entscheidenden Moment von einem Körper verdeckt wird. Der Chip hat dieses Problem nicht, aber selbst wenn nach Einführung

der Technik ein Rest Ungewissheit bliebe, die Anzahl der Fehlentscheidungen würde reduziert.