Nürnberg. Der Fußball-Weltverband Fifa und das Ifab - Regelhüter des Fußballs - wollen mit einer Torlinien-Technologie bei strittigen Entscheidungen für Klarheit sorgen. Am 2. Juli wird entschieden, ob das “Hawk-Eye“ oder “GoalRef“ zum Einsatz kommt. Wir haben mit einem der “GoalRef“-Entwickler gesprochen.
Das Wembley-Tor im Finale der Fußball-WM 1966. Oder der Schuss von Englands Frank Lampard im Duell mit Deutschland bei der WM 2010 an die Unterkante der deutschen Latte. Tor? Kein Tor? Auf jeden Fall Geschichten aus der Fußball-Geschichte, die es künftig nicht mehr geben soll. Der Weltverband Fifa und das International Football Association Board (Ifab), die Regelhüter des Fußballs, wollen mit einer Torlinien-Technologie bei strittigen Situationen sekundenschnell für Klarheit sorgen. Und wieder mal duellieren sich England und Deutschland: Am 2. Juli, nach dem Endspiel der EM, wird entschieden, ob die englische, vom Tennis bekannte Technologie „Hawk-Eye“ zum Einsatz kommt. Oder „GoalRef“, der „Tor-Schiedsrichter“ vom Nürnberger Fraunhofer-Institut, der von Ingmar Bretz mitentwickelt wurde.
Herr Bretz, finden Sie es nicht schade, dass künftig nicht mehr über ein Wembley-Tor diskutiert werden kann? Das ist seit einem halben Jahrhundert ein Thema.
Ingmar Bretz: Ich bin Fußball-Fan, aber ich finde das gar nicht schade. Schwerwiegende Fehler, insbesondere Tor-Fehlentscheidungen, sind nicht nur unfair, sondern kosten auch viel Geld. Stellen Sie sich vor, ein Klub scheidet wegen einer Tor-Fehlentscheidung im Halbfinale des DFB-Pokals aus. Oder eine Nationalmannschaft verliert deshalb das EM-Finale. Fußball bleibt emotional und wird weiter emotional diskutiert. Nur wird es weniger eklatante Fehler geben.
Wie funktioniert Ihre Torlinien-Technologie? Wie weiß Ihr „GoalRef“, dass der Ball hinter der Linie war?
Bretz: Es funktioniert wie eine Diebstahlsicherung in einem Kaufhaus, wo Sie, sobald Sie den Verkaufsraum mit nicht bezahlter Ware verlassen, einen Alarm hören. Unser System erzeugt ein schwach magnetisches Feld. Elektronik mit einem Chip im Ball verändert dieses Feld, was wiederum von Sensoren an Pfosten und Latte detektiert wird. Sobald ein Tor fällt, wird das erkannt und dem Schiedsrichter über Funk mitgeteilt.
Ein magnetisches Feld? Müssen die Torleute künftig Schutzhelme tragen?
Bretz: Keine Angst, die magnetische Feldstärke liegt unter der des Erdmagnetfeldes. Sie wäre auch für Träger von Herzschrittmachern unkritisch.
Woher weiß Ihr System, dass der Ball, wie es die Regel sagt, mit vollem Umfang hinter der Linie war?
Bretz: Unser System kann die Überschreitung der Linie innerhalb des gesamten Tores erfassen, wie bei einem virtuellen Lichtvorhang oder einer Lichtschranke, mit der man den Durchtritt eines Gegenstands sehr genau feststellen kann.
Es gibt aber weiter einen Graubereich?
Bretz: Es gibt einen geringen Toleranzbereich, aber wir können die Erwartungen der Fifa an die Technik komplett erfüllen. Eklatante Fehler, wie bei der WM 1966 oder bei der WM 2010, wird es nicht mehr geben. Und wir können ja jetzt zugeben, dass der Ball von Frank Lampard im Tor war.
Die Fifa hat Ihren „GoalRef“ für das International Football Association Board, das sich für die Einführung dieser Technik ausgesprochen hat, intensiv getestet und für sehr gut befunden.
Bretz: Die Fifa hat mit einer Schweizer Forschungsanstalt mit Ballschussmaschine, Prallwand usw. Torentscheidungstechnologien verschiedener Anbieter evaluiert. Von acht sind zwei übrig geblieben. Ein auf Kameras basierendes System aus England (Anm. der Redaktion: „Hawk-Eye“). Und unser „GoalRef“.
Sie sind also im Endspiel. Und ein bisschen stolz?
Bretz: Ja. Wir vertrauen auf die Vorteile unseres Systems, das auch bei schlechten Sicht- und Lichtbedingungen funktioniert, wie bei Trainingslicht oder wenn sich alle 22 Spieler vor dem Tor tummeln und die Sicht verdecken. „GoalRef“ erkennt in jeder Situation sofort, wenn der Ball im Tor ist.
Wieso beschäftigen Sie sich als wissenschaftliches Institut so intensiv mit Fußball?
Bretz: Was mich betrifft, hatte ich stets Interesse an neuartigen Dingen, die man im Alltag einsetzen kann. Da ist Fußball ein ideales Feld.
Wann soll die Technologie eingeführt werden?
Bretz: Wir erwarten, dass die Technologie bald eingesetzt wird, sonst würden wir uns nicht so engagieren. International könnte sie zur WM 2014 in Brasilien kommen. Es gibt aber auch schon Fürsprecher für das Jahr 2013.
Könnte Ihr „GoalRef“ auch schon im Sommer 2012 in Tore eingebaut werden?
Bretz: Von den technischen Möglichkeiten ginge das. Jedoch wollen wir über die Testphase hinaus ein ausgereiftes Produkt anbieten. Dafür gibt es einiges zu tun, zum Beispiel um „GoalRef“ an die speziellen Gegebenheiten der Stadien anzupassen. Denn jedes Tor ist anders. Unsere Vision ist, dass vom „GoalRef“ abstammende Produkte auf jedem Sportplatz der Welt kostengünstig und ohne viel Aufwand installiert werden können.
Erst einmal steht das Finale Deutschland gegen England an. Wird Deutschland am 2. Juli gewinnen?
Bretz: Es ist ein sportlicher Wettbewerb, es ist wie ein Fußballspiel. Und wenn wir mitspielen, wollen wir auch gewinnen. Aber bis zum Ende ist alles offen und das Ergebnis steht erst mit dem Schlusspfiff fest.