Danzig. Bundestrainer Joachim Löw steht vor einer heiklen Entscheidung: Er könnte einen seiner größten Vertrauten wegen mangelnder Spielpraxis auf die Bank zu setzen. Doch Bastian Schweinsteiger hat gerade bei Turnieren gegen Portugal bewiesen, wie wichtig er für die Mannschaft ist.

Der Wind kommt von der Seite und zerrt kräftig an den beiden hellblauen Fähnchen, die fleißige Helfer aufgestellt haben. Sie wehen neben einem roten Teppich, der die Reisegruppe aus Deutschland am Flughafen in Lemberg in Empfang nimmt. Die mächtigen Männer des deutschen Fußballs gehen voran, der Bundestrainer, der Verbands-Präsident, der Manager der Nationalmannschaft, erst dann die Spieler. Es mag ein Zufall sein, dass Bastian Schweinsteiger der erste von ihnen ist. Aber es ist ein symbolisches Bild. Auf dem Weg zum ersten Spiel, auf dem Weg in dieses Turnier ist der Münchner der, der voraus geht, der diese Mannschaft anführt. Anführen soll. Denn sein körperlicher und seelischer Zustand sind weiterhin mit Fragezeichen behaftet.

Schweinsteiger hat sich rar gemacht in Danzig

Schweinsteiger, eine der überragenden Figuren der Weltmeisterschaft 2010, hat sich rar gemacht in den vergangenen Tagen. Er wollte nicht groß reden über diese Saison, die sein Meisterwerk werden sollte und bislang zu einem Albtraum mit vielen unerfreulichen Kapiteln wurde. Zwei schwere Verletzungen warfen ihn monatelang zurück, Meisterschaft und Pokal gingen verloren, aber vor allem pulverisierte sich die Vision vom Champions-League-Sieg im eigenen Münchner Stadion.

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Schweinsteiger, der Ur-Bayer, verschoss den entscheidenden Elfmeter. Krämpfe hatte er vorher gehabt und 115 Minuten lang mit einer Muskelquetschung in der Wade gespielt. Eine Verletzung, „mit der sich andere sofort auswechseln lassen“, wie sein Vereinstrainer Jupp Heynckes damals sagte. Schweinsteiger wurde zur tragischen Figur und plagt sich seither mit seiner Wade herum. Redebedarf: keiner.

Interview-Wünsche ließ der 27-Jährige abschlägig beantworten, nicht einmal bei einer der offiziellen Pressekonferenzen wollte er, der stellvertretende Kapitän, sich den Fragen ausgesetzt sehen. Lediglich der hauseigenen Presseabteilung sagte er: „Es geht mir gut. Ich habe keine Probleme mehr. Ich bin heiß auf das Turnier.“

Löw findet Schweinsteiger „im Training stabil“

Joachim Löw, der Bundestrainer, ist ein dankbarer Abnehmer eines jeden Indizchens, das von einer erfolgreichen Rückkehr seines Mittelfeldchefs kündet. Schweinsteiger habe einen „besseren Rhythmus“ gefunden und sei „im Training stabil“ protokolliert Löw. „Aber Wettkampf ist natürlich noch einmal eine Stufe höher.“ Noch immer wird Schweinsteiger an der verletzten Wade behandelt, er ist noch nicht bei 100 Prozent. Weit scheint er entfernt zu sein von der Form, die ihn vor zwei Jahren zu einem so bestimmenden Faktor des deutschen Spiels machten. Er temperierte, er dirigierte und führte an. Das ist viel verlangt von einem, der ein solches Jahr hinter sich hat.

Es ist genau jene Ungewissheit, die der Mission EM-Titel den dichten Nebel verleiht.

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Löw steht vor der Wahl, einen seiner größten Vertrauten wegen mangelnder Spielpraxis auf die Bank zu setzen oder ihm jene Wettkampferfahrungen mit dem Risiko zu gewähren, dass es doch zu früh gewesen sein könnte. Ein schmaler Grat. „Er ist für uns ein ganz wichtiger Spieler“, sagt Löw. Er weiß, er braucht in diesem Turnier für den großen Wurf vermutlich einen formstarken Schweinsteiger. Daher wird er aller Voraussicht nach aufbieten. Löw hofft, dass er sich das, was ihm noch fehlt, im Turnier so schnell wie möglich holt. Er hofft, dass es für Schweinsteiger sein möge, wie es zuletzt immer war gegen Portugal: erfolgreich.

Schweinsteiger dürfte Portugals Staatsfeind Nummer 1 sein

2006, im deutschen Schlussakkord des WM-Sommermärchens, lieferte der Mittelfeldspieler zum 3:1-Sieg zwei Tore und eine Vorlage, zum 3:2 im Viertelfinale der EM 2008 ein Tor und zwei Vorlagen. Zwei Duelle, sechs deutsche Tore – und immer hatte der beste Mann auf dem Platz seine Füße im Spiel. Schweinsteiger dürfte an diesem Samstag Portugals Staatsfeind Nummer 1 sein.

„Wichtig ist ein guter Einstieg in dieses Turnier“, sagt Bastian Schweinsteiger, „das könnte einen Schub geben.“ Der Mannschaft, dem Schweinsteiger. Sie alle setzen darauf, dass sie den Wind bald im Rücken spüren.